Präventionsbeauftragte schätzt: Jeder vierte Jugendliche in Coburg nimmt Drogen
Autor: Christiane Lehmann
Coburg, Mittwoch, 19. Oktober 2016
Die Suchtpräventionstage beginnen am Donnerstag. Kriminaloberkommissarin Karin Brandl schätzt jeder vierte Coburger Jugendliche konsumiert Drogen.
Die Fakten sind traurig: Die Zahl der Drogentoten stieg im Raum Coburg, Kronach, Lichtenfels in den vergangenen fünf Jahren von zwei auf mittlerweile zehn. Auch die Einsätze wegen hilfloser oder randalierender Personen - verursacht durch Drogenkonsum - nehmen zu. Neben Marihuana, Haschisch und Cannabis konsumieren mittlerweile 14-Jährige auch Crystal Meth und neue psychoaktive Substanzen. Frauenärzte aus der Region nehmen verstärkt wahr, das Schwangere weiter Drogen nehmen und ihr Kind damit hochgradig gefährden.
Das Großverfahren im Betäubungsmittelsektor, wie es im Sommer im Polizeibericht hieß, beschäftigt auch bei der Coburger Justiz zahlreiche Richter und Anwälte. Vier Dealer, die allesamt unters Jugendstrafrecht fallen, hatte die Polizei im Visier, da sie seit 2015 einen schwunghaften Handel mit Betäubungsmitteln im Stadtgebiet betrieben.
Einer von ihnen wurde bereits zu zwei Jahren auf Bewährung und einem vierwöchigen Warnschussarrest verurteilt. Gegen etwa 60 jugendliche Abnehmer aus Coburg laufen die Verfahren beziehungsweise noch Ermittlungen, sagt Christian Pfab, Pressesprecher und Richter am Landgericht.
Haschisch-T-Shirt ist chic
Für eine 15-jährige Gymnasiastin, die anonym bleiben möchte (Name der Redaktion bekannt), ist das nicht erschreckend. "Jeder zweite raucht irgendwas", sagt sie im Gespräch mit dem Tageblatt, überlegt kurz und sagt dann: "Eigentlich sind es noch mehr!" Es gehe ums Kiffen, weniger um die ganz harten Drogen. Es sei chic mit Haschischpflanzen auf dem T-Shirt rumzulaufen, Witze über Drogen zu machen. Heimliches Getue gebe es deswegen nicht. "Das ist kein Aufreger mehr. Es ist halt so, hat sich normalisiert, weil es so gut wie jeder macht!", erzählt das Mädchen. Die Jungs würden in der 9. Klasse anfangen, die Mädchen eher später. Aber in der Schule werde nicht geraucht, weder auf dem Pausenhof, noch in den Klassenzimmern.Das unterstreicht auch Karin Brandl, Kriminaloberkommissarin und Drogen-Präventionsbeamte in Coburg. In der Schule werden Tüten vertickt oder getauscht. Vereinbarungen darüber werden über die sozialen Netzwerke getroffen.
Das Gerücht, der Coburger Friedhof, umgeben von den weiterführenden Schulen, sei Umschlagplatz und Treffpunkt der Dealer kann Karin Brandl nicht bestätigen. Natürlich seien auch dort schon Observationen durchgeführt worden.
Ihrer Einschätzung nach habe nicht jeder zweite Jugendliche Kontakt mit Drogen, sie spricht von etwa jedem vierten. Aber nahezu alle Jugendlichen wissen über Drogen Bescheid. "Oder sagen wir besser, sie glauben Bescheid zu wissen. Es sind so viel Un- und Halbwahrheiten im Umlauf. Alles wird probiert - ohne Rücksicht auf den eigenen Körper," ergänzt Karin Brandl.
Im Rahmen der Suchtpräventionstage besucht sie in der Zeit von 24. bis 27. Oktober mehrere Schulen und spricht mit Achtklässlern über die Situation. Begleitet wird sie dabei von einer Zwölfjährigen, die bereits erste Erfahrungen mit Drogen gesammelt hat und darüber erzählt.
Prävention in der Familie
Für die Drogenpräventionsbeauftragte ist das Elternhaus und die Familie der entscheidende Faktor für die kindliche Entwicklung. Die Vorbildfunktion von Vater und Mutter seien nach wie vor wichtig. Kinder zu einem gesunden Selbstbewusstsein zu erziehen, ist die große Herausforderung."Heutzutage bekommen die Eltern doch oft gar nicht mehr mit, was abends hinter der Kinderzimmertür passiert." Von 25 Achtklässlern seien zwei bis vier jede Nacht bis 2 oder 3 Uhr wach, um im Internet zu surfen, zu chatten oder zu spielen.
Es wird im Netz bestellt
Auch jegliche Art von Drogen, ob gewöhnliches Haschisch, gefährliche Kräutermischungen, Crystal Meth oder psychoaktive Substanzen seien dort erhältlich. "Im Netz wird bestellt und es werden Absprachen getroffen, das kriegt keiner mehr mit," so Brandl. Deshalb lautet einer ihrer Tipps für Eltern: Abends die Handys einsammeln, nicht so viele Konsolen anschaffen, die Computer ausmachen. "Verherrlichende Erfahrungsberichte von Drogenkonsumenten machen die Kinder neugierig und verführen sie zum Ausprobieren." Nur starke, selbstbewusste Kinder können "Nein" sagen und dem Druck von außen stand halten. Der Gruppenzwang sei nicht zu unterschätzen.Doch wie werden aus Kindern selbstbewusste, körperbewusste Jugendliche? Karin Brandl nennt weitere Faktoren: Eltern sollten sich immer die Zeit nehmen, mit ihren Kindern zu sprechen - am besten bei einem gemeinsamen Essen am Tag. Ein bisschen mehr Struktur (feste Abläufe, Frühstück) und weniger Freizeitdruck, Sport und Bewegung zum Ausgleich. "Wenn Jugendliche das Gefühl haben, ernst genommen zu werden, und wenn sie wissen, dass ihre Eltern immer für sie da sind, werden sie stark," ist Brandl überzeugt. Sie hält nichts von "Mama, der besten Freundin" oder "Papa, mein bester Kumpel". Grenzen setzen, helfe den Kindern.
Von heiter bis tödlich
Veranstaltungen Mit den Schwerpunkten "Crystal Meth", neue psychoaktive Substanzen ("Kräutermischungen") und "Exzessiver Alkoholkonsum" thematisiert der Arbeitskreis Suchtprävention gezielt die Gefahren der zunehmenden Verbreitung, des Konsums und Handels von Drogen und regt zur multiprofessionellen Auseinandersetzung an. Vielfältige Angebote namhafter Experten sprechen unterschiedliche Alters- und Zielgruppen an. Zahlreiche Vorträge, Seminare und Workshops vermitteln rechtliches, methodisches und Substanzwissen und stärken die Sicherheit im Umgang mit problembelasteten Betroffenen.
Auftakt Heute, Donnerstag, 18.30 Uhr, Hochschule Coburg, Brose-Aula: Selbstvertrauen - "Die Kunst Dein Ding zu machen!" Die Auftaktveranstaltung zu den Coburger Suchtpräventionstagen soll bewusst positiv gestaltet sein. Garant hierfür ist der Buchautor und Motivations- und Persönlichkeitstrainer Christian Bischoff.
Ausstellungseröffnung "Crystal & Co" am Montag, 24. Oktober, um 12.30 Uhr im Ämtergebäude, Steingasse 18, Coburg. Alle Veranstaltungen finden Sie unter http://gesundheitsregionplus.coburg-stadt-landkreis.de/
Infos und Hilfe suchtberatung.coburg@blaues-kreuz.de, suchtberatung@diakonie-coburg.de, info@halt-coburg.de, selbsthilfe@coburg.de