Druckartikel: Eine Festung für die Freiheit

Eine Festung für die Freiheit


Autor: Marion Krüger-Hundrup

Coburg, Samstag, 13. Mai 2017

Mit Gespür für die Umbrüche in der damaligen Zeit beleuchtet die Landesausstellung die Reformation. Und gibt Anregungen für eine Diskussion über Freiheit.


E in mumifiziertes Skelett sitzt rittlings auf einem Löwen. Der reißt sein Maul auf, krümmt seinen Rücken, kann den Reiter aber nicht abwerfen. Mühelos bezwingt der leichtgewichtige Tod den starken Löwen. Und obendrein holt der rechte Arm mit einem Knochen in der Hand zum Schlag auf eine Glocke im Löwenkopf aus. Jede Viertelstunde. Gedenke Mensch, dass dich der Tod jederzeit holen kann.

Dieser schaurigen Mahnung kann sich niemand entziehen, der jetzt die Veste Coburg betritt. Die Mahnung führt zurück in die Zeit um 1500, in der die Sorge um das Seelenheil übermächtig war. Sie berührt aber auch heute den, der sich davon ansprechen lässt. In einem Umfeld, das für eine Landesausstellung im 500. Reformationsjahr prädestiniert ist.

"Ritter, Bauern, Lutheraner" heißt die Schau von 250 originalen Exponaten von Leihgebern in mehreren europäischen Ländern, die die stürmischen Bewegungen und Umbrüche der damaligen Zeit widerspiegeln. Afrika, Indien und die Neue Welt wurden entdeckt. Neue Wirtschaftsräume brachten eine grundlegende Umorientierung der europäischen Handelswege mit sich und verlagerten die wirtschaftlichen Zentren von Italien und Süddeutschland in den Westen Europas. Die Furcht vor der unheimlichen Supermacht, vor den Osmanen, bewegte die Bewohner des Heiligen Römischen Reichs. Die "Türkengefahr" war Dauerthema auf den Reichstagen, so etwa auf dem Reichstag von Speyer 1529 angesichts der Bedrohung Wiens.
Es war genau dieser Reichstag, auf dem Fürsten und Reichsstädte gegen die Wiederaufnahme der Verfolgung des evangelischen Bekenntnisses protestieren. Auf diese "Speyerer Protestation" geht auch der später geprägte Begriff "Protestantismus" zurück.

Wohl stehen Martin Luthers Theologie und seine Konfrontation mit Kaiser Karl V. im Zentrum der Schau in der Veste Coburg. Eine Lutherausstellung im engen Sinn ist die Präsentation jedoch nicht. Das zeigt sich eindrücklich bei einem Rundgang durch die historischen Räume mit Chefkurator Peter Wolf.
Obwohl: Die Veste selbst - ehemals militärisches Bollwerk der kursächsischen Landesherrn - ist das herausragende Ausstellungsobjekt als Luthergedenkstätte schlechthin. Martin Luther verbrachte dort 1530 ein halbes Jahr, in Sicherheit vor der Vollstreckung der Reichsacht und in förmlicher Schreibwut. Zum einen arbeitete er an seiner Bibelübersetzung, zum anderen verfasste er über hundert Briefe, mit denen er Einfluss auf die Verhandlungen des Augsburger Reichstages und die dort verkündete "Confessio Augustana" nahm.
Am Beispiel einzelner Objekte erzählt Kurator Wolf die dynamische Geschichte von Rittern, die ihren letzten Kampf kämpfen. Von Bauern, die aufstehen, und von Stadtbürgern, bei denen es gärt. Buchdruck, Flugschriften, Kampflieder bringen neue Ideen unter die Leute. Jahrhundertealte Gewissheiten geraten ins Wanken. Martin Luther schlägt - wo auch immer in Wittenberg - seine 95 Thesen gegen den Ablasshandel an. In der Veste Coburg ist es ein symbolisches Scheunentor, auf dem seine neuen Gewissheiten und neuen Lehren angenagelt sind.

Luthers Thesen, die sich rasch im ganzen Land verbreiten, bringen eine bisher fest gefügte, christliche Welt in Unordnung. Der Streit um den rechten Glauben entbrennt unter den Theologen, den Fürsten und in der Bevölkerung. Vom armen Bauern bis zum Kaiser, vom Bettelmönch bis zum Papst erreichen die Reformatoren alle gesellschaftlichen Schichten auf evangelischer, katholischer und reformierter Seite. Ungewöhnliche Originale aus jener Zeit, Holzschnitte von Albrecht Dürer, Kunstwerke von Lucas Cranach und vielen anderen Meistern beleuchten die sozialen, wirtschaftlichen, politischen und künstlerischen Traditionen und Entwicklungen vom späten 15. Jahrhundert bis in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts.

Multimedial aufbereitete Inszenierungen verlocken zum Mitmachen. Eine Station beherrscht die schlichte Frage "Was isst der Bauer um 1500?". Per Touchscreen kann die Antwort gefunden werden: Hirsebrei? Schaf? Milch? Wer richtig tippt, bekommt eine ausführliche Erläuterung zu den jeweiligen Lebensmitteln geliefert. Eine andere Station bündelt den Sinngehalt und roten Faden der Landesausstellung: "Von der Freiheit" handeln die zahllosen Zitate, die auf Wand und Boden projiziert sind. Kurator Wolf will diese Installation nicht als Statement verstanden wissen, sondern als "Anregung zur Diskussion über Freiheit" - nicht nur des Christen im Lutherschen Sinn. "Was hat es mit dem viel zitierten Konzept der evangelischen Freiheit auf sich, die sich verschiedene Parteien auf die Fahnen schrieben, ohne dabei das Gleiche zu meinen? Und wie sehen die heutigen Möglichkeiten von Freiheit aus?"
Für Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, auf dessen Initiative diese Bayerische Landesausstellung zurückgeht, bietet die "Freiheit eines Christenmenschen, die für die Reformation so wichtig war und die wir als Kirchen in ökumenischem Geist heute neu entdecken", eine Grundlage für die Gestaltung der Welt.