Druckartikel: Ein Radeberger in Coburg: Roland Kluttig dirigiert Beethoven zum Tag der Einheit

Ein Radeberger in Coburg: Roland Kluttig dirigiert Beethoven zum Tag der Einheit


Autor: Jochen Berger

Coburg, Donnerstag, 01. Oktober 2015

Der Dirigent Roland Kluttig wurde in Radeberg geboren und an der Musikhochschule Dresden künstlerisch ausgebildet. Seit fünf Jahren ist er Generalmusikdirektor in Coburg. Wie er die Wiedervereinigung erlebt hat, verrät er im Gespräch.
Heimisch geworden: Coburgs Generalmusikdirektor Roland Kluttig auf einer Bank im Hofgarten. Foto: Archiv/Andrea Kremper


Mit einem Festkonzert feiert das Landestheater am Samstag das Jubiläum "25 Jahre Deutsche Einheit". Auf dem Programm stehen ausschließlich Werke von Beethoven - sein Violinkonzert und seine 5. Symphonie. Am Dirigentenpult: Coburgs Generalmusikdirektor Roland Kluttig. Seine künstlerische Vita ist ein Spiegelbild deutsch-deutscher Geschichte.

Welche Erinnerungen an den 3. Oktober 1990 verbinden Sie?
Roland Kluttig:
Da muss ich nachdenken. Am 3. Oktober war ich gar nicht in Deutschland. Mit einem Stipendium der Akademie Schloss Solitude Stuttgart, einer Art Reisestipendium, war ich in London und hatte dann - dank der vorangegangenen Bach-Akademie-Erfahrungen mit John Eliot Gardiner und seinen wunderbaren English Baroque Soloists - schon die Gelegenheit, mit diesen Musikern in London ein kleines Konzert zu geben.

Welche Erwartungen hatten Sie bei der Wiedervereinigung 1990?
Mit vielen Kommilitonen war ich im Oktober und November 1989 auf der Straße gewesen, wir haben in der Hochschule intern versucht, ganz viel zu bewegen, zu verändern. Gleichzeitig merkte man aber auch, dass einen die harte D-Mark und das Tempo der Veränderungen überrollten. Man fühlte sich schon auch etwas an den Rand gedrängt. Ich fand die Wiedervereinigung letztlich als ganz logische Entwicklung, aber in meiner damaligen Wahrnehmung kam das alles zu schnell.

Sie sind jetzt seit fünf Jahren Generalmusikdirektor am Landestheater einer ehemaligen Grenzstadt. Welchen ersten Eindruck hatten Sie von Coburg?
Coburg hat mich eher an Thüringen und Sachsen erinnert als an Bayern - schon der Fußweg vom Bahnhof in die Innenstadt. Und ich war überwältigt, als ich zum ersten Mal den Schlossplatz betreten habe.

Spüren Sie noch ein Fluidum von ehemaliger Grenzstadt?
Nein, ganz und gar nicht. Man kann sich vielleicht mit der Vergangenheit als Grenzstadt manche Coburger Besonderheiten erklären, aber ich selbst erlebe Coburg keineswegs als ehemalige Grenzstadt. In Coburg steckt allerdings viel mehr Potenzial, als abgerufen wird. Ich habe manchmal das Gefühl, Coburg versteckt sich.

Sie arbeiten seit fünf Jahren in Coburg. Fühlen Sie sich als Coburger, als Coburger auf Zeit?
Das ist eine ganz schwierige Frage. Ich fühle mich als Deutscher, als Ostdeutscher, ich fühle mich ein Stück weit als Coburger, als Sachse, auch als Europäer - das kommt immer auf den Rahmen an. Ich habe am Sonntag den "Freischütz" in der legendären Inszenierung von Achim Freyer in Stuttgart dirigiert. Das war so eine schöne Aufführung, dass ich für mich dachte, das war doch "deutsch" im besten Sinne. Die Inszenierung stammt aus dem Jahr 1980 - die habe ich schon als Teenager im West-Fernsehen gesehen. Unfassbar, wie richtig diese Inszenierung noch immer ist. Und sie stammt von einem damals in den Westen gegangenen großen ostdeutschen Künstler.

Wie verändern Ihre internationalen Gastspiele den Blick auf Deutschland?
Wenn man viel international tätig ist, lernt man gleichzeitig schätzen, was die anderen Nationen toll machen. Man lernt aber auch schätzen, was das eigene Land, die eigene Kunst auszeichnet. Ich werte das nicht, ich finde es toll, dass es die Unterschiede gibt. Und ich finde toll, wie sich das alles gegenseitig befruchtet. Natürlich sind Beethoven und Weber deutsche Komponisten, sie sind aber auch auf die Art deutsch, wie sie sämtliche Einflüsse französischer, italienischer Kunst verarbeiten und zu ganz großen künstlerischen Ergebnissen kommen, die dann als deutsche Musik bezeichnet werden.

Für das Fest-Konzert "25 Jahre Deutsche Einheit" haben Sie ein reines Beethoven-Programm ausgewählt. Gab es signifikante Unterschiede in der Beethoven-Rezeption in Ost und West?
Ja, natürlich. Beethoven ist ein Musterbeispiel dafür, wie Musik politisch missbraucht werden kann. Zu seinen Lebzeiten war er einer, der schockiert hat. Ich glaube, Beethoven hat die Musikgeschichte mehr umgekrempelt als irgendjemand vor ihm und auch nach ihm. Beethoven war auch ein politisch wacher Geist, der sich nicht hat verbiegen lassen. Seine Musik wurde aber schon sehr bald - auch aufgrund ihrer Kraft insbesondere auch die 5. Symphonie - mindestens durch viele Deutungen missbraucht, indem sie besonders für "das Deutsche" stand.

In welche Richtung zielte die Beethoven-Rezeption in der DDR?
In der DDR hat man es sich sehr einfach gemacht und Beethoven auf die Seite der im DDR-Sinne Fortschrittsgläubigen gestellt. Man hat den Aspekt, dass Beethoven ebenso ein großer Melancholiker war, dass Beethoven riesige Fragezeichen gestellt hat, völlig ignoriert.

Es wurde sehr auf den Aspekt des Fortschritts und des Durchbruchs hin argumentiert und auch interpretiert. Im Westen kamen dagegen viele Beethoven-Biografien heraus, die ein ganz anderes Beethoven-Bild zeichnen. Trotzdem wurde auch im Westen und wird auch heute noch bei allen möglichen Staatsanlässen immer wieder Beethoven gespielt.

Wie hat sich Ihr Bild von Beethovens "Fünfter" im Lauf der Jahre verändert?
Das ist jetzt das dritte Mal, dass ich das Werk einstudiere. Als Dirigent hat man eine besondere Beziehung zur "Fünften", weil der Anfang der "Fünften" gemeinhin als das Schwierigste für den Dirigenten überhaupt gilt. Was ich entdeckt habe, ist Folgendes: Obwohl die "Fünfte" so eine kompakte Erscheinungsform hat, obwohl sie so durchkomponiert ist wie keine andere Beethoven-Symphonie, bietet diese Symphonie eine Vielfalt, die ich gar nicht erwartet hatte. Insbesondere der zweite Satz mit seinen oft unerwarteten Wendungen ist für mich fast ein bisschen das Zentrum des Stückes, obwohl er in diesem Umfeld von Gewalt wie eine Insel wirkt.

Wie hat sich das Deutschlandbild im Ausland in den letzten 25 Jahren gewandelt?
Das Berlin-Bild prägt die Wahrnehmung Deutschlands im Ausland. Die Popularität Berlins bei der Jugend Europas, die Freiheit, die Berlin verkörpert. Die Deutschen haben bei ganz vielen Gelegenheiten gezeigt, wie offen sie sind und wie sehr sie damit einem Deutschland-Bild aus der Nazi-Zeit widersprechen. Deutschland wird im Ausland für ganz viele Dinge bewundert - auch für die Kultur-Szene, die Theater-Szene. Ein solches kulturelles Angebot auch in kleinen Städten - das ist weltweit einmalig. Man sollte auch nicht glauben, weil es weltweit einmalig ist, sollte man es hier abschaffen oder verkleinern. Die Welt bewundert uns dafür.


Coburger Konzert-Saison startet mit Beethoven

Roland Kluttig Der aus Sachsen stammende Dirigent ist seit 2010 Generalmusikdirektor in Coburg und hat mit den Produktionen der Opern von Gluck, Weber, Verdi, Wagner, Puccini oder Janácek für großes überregionales Interesse gesorgt. In der Neuen Musik hatte Kluttig in den 90er-Jahren als Musikalischer Leiter des Kammerensembles Neue Musik Berlin seine ersten Erfolge geerntet. Er arbeitet regelmäßig mit Orchestern wie dem hr Sinfonieorchester Frankfurt, dem SWR Sinfonieorchester, der Dresdner Philharmonie, London Philharmonia, Seoul Philharmonic und Prague Philharmonia zusammen. 1968 in Radeberg geboren, erhielt Kluttig seine künstlerische Ausbildung an der Musikhochschule Dresden.

Konzert-Tipps Festkonzert "25 Jahre Deutsche Einheit", Samstag, 3. Oktober, 18 Uhr, 1. Sinfoniekonzert, Montag, 5. Oktober, 20 Uhr. - Beethoven: Violinkonzert, 5. Symphonie; Antje Weithaas (Violine), Dir.: Roland Kluttig