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Die Wirtschaftsschule in Coburg und die neue Rolle des Lehrers


Autor: Christiane Lehmann

Coburg, Mittwoch, 24. Juni 2015

Die Wirtschaftsschule in Coburg ist bayernweit mit Vorreiter. Oberstudienrat Christoph Gradl mag sich gar keine andere Unterrichtsform mehr vorstellen - auch, wenn Lehrer und Schüler umdenken müssen.
Weg vom Frontalunterricht, hinein in die Praxis: Christoph Gradl freut sich, dass seine beiden Schüler Benjamin und Mirco so viel Spaß bei der Arbeit haben. Fotos: Christiane Lehmann


Formulare ausfüllen, Versicherungen lesen und einschätzen, Überweisungen tätigen, Lieferscheine und Rechnungen schreiben - Schüler sollen künftig besser aufs Leben vorbereitet werden. Der Lehrplan plus soll dabei helfen. Offiziell heißt es, die neuen Lehrpläne, die zum Schuljahr 2015/16 bayernweit an allen Schulen schrittweise eingeführt werden, sind "kompetenzorientiert". Im Klartext: Schüller sollen sich "Werkzeuge" schaffen, die sie zur Lösung lebensweltlicher Problemstellungen befähigen.

Einer, der seit einem Jahr bereits Erfahrungen mit dem neuen System sammelt, ist Oberstudienrat Christoph Gradl von der Wirtschaftsschule Coburg. Und er ist begeistert. Nennt den Lehrplan plus "zukunftsorientiert" und "vernünftig".

Seine Kollegen in der Wirtschaftsschule konnte er mitreißen - auch, wenn die Rolle des Lehrers neu definiert ist. Lehrkräfte werden zum Berater, Begleiter und Beobachter der Lernenden - weit weg vom Tafelunterricht. Es gibt keine One-Man-Show mehr. Teamarbeit wird großgeschrieben.
Auch die Schülerinnen und Schüler entwickeln sich blendend durch die neuen Unterrichtsformen. "Stille zurückhaltende Schüler werden bei praxisbezogenen Aufgaben plötzlich munter und motiviert. Sie erkennen ihre Stärken neu und trauen sich zu zeigen, was praktisch in ihnen steckt", sagt der Pädagoge. Benjamin und Mirco aus der 9a sind zwei, denen es sehr viel Spaß macht: "Wir finden es klasse, am Computer berufsorientiert und selbstständig zu arbeiten."
Die beiden sind in der Übungsfirma Coburger Porzellan-Manufaktur (CPM) gerade mit Lagerlogistik und dem Posteingang beschäftigt. Vier Stunden pro Woche arbeiten sie in der fiktiven Firma - in zwei Jahren könnten sie im Unterrichtsfach "Übungsunternehmen" sogar ihren Abschluss machen. Das ist neu. Ebenso wie Mathematik als Pflichtfach, um die Chancen für weitere schulische Abschlüsse, zum Beispiel an der FOS, zu erhöhen.
Andere, die üblicherweise gerne den Stoff auswendig lernen und danach eigentlich gar nicht wissen, um was es wirklich geht, müssen erkennen, dass Verantwortung und vernetztes Denken wichtig sind, um erfolgreich arbeiten zu können. Die Vermittlung von Argumentationsfähigkeit, Urteilsvermögen, Reflexion und das Finden von Problemlösungen sind wesentliche Bestandteile des neuen Lehrplans. "Wissen bekomme ich heutzutage auf Knopfdruck", sagt Gradl, "aber auf welchen Knopf ich drücken muss und wie ich es anwende, ist entscheidend."
In den Übungsunternehmen, die es in der Wirtschaftsschule schon seit vielen Jahren gibt, wird fiktiv Unternehmensalltag gelebt. Für den Unterricht bedeutet das: Büroatmosphäre mit aufgeräumtem Arbeitsplatz, "sauberer" Sprache und gepflegtem Erscheinungsbild. "Die Schüler ziehen mit, ihnen wird die Notwendigkeit bewusst und vor allem der Sinn, der dahinter steckt", so die Erfahrung von Gradl. Die Jugendlichen merken, ob ihnen ein Job liegt oder nicht, erkennen ihre Fähigkeiten und Schwächen.
Aber er weiß auch, dass die Neuausrichtung viele Skeptiker hat und Unsicherheit herrscht. Nicht nur die Schüler müssen sich umstellen. Für die Lehrer ist es ein neues Feld. Der Unterricht muss anders geführt und auch anders vorbereitet werden. Doch Gradl steht fest dazu: "Ich kann mir keine andere Unterrichtsform mehr vorstellen und wünsche mir, dass sich die Lehrer mit Freude und motiviert drauf einlassen."