Druckartikel: Der "grüne Daumen" der Natur

Der "grüne Daumen" der Natur


Autor: Rainer Lutz

, Sonntag, 29. Juli 2012

Karge Schutthalden und Deponien sehen lebensfeindlich aus. Sie bieten aber einer Vielzahl von Pflanzen ideale Bedingungen, die sich als Pioniere auf solche Voraussetzungen spezialisiert haben.
Noch ist die Pilgershöh' bei Unterwohlsbach ein fast vegetationsloser Haufen Erde. Doch die Natur hat schon genaue Pläne zu seiner Umgestaltung, wenn man sie lässt. Fotos: Rainer Lutz


Fast wie ein Vulkankegel türmt sich die Pilgershöh' zwischen Lauterberg und Unterwohlsbach auf. Und wie bei einem Vulkan stammt ihr Material größtenteils aus dem Erdinneren. Es wurde aus dem Reitersberg und der Hohen Schwenge geholt, damit dort Platz wird für einen Tunnel. Rot ragt sie aus der grünen Landschaft, rot und ohne Vegetation. Doch das wird sich bald ändern, ist der Biologe Frank Reißenweber überzeugt, der als Biologe am Landratsamt für Biotopschutz und im Landschaftspflegeverband für Biotoppflege zuständig ist.
Wie sich die Pflanzenwelt auf dem Schuttkegel entwickeln wird, lässt sich wenige Hundert Meter weiter recht gut vor Augen führen. Dort gibt es gewissermaßen das Modell der Pilgershöh' - die Erd-Deponie der Gemeinde Lautertal gleich unterhalb des Lauterbergs mit seinem großen Naturschutzgebiet.

"Der ist wohl eingeschleppt", kommentiert Reißenweber die Begegnung mit dem Gemeinen Blutweiderich", gleich am Rande der Deponie, wo sich eine Pfütze gebildet hat. Die kommt dem Weiderich gelegen, denn er wächst eigentlich in Sümpfen. Trotzdem hält er sich hier auf dem mageren Boden der Aushub-Deponie, wo er wohl gelandet ist, als jemand eine Baugrube angelegt hat, wo seine Vorfahren mit ausgebaggert wurden.
Anders der Rainfarn, der ein paar Meter weiter wuchert. Schuttplätze, Wegränder oder Dämme sind ihm gerade recht. Gärtner machen daraus manchmal Jauchen als Mittel gegen Blattläuse", weiß Frank Reißenweber. Die gelb blühende Pflanze wurde aber auch zum Färben genutzt und galt - auch oder wegen ihrer leichten Giftigkeit - als Heilpflanze.

Die ersten Siedler

Ein paar Schritte weiter weckt die Wilde Möhre Reißenwebers Aufmerksamkeit. Der Urahn der heutigen Gartenmöhre ist auch essbar, allerdings weniger ergiebig. Sie wurzelt bis zu 80 Zentimeter tief. Knöterich wächst daneben und Gänsefuß. "Auf diesen offenen und kargen Böden tauchen immer zuerst Pionierpflanzen auf", erklärt der Biologe, weiß aber auch: "So schnell sie kommen verschwinden sie auch wieder." Sie schaufeln sich gewissermaßen ihr eigenes Grab. Mit tiefen Wurzeln und Rhizomen bringen sie organische Masse in den mageren Boden ein. So wird der immer weniger mager, für andere Pflanzen attraktiv und für die Pioniere bald ungeeignet als Lebensraum. "Hier sieht man wo alles hinstrebt, wenn man nichts tut", zeigt Reißenweber vom Hügel aus, auf den älteren Teil der Deponie, wo schon lange keine neuer Erdaushub hingebracht wurde. Aus der schon viel dickeren Krautschicht schießen dort junge Eschen, Weiden und Ahorn in die Höhe, ein paar Kiefern sind auch darunter - alles Baumarten, auf die der Blick fällt, wenn man sich in der näheren Umgebung umschaut.
"In 50 Jahren ist alles Busch, in 100 Jahren Wald. So würde es immer sein, wenn man nichts macht", ist Reißenweber sicher, der inzwischen untersucht, ob das vor seinen Füßen Echte oder Hundskamille ist. Dazu zertrennt er eine Blüte. "Die echte Kamille hat einen hohlen Blütenboden, bei der Hundskamille ist er gefüllt", erklärt er und stellt fest: "Hundskamille." Auch die ist ein Pionier.

Solche Pflanzen brauchen offenen Boden, der früher am ehesten entstand, wenn Flüsse ihren Lauf immer wieder änderten, es zu Abbrüchen an ihren Ufern kam. Heute schafft der Mensch solche Flächen, wenn er sich durch die Landschaft wühlt, um Verkehrswege zu bauen.

Wieder ein eingeschleppter Gast auf dem Hügel ist der Ackerschachtelhalm. "Der ist allerdings so gut wie unausrottbar. Dafür bereitet er den Boden auf mit seinem tief greifenden Rhizom", erklärt Frank Reißenweber. Der Huflattich, der am Hügel seine großen Blätter ausbreitet, kann als Samen durch die Luft hierher gekommen sein. Haben die Pioniere die erste Arbeit zur Verbesserung des Bodens geleistet, kommen auch schon die Himbeeren und Brombeeren, und bilden einen grünen Teppich.

Wie schnell sich solche Flächen entwickeln, das hängt auch von der Entfernung zu den nächsten Spenderflächen ab, von denen Samen oder Pflanzenteile durch die Luft oder mit Tieren eingetragen werden können. Dann aber sind sie in jeder Stufe ihrer laufenden Veränderung für andere Tiere interessante Lebensräume. Viele Insekten und Vögel profitieren von solchen Flächen. Wo man sie ohnehin nicht landwirtschaftlich nutzen kann, sollte man sie daher ruhig erstmal sich selbst überlassen, meint der Biologe. In der Praxis werden sie aber oft rasch humifiziert, also mit Mutterboden bedeckt, und mit Saatmischungen bedeckt. Was dann wächst, mag das ordnungsliebende Auge mehr erfreuen - wertvoller, wäre das was die Natur nach ihren Regeln entstehen lässt.