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Die Freiheit, das Böse zu wählen


Autor: Dr. Carolin Herrmann

Coburg, Mittwoch, 01. Juni 2016

Tara Yipp bringt "A Clockwork Orange" als Tanzprojekt. Der Roman von Anthony Burgess und Stanley Kubricks Film verstören.
Federico Frigo, hier in einer früheren Produktion des Landestheaters, wird den sich ohne jedes Mitgefühl immer neuen Bestialitäten hingebenden Alex darstellen.  Fotos: Archiv/Jochen Berger


Brave Tänzelei ist Tara Yipps Sache nicht. Schon mit den "Gefährlichen Liebschaften" stellte die Coburger Ballettmeisterin vor zwei Jahren ihren Mut unter Beweis, sich den abgründigen Seiten des Menschen zu nähern. Ihr gelang es damals, das komplexe Geschehen der infamen Liebesexperimente von Choderlos de Laclos in ein spannendes Handlungsballett zu übertragen.
Das nur zum Hintergrund vor der nächsten Uraufführung der Kanadierin am Landestheater, in welche Richtung wir zu denken haben, wenn sie nun ein furchtbar hartes Stück Literatur (und Kino-Geschichte) als Tanzstück umsetzt - Anthony Burgess brutalen Roman "A Clockwork Orange", den Stanley Kubrick in seiner Verfilmung von 1971 erst Recht zum Skandal werden ließ. Roman wie Film waren und bleiben verstörend, vor allem, weil der Roman mit Sprachwitz irritierend unterhaltsam spielt.

Kubrick wiederum provozierte durch schonungslose, aggressive Gewaltdarstellung.
Muss das sein? "Warum sollte Tanztheater nicht politisch sein", fragt Tara Yipp im Gespräch mit dem Tageblatt. "Die zentrale Frage ist, wie viel persönliche Freiheit müssen wir opfern für die Sicherheit in einer Gesellschaft. Das ist und bleibt ein brennendes Thema und ich möchte die Leute so erreichen, dass sie nachdenken und diskutieren, wenn sie aus meinen Stücken kommen."
Freiheit gegen Ordnung. Was bedeutet Freiheit überhaupt? Und wer entscheidet, wo die Grenzen liegen, was gut und was böse ist. Das sind die zentralen Motive, die Tara Yipp aus dem 1962 veröffentlichten Roman von Anthony Burgess aufnimmt.
Der britische Autor (1917 - 1993) hat den Themenkomplex allerdings anhand einer krassen, schonungslosen Geschichte umgesetzt: Alex und seine Freunde ziehen - aus purem Spaß - schlagend, vergewaltigend, quälend, raubend durch die Gegend. Bis sich die Mitglieder der Gang gegen Alex wenden und ihn hängen lassen. Er wird geschnappt und der Psychiatrie für ein neuartiges Experiment der Gehirnwäsche überlassen. Jeder Gedanke an Gewalt löst nach der brutalen Konditionierung Übelkeit in ihm aus. Seine moralische Einstellung zur Gewalt hat sich allerdings nicht geändert. Er ist nur handlungsunfähig.


Burgess ist für die Freiheit

Burgess führt hier zur Frage, was aus dem eigentlichen Menschsein wird, wenn der Mensch keine Entscheidungsfreiheit mehr hat. Er selbst sagte zu seinem Roman: "Es ging mir nicht um Gewalt als solche, sondern darum, was Regierungen dagegen unternehmen würden. [...] Diese Jungkriminellen [...] sollten einer Gehirnwäsche unterzogen werden, um zu guten Bürgern zu werden. [...] Ich sah darin ein böses Übel. Diesen Jugendlichen wäre die Freiheit der Wahl genommen." Die Freiheit, sich zwischen Gut und Böse entscheiden zu können, ist nicht von ungefähr auch eine Jahrtausende gewälzte theologische Frage. Alex wird nach seiner Freilassung selbst zum Opfer und gerät dann ironischer Weise ins Spielfeld eines seiner Opfer, das am Beispiel von Alex die Unmenschlichkeit des staatlichen Systems vorführen will. Dann drehen sich die Verhältnisse erneut.
Für Burgess war der Mensch ein Mikrokosmos. "Er ist ein Gewächs, organisch wie eine Frucht, er hat Farbe, Zerbrechlichkeit und Süße. Ihn zu manipulieren, zu konditionieren, bedeutet ihn in ein mechanisches Objekt zu verwandeln - eine Uhrwerk-Orange." Angesichts der menschlichen Fähigkeit zum grenzenlos Bösen bleibt allerdings die moralische Ungeklärtheit. Wie weit darf die Erziehung des Menschen zum Guten, die Konditionierung gehen?
Wie in ihrem "Woyzeck"- Projekt lässt Tara Yipp auch diesmal die Sprache, das Literarische unmittelbar zu. Frederik Leberle wird als "The Writer" begleiten. Im Roman erzählt die Hauptfigur, Alex, selbst. Den wird in dieser Reithallen-Produktion Federico Frigo darstellen. Die musikalische Grundlage wird vielfältig von Pop über Elektronik und Experimentelles bis zu Beethovens Neunter, dem Lieblingsstück des intellektuell keineswegs dumpfen Alex, führen, kündigt Tara Yipp an.

Landestheater Coburg "A Clockwork Orange" - Ballettabend von Tara Yipp nach dem Roman von Anthony Burgess. Choreografie Tara Yipp, Bühnenbild und Kostüme Udo Herbster, Dramaturgie Renate Liedtke. Es tanzt das Ballettensemble des Landestheaters.

Premiere Samstag, 11. Juni, 20 Uhr in der Reithalle.

Hintergrund Tara Yipps Tanztheater-Stück basiert auf dem 1962 veröffentlichten Roman von Anthony Burgess (1917 - 1993), der ihn Amerika zunächst nur in einer stark gekürzten Version erschien. Das Magazin Time zählt ihn zu den besten 100 englischsprachigen Romanen. 2015 wählten 82 internationale Literaturkritiker und -wissenschaftler den Roman zu einem der bedeutendsten britischen Romane. Stanley Kubrick verfilmte das Werk 1971 unter gleichem Titel ohne das letzte Kapitel von Burgess.