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Der Klang der Turkvölker heute


Autor: Dr. Carolin Herrmann

Neustadt bei Coburg, Sonntag, 07. August 2016

Mit dem Gastspiel des Türksoy Youth Chamber Choir wurde dieses Neustadter Rathauskonzert zu einem besonderen kulturell-politischen Statement.
Begeisterung für ihre Musik: Die jungen Künstler des Türksoy Youth Chamber Choir im Neustadter Rathaussaal.  Fotos: Carolin Herrmann


Das August-Konzert im Neustadter Rathaussaal fällt aus dem Rahmen, bietet jedes Jahr ein ungewöhnliches kulturelles Erlebnis. So auch am vergangenen Samstag; es mussten seitlich sogar noch Stühle gestellt werden, so groß war dementsprechend das Interesse der Neustadter. Nur wäre es gut, wenn die Botschaft dieser Veranstaltung auch in jüngere Kreise vordringen würde.
Das Augustkonzert wird jeweils bestritten durch das Festival junger Künstler Bayreuth. Das versammelt seit 66 Jahren parallel zu den Wagner-Festspielen junge Musiker - keine Jugendlichen, sondern meist schon perfekt ausgebildete Künstler - aus der ganzen Welt zu Workshops, zum Miteinander jener, die sonst aus politisch-gesellschaftlichen Gründen nicht zusammen kommen. Sie geben dann fast möchte man sagen spektakuläre Konzerte in der fränkischen Region.


Oder ist es etwa nicht spektakulär für uns, wenn 30 junge Menschen mit überwiegend zentralasiatischen Gesichtszügen in den Neustadter Rathaussaal einziehen und von einem Moment auf den anderen für uns ungewohnte Klangwelten erstehen lassen.


Volkstum und Experimentelles

In diesem Fall war es der Türksoy Youth Chamber Choir, der aus folkloristischen Traditionen schöpft, aber in Arrangements und Klangperfektion ein so anspruchsvolles wie mitreißendes Konzerterlebnis bot. Denn die raffinierten Chorbearbeitungen von Volksliedern aus Kirgisien, Aserbeidschan, Usbekistan oder der Türkei wechselten mit modernen Kompositionen, zeitgenössisch Experimentellem wie dem majestätischen "Horal" von Erkegali Rahmadiev, das, reiner Klangraum, lautmalerisch in eine andere Dimension entführte. Auch Tschaikowskis Komposition "Legende" für gemischten Chor a cappella floss direkt unter die Haut. Ein Beitrag brachte den Klang einer Landschaft - Wind, Vogelzwitschern, fernes Hundegebell, einsetzender Regen - in solcher Perfektion hervor, dass man sich mit dem dann einsetzenden Sologesang wirklich in fernes asiatisches Gebirgsland versetzt fühlte.
Begonnen hatte der Chor mit einem so zart und klar entfalteten mozartschen "Ave verum corpus", dass bereits hier Schauder über den Rücken jagten. Wenn der ausgewogen besetzte Klangkörper unter der emphatischen Leitung von Gulmira Kuttybadamova aber auf volle Kraft drehte, nahm er eine spannende metallisch tönende Färbung an, die eine Ahnung gab von der zentralasiatischen Tradition der Verständigung über weite Räume hinweg.


Ein politischer Akt

"Kultur ist Verständigung" lautet das Motto dieses internationalen Musikfestivals junger Menschen in diesem Jahr, bewusst die mehr denn je erschütterten Verhältnisse zwischen Ost und West ansprechend. Schon diese Organisation Türksoy: 1993 gegründet, um die Kultur der Turkvölker wieder zu stärken und international ins Bewusstsein zu bringen. Hauptsitz ist Ankara. Es gibt eine Kooperation mit der Unesco. Türksoy agiert auf durchaus prekärem politischen Feld. Nach dem Abschuss einer russischen Maschine durch die Türkei im letzten Jahr haben eine Reihe von Russland nahe stehenden Regionalverbänden und autonome Republiken ihren Austritt erklärt.
Dass der Türksoy-Chor sein Neustadter Konzert mit Mozart begann und im letzten Viertel mit viel Begeisterung im Jazz schwelgte, ist insofern ein politisches Statement. Zu Gast in Neustadt war auch der Generalsekretär von Türksoy, Düsen Kaseinov, den Zweite Bürgermeisterin Elke Protzmann im Besonderen begrüßte.
Und registrieren wir doch bitte, dass dieser östliche Chor vor dem Hintergrund der uns alle erschreckenden aktuellen Entwicklung zwischen islamischer und westlicher Welt den Inbegriff eines christlichen Spirituals sang: "Swing Low, Sweet Chariot".

Das Festival junger Künstler Bayreuth ist eine jährlich zur Zeit der Wagner-Festspiele stattfindende Veranstaltung für junge Musiker und Künstler aus aller Welt. Es bietet Workshops und Meisterklassen für Sänger, Instrumentalmusiker, Videoproduktion und Tontechnik sowie Kulturmanagement. Ihnen wird eine intensive Beschäftigung mit dem Werk von Richard Wagner ermöglicht. Die Teilnehmer geben zahlreiche Konzerte und erarbeiten zudem gemeinsam größere Produktionen. Das 1950 unter der Patronage von Jean Sibelius von Herbert Barth gegründete Festival hat mittlerweile etwa 25 000 junge Menschen aus 80 Nationen nach Bayreuth gebracht. Intendantin ist Sissy Thammer.