Druckartikel: Eine der wenigen Rabbinerinnen kommt nach Bad Rodach

Eine der wenigen Rabbinerinnen kommt nach Bad Rodach


Autor: Stefanie Karl

Bad Rodach, Mittwoch, 15. April 2015

Drei Tage pro Woche trägt Antje Yael Deusel den Arztkittel, zwei Tage die Kipa, die traditionelle Kopfbedeckung der Juden. Am 19. April referiert sie in Bad Rodach.
Antje Yael Deusel am Studientag Augustana Foto: Tobias Barniske


Antje Yael Deusel ist promovierte Urologin und die erste deutschstämmige Jüdin, die nach dem Holocaust in Deutschland zur Rabbinerin ordiniert wurde. Ein Jugendtraum, der in Erfüllung ging - auch wenn sich das Bild in den letzten Wochen und Monaten ein wenig getrübt hat: Die Israelitische Kultusgemeinde Bamberg, bei der sie seit ihrer Ordination 2011 als Rabbinerin tätig war, hat ihre Stellung nach lange schwelenden Streitigkeiten gekündigt. Es folgte eine Kündigungsschutzklage, dann der Gütetermin vor dem Arbeitsgericht Bamberg im März. "Auf Vorschlag meines Anwalts hat man sich auf ein Mediationsverfahren verständigt. Dieses ist aber noch nicht in Gang gekommen", fasst die Rabbinerin den aktuellen Stand der juristischen Auseinandersetzung Anfang April zusammen.

Trotz dieser Unstimmigkeiten - oder gerade deswegen - wird sie am 19.

April in einem Vortrag auf Einladung des Bad Rodacher Rückertkreises zur Situation der jüdischen Gemeinden in Deutschland referieren.

Eine urologische Ärztin lässt sich zur Rabbinerin ausbilden - ein ungewöhnlicher Schritt oder das Ziel einer langen Reise?
Antje Yael Deusel: Vor allem wollte ich den Tanach, die hebräische Bibel, und auch ihre Auslegungen, allen voran den Talmud, im Original lesen können. Eine Übersetzung, und sei sie noch so gut, ist letztlich nichts anderes als eine Deutung, eine Interpretation, geprägt vom religiösen und vom zeitgenössischen Umfeld des jeweiligen Übersetzers. Der hebräische Text bleibt aber immer derselbe, er ist Basis und Konstante. Das also war mein Traum. Und es wäre wohl auch ein Traum geblieben, wenn nicht - ja, was war es? Sagen wir mal, was es nicht war; es war keine plötzliche Erleuchtung, keine Eingebung vom Himmel, keine Vision, und auch kein Drang zur Selbstverwirklichung. Es war eine Entwicklung über viele Jahre hinweg.

Sie sind die erste deutschstämmige Jüdin, die nach dem Holocaust in Deutschland ausgebildet wurde. Welche Gefühle, welche Erwartungen an die eigene Person gehen mit diesem Status einher?
Keine anderen, als wenn ich die soundsovielte Rabbinerin wäre. Meine Arbeit besteht größtenteils aus Seelsorge, Gottesdienst und Unterricht, ganz unspektakulär. Was ist so interessant an einem Gemeinderabbiner? Warum geht man nicht einfach den Stadtpfarrer interviewen? Zum einen ist es sicher auch der Umstand, dass ich ein weiblicher Rabbiner bin - und davon gibt es in Deutschland bislang sehr wenige. Der andere Aspekt ist sicher auch, dass Rabbiner in Deutschland immer noch reinste Mangelware sind, noch dazu gilt Jüdisch-Sein wohl irgendwie als "exotisch". Ich selbst will der jüdischen Gemeinschaft dienen als Lehrende und Lernende, als Predigerin und Seelsorgerin, als Begleiterin in Festen und Alltag, in guten und in weniger guten Tagen.

Antisemitismus und Judenfeindlichkeit existieren noch lange nach dem Dritten Reich, auch im toleranten 21. Jahrhundert brennen immer wieder Synagogen, herrscht judenfeindliches Gedankengut vor. Gibt es persönliche Erfahrungen mit dieser Feindseligkeit?
Ja, schon, insbesondere im Zusammenhang mit der Beschneidungsdiskussion. Hier wurden teils sehr konkrete Drohungen, auch gegen meine Familie, ausgebracht, interessanterweise komplett mit Anschrift, Fax, Handy und E-Mail-Adressen. Alle diese Drohungen - Schädigung, Misshandlung, Verstümmelung, Morddrohungen - wurden übrigens offiziell registriert, schon aus Sicherheitsgründen. Dennoch sehe ich die Notwendigkeit nicht, mir durch Bedrohungen mein Leben einschränken zu lassen.

Was hilft eventuell, Berührungsängste mit dem Judentum abzubauen?
"Man fürchtet nur, was man nicht kennt" - das bedeutet, dass wir auf einander zugehen müssen, einander begegnen, einander kennenlernen, damit wir einander in unserer jeweiligen Verschiedenheit akzeptieren können. Unsere interreligiöse Fraueninitiative hat schon vor vielen Jahren mit dieser Arbeit begonnen und mit ihren Begegnungsprogrammen geholfen, Berührungsängste und Vorurteile abzubauen. In diesem Zusammenhang ist auch der Besuch von Schulklassen in unterschiedlichen Religionsgemeinschaften ein wichtiger Baustein für eine friedlichere Zukunft.

Unlängst hat der Streit um eine Straßenbenennung nach dem Coburger Unternehmer und zeitweiligen NSDAP-Parteimitglied Max Brose zu heftigen - auch überregionalen - Diskussionen geführt; zuletzt hatte der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, den Beschluss des Kommunalparlaments heftig kritisiert. Wie gehen ganz normale Mitglieder jüdischer Gemeinden in Deutschland mit solchen Themen um?
Es ist schon von entscheidender Bedeutung, welchen kulturellen Hintergrund ein Gemeindemitglied hat. Für unsere Zuwanderer und ihre Nachkommen ist es einfach schwierig, die lokalen Hintergründe zu verstehen. Es gibt aber durchaus die deutschen Gemeindemitglieder, Nachkommen von Rückwanderern nach Deutschland nach dem Holocaust und auch Nachkommen von DPs - Displaced Persons, den Befreiten aus den Lagern - , die sehr genau die lokale Szene beobachten und auch diskutieren. In dieser Gruppe finden Sie die Menschen, die über diese Dinge auch entsprechend diskutieren, auch über unsere Gemeinde hinaus.