Die Nachtwächter ziehen wieder durch Bad Rodach
Autor: Gabi Arnold
Bad Rodach, Freitag, 03. Mai 2019
Von Mai bis September ziehen die Nachtwächter durch die Kurstadt Bad Rodach. Mit dabei: der wohl jüngste Nachtwächter weit und breit.
Es dämmert bereits, auf den Bänken, die vor dem steinernen Pulverturm stehen, haben die ersten Besucher Platz genommen. Auch Gisela Kienel, die Großmutter des jüngsten Nachtwächters weit und breit, ist dabei: Ihr Enkel Ramon Kienel ist neun Jahre alt und seit seinem fünften Lebensjahr Nachtwächter. Der Junge setze die Tradition seines Großvaters fort, erzählt Kienel. Ramon habe seinen Opa zwar nicht gekannt, aber das Nachtwächtern sei ihm wohl in die Wiege gelegt worden. Unterdessen setzt sich Karl-Heinz Engelhardt dazu, ein bisschen Zeit hat er, bevor er sein Amt antritt. Engelhardt, Dienstältester, zieht seit 17 Jahren im dunklen Mantel, mit Hut auf dem Kopf, Laterne und Hellebarde in den Händen durch die Kurstadt. Vorher, erzählt er, habe er bei der Sommeroperette gesungen. "Damals habe ich gesagt, wenn ich Rentner werde, könnte ich mir vorstellen, Nachtwächter zu werden." Und so sei es dann auch gekommen.
Engelhardt übt sein Amt mit Freude und sehr gewissenhaft aus: Er gehört genau wie sein junger Kollege Ramon der Nachtwächterzunft an und ist damit einer der "Echten". Echte Nachtwächter seien es europaweit nämlich weniger als 200, weiß Engelhardt. "Es gibt zwar viele, die sich einen Kittel anziehen und durch die Stadt laufen, aber das sind dann Stadtführer und keine Nachtwächter", erklärt der alte Hase, der auf die Unterscheidung zwischen Nachtwächtern und Stadtführern durchaus Wert legt. Bis zum Jahr 1897, weiß Engelhardt, hätten in Rodach die Nachtwächter nachts für Sicherheit und Ordnung gesorgt, dann hätten die Gendarmen dieses Amt übernommen. Erst Anfang der 1980er Jahre habe man die Tradition wiederaufleben lassen. "Schlaue Köpfe haben überlegt, was wir für die Touristen anbieten könnten", erinnert sich Engelhardt. Seitdem lebe die Tradition Jahr für Jahr von Mai bis September wieder auf.
Hund ist seit 13 Jahren mit dabei
Während Engelhardt erzählt, wartet seine Hündin Amy geduldig im Auto. Seit 13 Jahren sei der Labrador-Mischling treu an seiner Seite, sagt Engelhardt und holt ein Büchlein mit Versen hervor. "Heute werde ich ein Gedicht über meine Amy vortragen", sagt er. Fein säuberlich hat er seine Verse notiert, rührige über seine Hündin, aber auch deftige Reime gehören dazu. Die Nachtwächter, erzählt er, schrieben ihre Verse selber und trügen diese im typischen Singsang vor.
Mittlerweile trifft auch Ramon ein, und es wird Zeit, die Dienstkleidung anzulegen und sich vorzubereiten. Die Roßfelder Musikanten haben auf dem idyllischen Platz zwischen einem Fachwerkhaus und dem Pulverturm ihre Instrumente aufgebaut, und als die Kirchturmuhr acht Mal schlägt, spielt die Musik auf. Der Platz hat sich mit Besuchern gefüllt, nach 30 Minuten laufen die beiden Nachtwächter, begleitet von Amy und unter den Klängen des Josias-Marsches, ein.
Bürgermeister Tobias Ehrlicher entzündet ein Licht in der Laterne, und somit ist die Saison offiziell eröffnet. Bis September verkünden die Nachtwächter ihre Botschaften jeden Donnerstagabend, am ersten Donnerstag im Monat spielt am Pulverturm die Musik auf. Da Ramon in die Schule muss, ist der Junge nur zu Beginn und am Ende dabei, Engelhardt wird dann von seinem Sohn Christian, der an der Bremer Staatsoper als Tenor singt, begleitet. Nachwuchs werde in Bad Rodach seit Jahren dringend gesucht, verkündet Engelhardt, natürlich in einen Reim gepackt.
Nach dem offiziellen Teil ziehen Nachtwächter und Gäste durch die romantisch beleuchtete Stadt zur Einkehr in die Destillerie Möbus.