Die Sucht, das Geld, die Dealer
Autor: Katja Nauer
Coburg, Sonntag, 09. November 2014
In Tschechien und Kulmbach versorgte sich ein Coburger Brüderpaar mit Crystal. Mit dem Verkauf finanzierten sie ihre eigene Sucht. Nun stehen beide vor Gericht - und viele Zeugen schweigen, um sich nicht selbst zu belasten.
Sie waren beide abhängig und finanzierten sich ihre Sucht durch Dealerei: Ein Coburger Brüderpaar besorgte sich Crystal Speed von einer Kulmbacher Lieferantin, die als Servicekraft in einer Gaststätte arbeitete. Außerdem kauften sie in Tschechien Drogen ein und schmuggelten diese in einer Duschgelflasche ins Land. Im April 2014 wurde der jüngere der beiden Brüder verhaftet, nachdem er erneut in der Wohnung seiner Lieferantin in Kulmbach knapp 23 Gramm Crystal-Speed erworben hatte. Ein Teil davon war für den Eigenkonsum der Brüder vorgesehen. Der Rest sollte in Coburg auf dem Drogenmarkt "vertickt" werden.
"Ich wollte halt dazugehören"
Der jüngere Bruder hat eine lange Drogenkarriere hinter sich: Begonnen habe alles mit Zigaretten und Alkohol, "und was man halt alles probiert", sagte der 25-Jährige, der seit seiner Verhaftung in der Kronacher Justizvollzugsanstalt
Im Alter von 16 Jahren konsumierte er Amphetamine und Ecstasy. "Das waren drei bis fünf Gramm pro Woche", gibt der der junge Mann an. Mehrmals habe er versucht, von seiner Sucht loszukommen, sich Arbeit gesucht und Kontakt zur Drogenberatung aufgenommen. Er begann eine Therapie, die er nicht zu Ende brachte, und wurde mehrmals verhaftet. Das Vorstrafenregister des jungen Mannes, der keinen Beruf erlernt hat, listet sechs Einträge, die größtenteils in Zusammenhang mit seiner Drogensucht stehen. Nach seiner letzten Therapie blieb der Angeklagte fast fünf Monate "sauber", bevor ihn seine Sucht erneut besiegte. "Sie haben sich alles kaputt gemacht", kommentiert Vorsitzender Richter Gerhard Amend.
Der 28 Jahre alte Bruder, der ebenfalls keine Berufsausbildung hat, besuchte als Kind ein sonderpädagogisches Förderzentrum. Bereits im Alter von zwölf Jahren habe er Haschisch genommen, erklärte er. Mit 17 Jahren konsumierte er Crystal. "Sie sind seit elf Jahren abhängig?", hakte Amend nach. Nun muss sich der arbeitslose Mann aufgrund dieser Aussage amtsärztlich untersuchen lassen.
"Mein Bruder hat nie gedealt", sagte der 25-Jährige aus. Lediglich zum Eigenbedarf will er ihn mit geringen Mengen Rauschgift versorgt haben. Das lässt das Gericht nicht gelten: Mit ihrer polizeilichen Aussage konfrontiert, geben beide Angeklagte schließlich zu, ihr Geld zusammengelegt und Drogen gekauft zu haben.
Verfallserscheinungen
Ein Gutachter bescheinigt dem jüngeren Bruder eine schwere Suchterkrankung, die mit den typischen Symptomen bei Crystal-Konsum einhergeht: Hoher Gewichtsverlust, angegriffene Zähne und beschädigter Zahnschmelz. Einen Therapieerfolg hält er - trotz wiederholter Rückfälle des Angeklagten - für möglich. Allerdings rät er zu einer Langzeittherapie von 18 Monaten. Sein Coburger Umfeld sollte der junge Mann zukünftig vermeiden.
Insgesamt zehn Zeugen bot die Anklage auf, darunter vier Lieferanten des Brüderpaars, die aufgrund ihrer noch offenen Verfahren teilweise die Aussage verweigerten. Die Kulmbacher Servicekraft, bei denen das Brüderpaar Crystal Speed gekauft hat und gegen die ebenfalls ein Verfahren anhängig ist, machte jedoch Angaben: 75 Euro will sie pro Gramm Crystal erhalten haben. Im Austausch dafür hätten die Angeklagten ihr auch Haschisch mitgebracht. Das habe sie mit acht Euro pro Gramm verrechnet.
Die ehemalige Freundin des jüngeren Bruders treibt das Gericht auf die Palme: Ja, sie habe Crystal konsumiert, sagte sie aus. Finanziert habe sie das mit dem Geburtstagsgeld ihrer Großeltern. "Das haben sie in Drogen umgesetzt?", fragte Amend, der die Zeugin mahnte, bei der Wahrheit zu bleiben. "Das schlimmste sind Frauen, die ihre Exfreunde schützen."
Zeugen widerrufen
Gleich zwei Zeugen behaupteten, ihre polizeiliche Zeugenaussage sei nicht richtig, was Staatsanwalt Stephan Jäger aufhorchen ließ. Die Verlobte eines der Drogenlieferanten stritt vehement ab: Sie habe niemals ausgesagt, dass sie bei ihm Geld und Drogen gesehen habe. Auch ein Dealer aus Neustadt wollte nicht ausgesagt haben, dass er beim jüngeren Bruder 20 Gramm Crystal gesehen habe. Die Worte seien ihm von den Polizeibeamten in den Mund gelegt worden. Er habe acht Stunden lang gearbeitet, als er vernommen worden sei: "Ich hatte Hunger und hätte alles unterschrieben, ich wollte nur noch nach Hause." Der zuständige Ermittlungsbeamte sagte aus, dass ihm Details zu der Zeit noch gar nicht bekannt gewesen seien. Zur Klärung - schließlich geht es um Falschaussage oder falsche Verdächtigung - wird ein zweiter Ermittlungsbeamter geladen. Die Verhandlung wird am 13. November und 4. Dezember fortgesetzt.