Druckartikel: "Dieser Angriff wird nachhallen"

"Dieser Angriff wird nachhallen"


Autor: Wolfgang Desombre

Coburg, Freitag, 08. Januar 2021

Als ehemaliger Polizist kümmert sich der Coburger Arpad von Schalscha-Ehrenfeld um die Sicherheit der deutschen Botschaft in Washington D.C. und erlebt das politische Erdbeben beim Sturm auf das Kapitol.
Dramatische Szenen spielten sich am Mittwoch beim Sturm auf das Capitol ab. Foto: dpa


Als nicht direkt betroffener Ausländer, der in absehbarer Zeit die USA wieder verlassen wird, könnte man über die Ereignisse im Zusammenhang mit der Präsidentenwahl und dem sich daran anschließenden "Gezerre" um die Rechtmäßigkeit des Wahlausgangs eigentlich nur milde lächeln, wenn es nicht so ernst wäre, denkt der pensionierte Polizeihauptkommissar Arpad von Schalscha-Ehrenfeld. "Was sich in der Zentrale der politischen Macht in den USA abspielt, ist aus deutscher Perspektive betrachtet eigentlich unvorstellbar", sagt der Coburger, der zurzeit als "Blauer Bär" an der Deutschen Botschaft in Washington D.C. tätig ist. Er ist dort als Sicherheitsbeamter eingesetzt.

Am Abend des 5. Januar hatte er sich schon gewundert, als er den ansonsten meist verwaisten Fitnessraum des Hotels betrat. Ein halbes Dutzend athletische, tätowierte Sporttypen stemmten schwere Gewichte oder wollten überhaupt nicht mehr mit Liegestützen aufhören. "Alles Trump-Unterstützer", sagte die Dame am Empfang. Das war Schalscha-Ehrenfeld auch schon vorher klar, denn jeder trug entsprechend beschriftete Muskelshirts und Basecaps. Dabei ist das öffentliche Leben im Ballungsbereich Washington/Virginia/Maryland pandemiebedingt stark eingeschränkt, auch wenn kein verordneter Lockdown besteht. Das öffentliche Leben wirkt zunehmend "eingedampft", die Metro und die Busse verkehren auch zu Stoßzeiten so gut wie unbesetzt und auf die Straße geht man vernünftigerweise nur, wenn man unaufschiebbare Erledigungen vorhat.

Am Dienstag, 5. Januar, waren dann in Washington noch mehr Geschäfte mit Sperrholzbrettern verrammelt. Noch-US-Präsident Donald Trump hatte für den Folgetag seine Unterstützer aufgerufen, zu mehreren Demonstrationen in die Hauptstadt zu kommen, um gegen den unterstellten Wahlbetrug zu protestieren.

Zeitgleich fanden in Georgia Stichwahlen statt, keiner der dortigen Kandidaten hatte bis zu diesem Zeitpunkt die absolute Mehrheit erreicht und der Ausgang dieser Wahl entschied für die kommende Wahlperiode über die Mehrheit im Senat. Diese ist für die Handlungsfähigkeit der Biden-Administration essenziell. "Nur um nicht missverstanden zu werden: Weiß Gott nicht jeder Trump-Unterstützer ist ein Rabauke", betont Schalscha-Ehrenfeld, "die ganz überwiegende Mehrheit sind vernünftige Staatsbürger." Allerdings sei der Anteil an sich in dieser Masse bewegenden Extremisten unübersehbar. Er fügt hinzu: "Wer Augen hat zu sehen und eins und eins zusammenzählen kann, der hätte erkennen müssen, was unkluge Einlassungen am Folgetag für eine Wirkung entfalten können."

Dass der 6. Januar 2021 ein geschichtsträchtiger Tag werden könnte, hätten sein Kollege und er irgendwie schon beim Frühstück fühlen können.

Ein blödes Bauchgefühl

Schalscha-Ehrenfeld schildert seine Eindrücke so: "Alles war anders als sonst, kaum einer hielt sich an die Gesundheitsvorgaben, die Sportler von gestern trugen jetzt teilweise Militär-Surplus-Klamotten oder sonstige Funktionsbekleidung, die man anzieht, wenn man wohin zu gehen beabsichtigt, wo es ungemütlich werden könnte. Wir beide, jeweils ehemalige, in Ehren ergraute Polizeibeamte, hatten ein ganz blödes Bauchgefühl und setzten uns so weit abseits wie möglich, weg von den ,Superspreadern‘; und dann schnell den Ober geordert, um aus dem Dunstkreis rauszukommen."

Der weitere Verlauf des Tages mit seinen dramatischen Entwicklungen werde noch lange nachhallen. Außer 1814, als die Briten das Gebäude niederbrannten, habe es in der amerikanischen Geschichte zu keinem Zeitpunkt einen solchen Angriff auf die Handlungsfähigkeit eines Verfassungsorgans gegeben.

Das Kapitol war zwischenzeitlich gestürmt, die politische Arbeit zwangsweise unterbrochen, Vandalismus, Körperverletzungen gegen viel zu wenige Polizeibeamte. Am besten beschreibe diesen Überfall aufs Kapitol der in der Berichterstattung genannte Begriff "homemade terrorism", hausgemachter Terrorismus.

Als vergangenes Jahr in den Fluren des Deutschen Bundestages Parlamentarier belästigt und genötigt wurden, so sei dies im Grundansatz schon mit den Ereignissen in Washington vergleichbar, allerdings glücklicherweise von "geringerer Qualität", wie sich der Ex-Polizist aus Deutschland ausdrückt. Die USA hätten "noch eins draufgesattelt". Präsident Trump habe die Büchse der Pandora geöffnet. Den von der Leine gelassenen Geist wieder einzufangen, dürfte selbst auf weite Sicht eine kaum zu lösende Aufgabe sein. Der angerichtete politische Scherbenhaufen sei riesig, berge aber auch Chancen, dass man jetzt endlich aufwacht und sagt: bis hierher und nicht weiter.

Die offizielle Amtseinführung des Präsident elect Biden am 20. Januar ist dann hoffentlich nur noch eine Formalie und in ihren direkten Auswirkungen auf dieses Datum im Vergleich zum Geschehen am 6. Januar wohl nur eine Marginalie. Schalscha-Ehrenfeld: "Man wird das beobachten. Auf jeden Fall ist es derzeit nicht ganz uninteressant hier in Washington." des