Die Ränder der Strömung
Autor: Simone Bastian
Coburg, Mittwoch, 08. Juli 2015
Die Akademie des Technologiezentrums Automotive Coburg hat eine Buchreihe aufgelegt: "Zwischen den Welten" spähen Professoren und Dozenten der Hochschule Coburg über die Grenzen ihrer Fachgebiete.
Wissenschaftler gehen in ihrem Fachgebiet gern in die Tiefe, sagt Professor Jürgen Krahl, Vorstandssprecher des Technologietransferzentrums Automotive Coburg (TAC). Aber "wer in die Tiefe geht, weiß fast alles über fast nichts". Am TAC arbeiten Spezialisten verschiedener Disziplinen zusammen, und damit das funktioniert, müssen alle wenigstens ein bisschen von dem wissen, was die anderen tun. "Interdisziplinarität" heißt das Schlagwort, das nicht nur für den "Coburger Weg" steht, sondern auch für die neue Buchreihe der TAC-Akademie.
Der "Coburger Weg", wo die Studierenden von Anfang an dazu angehalten werden, über die Grenzen ihrer Studienfächer hinaus zu blicken, sei "das wohl bedeutendste Projekt" der Hochschule Coburg, meint Krahl. Mit der Buchreihe "Zwischen den Welten" sollen auch die Dozenten und Professoren animiert werden, an die Ränder ihrer Fachgebiete zu spazieren und darüber hinwegzuspähen.
Der erste Band tut noch so, als ginge es um eine klassische Institutsbuchreihe: Martin Keller, Absolvent des Studiengangs Physikalische Technik in Coburg, schildert darin die Ergebnisse seiner Doktorarbeit, die er am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme in Freiburg schrieb. Da geht es darum, mit welcher Technologie sich möglichst dünne und gleichmäßige Siliziumschichten auf Solarmodule aufbringen lassen. Die Module sollen kostengünstiger produziert werden und einen besseren Wirkungsgrad aufweisen als die bestehenden. Beides ist laut Keller gelungen. Nebenbei ist der in Werneck (Unterfranken) geborene Martin Keller auch ein Erfolgsprodukt der Hochschule, wie deren Kanzlerin Maria Knott-Lutze sagte: Ein Diplomand der Physikalischen Technik einer (Fach-)Hochschule schreibt eine Doktorarbeit in Chemie. Doktortitel dürfen bislang nur Universitäten vergeben, und auch, wenn die Abschlüsse von Hochschulen für angewandte Wissenschaft und Universitäten formal gleichgestellt wurden - praktisch sind sie es noch nicht, wie auch der Coburger Hochschulpräsident Michael Pötzl oft kritisiert.
Dabei nähern sich Hochschulen auch von ihrem Bildungsselbstverständnis den Universitäten an. "Früher haben wir fürs Tun ausgebildet, nun kümmern wir uns ums Sein", sagt Professor Jürgen Krahl. Dafür stehe auch der zweite Band der Buchreihe mit dem Titel "Strömungen". "Wir wollen keinen akademischen Stuhlkreis", bei dem jeder aus seinem Fachgebiet plaudert, ohne dem anderen zuzuhören. Die Autoren des zweiten Bandes mit dem Titel "Strömungen" sollten überlegen, was ihr Fachgebiet anderen bringen könnte, erläuterte Krahl bei der Präsentation am Dienstag in der Orangerie von Schloss Rosenau.
Und so geht es in dem schmalen Buch unter anderem um die Frage, wie der Auftrieb an einem Flugzeug physikalisch erklärt werden kann (Professor Philipp Epple) oder Strömungen in der Wissenschaftsgeschichte: Petra Gruner zeichnet nach, wie der "Homo oeconomicus" zur Leitfigur der Betriebswirtschaftslehre wurde. Professor Michael Heinrich, wie Krahl einige Jahre lang Vizepräsident der Hochschule, geht der Frage nach, wie Dinge von Zeit erzählen - beziehungsweise, was uns Menschen dazu bringt, in unbeweglichen Gegenständen Hinweise auf Zukunft und Vergangenheit zu entdecken. Claudia Schlager hat sich die "esoterischen Strömungen auf dem Mineralwassermarkt" angesehen. Denn mit behaupteten "besonderen Kräften" lässt sich auch blankes Wasser teuer verkaufen.
Auf vier Bände dürfte die Reihe "Zwischen den Welten" mindestens anwachsen. Zumindest habe er dafür schon Material, sagt Krahl. Die Bemühungen der TAC-Akademie um einen erweiterten Horizont hat auch die Oberfrankenstiftung anerkannt: Sie fördert die Buchreihe finanziell; die Zusage kam just einen Tag vor der Präsentation am Dienstag. Bezirksheimatpfleger Günther Dippold lobte die Interdisziplinarität, die sich die Hochschule Coburg auf die Fahnen geschrieben hat: Sie weite den Blick - ganz im Sinne einer Universität.
Die Buchreihe und das TAC
Titel "Zwischen den Welten" will über die Grenzen der Fachgebiete blicken.Herausgeber sind Jürgen Krahl und Josef Löffl. Die Reihe erscheint im Cuvillier Verlag Göttingen.
Band 1 Martin Keller. Weiterentwicklung einer Durchlauf-Epitaxieanlage und Implemeniterung einer turbulenten Gasführung. Dissertation, Juni 2014. 33,60 Euro.
Band 2 Philipp Epple, Regina Graßmann, Petra Gruner, Michael Heinrich, Peter Herz, Josef Löffl, Altheydis Plassmann, Claudia Schlager. Strömungen. 2015 (demnächst erhältlich).
TAC Das Institut der Hochschule Coburg forscht und entwickelt vor allem für die Automobilindustrie. Aufsehenerregendste Entwicklung ist bislang der Biodiesel R33.