Deutsch lernen ist das A und O
Autor: Ulrike Nauer
Coburg, Montag, 19. Oktober 2015
Im Zustrom der Flüchtlinge steckt großes Potenzial für die heimische Wirtschaft - das hat Ministerin Melanie Huml beim Besuch der Agentur für Arbeit betont. Für Ausbildung und Beruf seien aber gute Sprachkenntnisse unverzichtbar.
8500 Flüchtlinge und Asylsuchende leben aktuell in Oberfranken, darunter 963 unbegleitete Jugendliche. Gleichzeitig sind im Bezirk Bamberg-Coburg der Agentur für Arbeit fast 4960 Stellen unbesetzt, Fachkräfte werden händeringend gesucht, ebenso Jugendliche, die sich für eine berufliche Ausbildung entscheiden.
Lösen ließen sich Probleme wie Fachkräftemangel und das sinkende Interesse an der beruflichen Ausbildung in Deutschland allein mit Flüchtlingen zwar nicht, doch einen besseren Weg als Asylsuchende über Beruf und Ausbildung zu integrieren, gebe es wohl kaum, wie Thomas Koller, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer (HWK) Oberfranken, im Anschluss an eine Gesprächsrunde am Montag in der Agentur für Arbeit in Coburg bemerkte. Entscheidend sei aber, dass die Bewerber zunächst gut Deutsch lernten. Denn ohne Sprachkenntnisse ließen sich etwa Berufsschule und Prüfungen so gut wie nicht bewältigen.
Neben Thomas Koller informierten sich auch die bayerische Gesundheitsministerin Melanie Huml, Landtagsabgeordneter Jürgen W. Heike (CSU) und weitere Vertreter der Handwerks- und Handelskammern im Gespräch mit Agenturleiterin Brigitte Glos über aktuelle Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt in der Region. Schwerpunktmäßig ging es dabei um die Integration der Flüchtlinge.
Das Fazit von Brigitte Glos - "Schnell geht gar nichts!" - mag für manch einen ernüchternd klingen, der glaubt, man könne Flüchtlinge und Asylsuchende doch schnell und problemlos in freie Jobs vermitteln. Das möge kurzzeitig bei Aushilfsjobs funktionieren, eine langfristige, vernünftige Lösung sei das sicher nicht.
Zwei der größten Hindernisse auf dem Weg ins Berufsleben, darüber war man sich in der Gesprächsrunde einig, sind zum einen fehlende Deutschkenntnisse und zum anderen das unterschiedliche Niveau der Ausbildung zwischen der Heimat der Flüchtlinge und Deutschland. Vielfach könnten Bewerber keine Dokumente vorlegen, etwa weil sie ihnen auf der Flucht verloren gegangen sind. Gibt es doch Papiere über Berufsabschlüsse, "sind diese mit unseren oft gar nicht vergleichbar", berichtete Brigitte Glos.
Nochmal in die Ausbildung
Udo Pfadenhauer, Sozialpädagoge und bei der HWK Oberfranken für die Ausbildung von Flüchtlingen zuständig, kann das mit Beispielen belegen. Unter seinen Schützlingen befand sich ein Syrer, der zuhause viele Jahre als Drucker gearbeitet hatte - "allerdings mit Maschinen, wie man sie in Deutschland vor 30 Jahren hatte", erzählte Pfadenhauer. Um auf den aktuellen Stand der Technik zu kommen, absolviere der Mann jetzt noch einmal eine Ausbildung - verkürzt auf die Hälfte der regulären Dauer.Für Siegmar Schnabel, Hauptgeschäftsführer der IHK zu Coburg, muss die Frage "Was kann die Person?" ganz am Anfang stehen. "Schließlich müssen wir einen Analphabeten anders betreuen, als jemanden, der in seinem Heimatland schon eine gute Bildung erfahren hat", so Schnabel. Zudem müsse mehr für die duale Ausbildung - die Kombination von praktischer Ausbildung im Betrieb mit Berufsschule - geworben werden. "So etwas gibt es in den meisten Ländern gar nicht", sagte Schnabel. Andererseits habe die deutsche Berufsschul-Ausbildung in vielen Ländern schon ein ähnliches Niveau wie ein Studium.
In diesem Zusammenhang warnte Jürgen W. Heike auch vor überhöhten Ansprüchen bei den Bewerbern. Er höre von jungen Flüchtlingen oft den Wunsch, in Deutschland zu studieren, um beispielsweise Arzt oder Ärztin zu werden. Auch dazu müsse man zu allererst Deutsch beherrschen. Heike: "Da werden wir noch so manche Enttäuschung erleben - auf beiden Seiten."
Sehr vieles laufe momentan ehrenamtlich. "Das ist auf Dauer aber nicht zu leisten", so Koller. Um den "Kraftaufwand" überhaupt stemmen zu können, braucht es Personal und vor allem Geld. Das bayerische Kabinett habe erst kürzlich das Sonderprogramm "Zusammenhalt fördern, Integration stärken" beschlossen, wie Staatsministerin Melanie Huml erinnerte. Allein im kommenden Jahr wird das Programm ein Volumen von fast 500 Millionen Euro haben. Von dem Geld sollen unter anderem mehr als 3700 neue Stellen in der Verwaltung, bei Polizei und Justiz sowie an den Schulen geschaffen werden. So sollen beispielsweise 1700 neue Lehrer in Bayern eingestellt werden.
In Zusammenarbeit mit Unternehmen, der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft sowie mit der Agentur für Arbeit sollen bis Ende 2016 etwa 20 000 Flüchtlinge ein Praktikums-, Ausbildungs- oder Arbeitsplatz angeboten werden. Bis Ende 2019 sollen dann insgesamt 60 000 Flüchtlinge erfolgreich in den deutschen Arbeitsmarkt integriert werden.