Der Liebe Fluch trifft in Coburg tief ins Herz
Autor: Dr. Carolin Herrmann
Coburg, Freitag, 15. April 2016
"Alte Scheiße Liebe" hat Thorsten Köhler sein witziges Kompilationsmusical genannt. Die Uraufführung entfesselte in der Reithalle hemmungslose Leidenschaft.
Wracks. Fertig. Der Blick geht wahlweise schräg verzerrt nach innen oder ins Leere. Sie beißen die Zähne zusammen. Um dann doch endlich schluchzend zusammenzubrechen. Die Liebe hat alle vier dahingerafft, die "alte Scheiße Liebe". Schon da kann das Reithallen-Publikum nicht anders mehr als lachen, müsst' sonst ja gar mitweinen. Erzähle bloß keiner, dass doch alles vergeht, schon wieder gut wird. Da hilft nur Contenance, wie die freundlich ungerührte Gruppentherapeutin Madame Justine in den Raum ruft. Und an der wird nun - schmerzvoll, sehr schmerzvoll - gearbeitet.
Ungeheuer herzschmerzend, am Ende aber herzerfrischend ist die musikalisch-gruppentherapeutische Behandlung, die Landestheater-Schauspieler Thorsten Köhler mit seinem witzigen Kompilationsmusical "Alte Scheiße Liebe" ab sofort in der Reithalle verpasst. Das leidenschaftlich mitgeschüttelte Premierenpublikum wollte am Donnerstag gar nicht mehr aufhören zu applaudieren.
Der fuckfinger-aggressive Bubi (Benjamin Hübner), der gruselig-abgründige Norman (Dirk Mestmacher), Luis (Nils Liebscher), der im Sakko gestreifte Homosexuelle, und die auch mit 26 Jahren noch im Kindlichen verklemmte Kerstin (Veronika Hörmann) müssen da durch. Ihre Geschichten, ihre Abgründe lässt Thorsten Köhler ganz über die emotionale Schiene aus großen Songs der weiten Musikpalette hervorbrechen. Köhler bietet ein effektvolles "Hollywood Ending für Hoffnungslose", das er auch selbst in Bühnenbild und Kostümen witzig und anspielungsreich ausgestattet hat. Die lachende Liebe auf der Schaukel fliegt im großen Rokoko-Schinken an der Rückwand auf ewig über alles hinweg.
Jan Reinelt ist Madame Justine, musikalischer Leiter und die alles beherrschende Therapeutin am Klavier. In den reizvollen Arrangements von Jan Kersjes singen und spielen sich die vier bedauernswerten Klienten der Liebe das Leid aus der Seele, je nach therapeutischem Fortschritt, zunächst noch in der Erinnerung gefangen mit Beethovens Fidelio-Quartett "Mir ist so wunderbar", über den kreischenden Aufschrei "Somebody to love" von Queen, der Suche nach den "Spicks and Specks" im Hirn (Bee Gees), bis zum wiedergefundenen Lebenswillen: "Don't brake my heart".
Die vier in jeder Beziehung mitreißenden Darsteller dürfen ihr Gesangstalent wie ihr komödiantisches Geschick mit vollem Stimm- und Körpereinsatz, ohne Furcht vor der Erbärmlichkeit, ausleben, wobei Köhler sein herrlich amüsantes Stück nicht zum Klamauk verkommen lässt.
Unterschätzt das bloß nicht
Hallo, die Sache ist und bleibt lebensgefährlich, und das lässt Köhler in keiner Minute vergessen, nicht einmal wenn Veronika Hörmann in einer regressiven Phase als Scheidungskind "Und dabei liebe ich euch beide" von Andrea Jürgens greint. Zum Aufräumen stakst die riesige Lackleder-"Gespielin" (Matthias Hertha) durch die fallenden Hüllen. - Mehr brauch' ich jetzt nicht mehr zu sagen. Da wollen ohnehin alle hin. Und ein bisschen (Musik-)Therapie schadet nie bei dieser "alten Scheiße Liebe".
Scheiße Liebe. Ein Hollywood Ending für Hoffnungslose. Liederabend von Thorsten Köhler mit Musik von Beethoven, Silly, Queen, Bee Gees und anderen.
Die Produktion Musikalische Leitung Jan Reinelt, Inszenierung, Bühnenbild und Kostüme Thorsten Köhler, Arrangements Jan Kersjes.
Darsteller: Benjamin Hübner,
Veronika Hörmann, Dirk Mestmacher, Nils Liebscher, Jan Reinelt, Matthias Hertha.
Weitere Vorstellungen 16., 20., April, 12., 13, Mai, 20 Uhr,
29. Mai, 18 Uhr.