Distanziert in Fabians Untergang
Autor: Dr. Carolin Herrmann
Coburg, Sonntag, 21. Dezember 2014
Stühle, nichts als Stühle markieren im Landestheater Coburg Erich Kästners "Gang vor die Hunde". Gastregisseur Torsten Schilling findet in aller grotesken Abstraktion doch noch intensive Bilder.
"Glotzt nicht so romantisch", hat Bert Brecht gesagt. Mit "romantisch" meinte er gar zu mitleidend, sich identifizierend, betroffenheits-duselig. Nüchtern analysieren, erkennen und dann handeln sollt ihr, hat der göttliche BB gesagt.
Nach ähnlichem Motto blickte auch Erich Kästner auf die Extreme und die Orientierungslosigkeit der Berliner Endzwanziger, als er seine "Geschichte eines Moralisten" verfasste, der sich die Exzesse durchaus genüsslich anschaut, sich in seiner abwartenden Distanziertheit für überlegen hält und dabei alles verliert. Der 1931 veröffentlichte "Gang vor die Hunde" verläuft reflektiert satirisch, am Ende gnadenlos.
Womit Kästner ja absolut richtig lag angesichts der binnen kürzester Zeit in die Gnadenlosigkeit des Nationalsozialismus fallenden Verhältnisse.
Mit Torsten Schilling hat das Landestheater Coburg folgerichtig einen an dem von Brecht gegründeten Berliner Ensemble geschulten Regisseur geholt, der Kästners Fragen nach Moral, Verantwortung des einzelnen und Pflicht zum Handeln - für die Bühne dramatisiert von Ge org Mellert - mit entsprechender Methodik umsetzte. Das nicht gar so zahlreiche Premierenpublikum folgte am Samstag aufmerksam und dankte mit herzlich anhaltendem Applaus.
Die Coburger Bühnenwelt der gar nicht Goldenen Zwanziger besteht aus nichts als Stühlen in leerem, mehr oder weniger stimmungsentsprechend ausgeleuchteten Raum, von Ausstatterin Gabriele Wasmuth zum Teil leiterartig in den nichts versprechenden Bühnenhimmel gehängt. Damit kann das Personal die unterschiedlichen Spielorte herbeiwerkeln, versuchen hochzuklettern, kippen, herunterfallen, sich um sich selbst wenden auf der als hässliches Karussell des Großstadt-Lebens wirkenden Drehbühne. Massen an Tageszeitungen repräsentieren Politik, Gesellschaft, äußere Welt. Musikeinspielungen geben dann doch einiges an Emo tion.
Ein stürzender Engel
Ingo Paulick als zunächst noch frecher Dr. Jakob Fabian geht in die Kneipen und Bordelle, zu den exzessiv tuenden, wie das gesamte Personal originell grotesk ausgestatteten Huren, sieht die Torkelnden und Abstürzenden, die Schleimer, die zynisch Tretenden wie die Getretenen. Sie alle werden von Eva-Marianne Berger, Katja Teichmann und Niklaus Scheibli prägnant in den unterschiedlichen Kostümierungen und Rollen dargestellt. Fa bian diskutiert mit seinem Freund Labude (Frederik Leberle), dem linken, an Rettung glaubenden Aktivisten, der aber den persönlichen Absturz verweigert und Selbstmord begeht.
Konzentrieren täte not
Das zieht sich alles, so wie es vorgeführt wird, recht langwierig dahin, bis Torsten Schilling zu symbolisch deutlich stärker aufgeladenen, also am Ende doch über Herz und Seele, und eben nicht nur über den diskursiven Verstand wirkenden Bildern findet, den mit Riesenflügeln stürzenden Engel Labude etwa, die aufkeimende Liebe zu Cornelia (Anne Rieckhof).
Stephan Mertl erreicht übrigens als über dem Entsetzen tänzelnder Bettler, eigentlich aber genialer Erfinder, wieder traumhafte Momente der Hellsichtigkeit.
Die insgesamt zweidreiviertel Stunden Spielzeit könnten gestrafft an Wirkung und Prägnanz gewinnen. Erst die nur noch kurze Phase nach der Pause, als es Ingo Paulick gestattet ist, den Schmerz Fabians im Desaster zu zeigen, wird eindrücklicher, thea tral packend. - Soll es doch gar nicht? Wir sollen doch über den Verstand... Wer's glaubt, wird Brecht-selig. Nur, was hat er davon?
Landestheater Coburg "Fabian - Geschichte eines Moralisten", Schauspiel nach dem Roman von Erich Kästner, für die Bühne bearbeitet von Ge org Mellert. Inszenierung Torsten Schilling, Ausstattung Gabriele Wasmuth, Dramaturgie Dirk Olaf Hanke. Darsteller: Ingo Paulick, Frederik Leberle, Anne Rieckhof, Eva Marianne Berger, Stephan Mertl, Niklaus Scheibli, Katja Teichmann
Weitere Termine: 28. Dezember, 2., 16. Januar, 19.30 Uhr
Hintergrund Erich Kästners (1899 - 1974) Roman "Fabian - Die Geschichte eines Moralisten", die gekürzte Fassung des als zu freizügig eingestuften "Der Gang vor die Hunde", erschien 1931 bei der Deutschen Verlags-Anstalt. Er entwirft ein satirisches Gesellschaftsbild Berlins am Vorabend der Machtergreifung Hitlers. Der Roman kann als das Hauptwerk Kästners, den viele zunächst mit seinen Kinder- und Jugendbüchern in Verbindung bringen, bezeichnet werden. "Fabian" war auch einer der Steine, an denen sich die Nationalsozialisten stießen. Die Schriften Erich Kästners wurden am 10. Mai 1933 ebenso auf dem Berliner Opernplatz verbrannt, wie die von Heinrich Mann oder Bert Brecht.