Die etwas andere Coburger Wohngemeinschaft
Autor: Christiane Lehmann
Coburg, Donnerstag, 06. Sept. 2018
Wie es sich anfühlt, in einer generationenübergreifenden Wohngemeinschaft zu leben. Die Bewohner haben ihre Entscheidung nie bereut.
Für Gisela Schlechtweg war es keine einfache Entscheidung: Ihr eigenes Haus und den großen Garten zu verkaufen und dafür in eine 86 Quadratmeter große Wohnung in der Pettenkofer Straße zu ziehen, fiel der damals 75-Jährigen nicht leicht. Noch immer vermisst sie ihren Garten und genießt jede Stunde, die sie auf ihrem Balkon verbringen kann - eine kleine blühende Oase.
Doch ihr Mann Wilhelm überzeugte sie vor zweieinhalb Jahren, weil ihm klar war, dass die Arbeit daheim für die beiden nicht mehr zu schaffen war und das generationenübergreifende Wohnprojekt doch eine tolle Alternative sei. "Letzte Woche sagte sie zum ersten Mal: Ich glaube, wie haben es richtig gemacht", erzählt der 81-Jährige freudestrahlend in der Kaffeerunde, die sich zwei Mal im Monat in der Gemeinschaftswohnung trifft.
Am Tisch sitzen die Bewohner des Hauses und diskutieren, wie sie demnächst ihre gemeinsame Kaffeekasse plündern wollen. Es wird gelacht und gewitzelt, kleine Alltagsgeschichten erzählt und ein bisschen auch über die Wehwehchen geklagt. Nicht alle der 20 Bewohner sind gekommen - die Jüngeren müssen eben arbeiten und eine Nachbarin ist im Krankenhaus. Ingeburg Rauh und Gisela Schlechtweg haben sich schon erkundigt, wie es ihr geht und hoffen, dass sie bald wieder kommt.
Lange Warteliste
Sozialpädagogin Johanna Thomack, die die Wohngemeinschaft regelmäßig als Moderatorin und "Kümmerin" betreut, sitzt ganz entspannt dabei. Gleich erwartet sie eine neue Interessentin, die sich eine Wohnung anschauen möchte. Die Chance, eine der 14 Wohnungen tatsächlich mieten zu können, ist derzeit allerdings gering. Es gibt bereits eine Warteliste mit zwölf möglichen Anwärtern.
Wer einziehen darf, bestimmt die Gemeinschaft - vorausgesetzt, es wird eine Wohnung frei. Um sich ein Bild darüber machen zu können, ob der neue Nachbar denn überhaupt "passen" würde, sind die geselligen Nachmittag für Jedermann geöffnet. "Man lernt sich am besten bei den Treffen kennen", sagt Ursula Schmitt, die im Februar einziehen durfte. Eine, die so gern einziehen möchte, ist Adelheid Nix. Sie kommt regelmäßig zu den gemeinsamen Treffen und gehört schon irgendwie dazu. Doch im Moment ist eben keine Wohnung frei.
Barbara Moritz (87) war eine der ersten, die eingezogen ist. "Mein Mann ist ganz plötzlich gestorben und ich fühlte mich verloren", erzählt sie. Alles in ihrer Wohnung erinnerte an ihren Mann. Da nahm sie allen Mut zusammen und meldete sich bei Johanna Thomack für das Modellprojekt an. Ihre große Schrankwand konnte sie mitnehmen und die Bilder und Bücher, die ihr am Herzen lagen. Inmitten ihrer Nachbarn fühlt sie sich gut aufgehoben - immerhin hat Manfred Büchner sie vorhin auch gleich angerufen, ob sie denn die Kaffeerunde vergessen habe.
Gemeinsame Kindheit
Der 79-Jährige ist seit einem Jahr verwitwet. Er zog 2011 zusammen mit seiner Frau ein, da sie im Rollstuhl saß und eine behindertengerechte Wohnung frei war. 50 Jahre lebten die Büchners in Creidlitz, aber "wir haben uns hier sofort richtig wohl gefühlt". Zwei Rosenstöcke hat die Wohngemeinschaft zur Erinnerung an seine Frau im Garten gepflanzt. Dass er jetzt zusammen mit Wilhelm Schlechtweg in einem Haus wohnt, lässt die Männer schmunzeln. Denn aufgewachsen sind beide in der Spitalgasse. Und eine gemeinsame Fahrradtour führte sie als Jugendliche an den Tegernsee. Viele Jahre hatten sie sich dann aus den Augen verloren.