Druckartikel: Der Finger der Heiligen

Der Finger der Heiligen


Autor: Simone Bastian

Coburg, Donnerstag, 13. Juli 2017

Reliquiare, Heiligenbilder, Ablässe: Für die Menschen des 16. Jahrhunderts waren das Abkürzungen zum Seelenheil.
Das Fingerreliquiar der Heiligen Elisabeth: Die Gläubigen erhofften sich vom Besitz oder nur dem Anblick solcher Reliquiare Nachlässe von Höllenstrafen. Die Kirche machte aus dem Handel mit solchen Ablässen und mit Wallfahrten ein großes Geschäft. Foto: Barbara Herbst


Ein bisschen gruselig sieht der Finger schon aus - so, als habe er verwesen wollen, aber nicht gedurft. Die Heilige Elisabeth von Thüringen wurde schon fünf Jahre nach ihrem Tod "erhoben", wie das genannt wird: Ihr Gebeine wurden in die Wallfahrtskirche in Marburg überführt. Dort ruht das, was übrigblieb, um es recht profan zu sagen. Der Schädel wurde schon bei der Erhebung abgetrennt; einen Finger sollen die Gläubigen schon während ihrer Aufbahrung im November 1231 abgetrennt haben.
Ob es dieser Finger war? Er befindet sich seit dem Jahr 1573 bei den Franziskanerinnen vom Kloster Maria Stern in Augsburg. Die Nonnen und weitere Stifter haben dafür gesorgt, dass der Finger so prunkvoll gefasst wurde. Elisabeth selber hätte all den Schmuck vermutlich schleunigst verschenkt - sie wollte in Armut leben, was für eine Landgräfin von Thüringen gewiss nicht einfach war. Schließlich musste sie auch die ihrem Stand entsprechenden Pflichten erfüllen.
Lang hat sie nicht gelebt - als sie starb, war sie gerade mal 24. Als Vierjährige war die kleine Elisabeth von Ungarn an den Hof der Landgrafen von Thüringen verfrachtet worden. Dort wuchs sie auf, heiratete mit 14, führte eine glückliche Ehe, hatte drei Kinder, wandte sich aber schon früh dem caritativen Dienst zu und gilt als Anhängerin der Armutsbewegung. Ihr Leben gilt als ungewöhnlich gut dokumentiert, und schon fünf Jahre nach ihrem Tod wurde sie heiliggesprochen.
Sie wird wegen ihres Engagements für Arme, Bedürftige und Kranke auch in der evangelischen Kirche verehrt, wenn auch ohne Reliquien. Von denen gibt es ohnehin mehr, als Elisabeth hergeben konnte: Der Doktorandenblog "MinusEinsEbene" listet allein sechs Schädelreliquien auf, von denen sich eine in Wien befinden soll, eine in Udine, weitere in Besançon, in Brüssel, in Bogotá. Das Reliquiar in Stockholm ist allerdings leer. Der Schädel im Elisabethinenkloster in Wien könnte der echte sein, denn 1539 ließ Philipp I. von Hessen, der zum Protestantismus übergetreten war, die Gebeine aus der Kirche in Marburg entfernen. Der Deutsche Orden verlangte die Gebeine zwar zurück, erhielt aber laut ökumenischem Heiligenlexikon nur den Kopf mit Unterkiefer, fünf Röhrenknochen, eine Rippe, zwei Schulterblätter und ein "Breitbein".
Die bekannteste Elisabeth-Legende ist die vom Rosenwunders: Sie wollte den Armen Brot bringen, gegen den Willen ihres Gemahls. Als er sie traf mit dem Brotkorb und den verdeckten Inhalt sehen wollte, hatte sich das Brot in Rosen verwandelt. Heiliggesprochen wurde sie aber nicht wegen der Rosen, sondern weil sie zahlreiche Wunderheilungen bewirkt haben soll.
Dass Elisabeth in der Landesausstellung sozusagen anwesend ist, hat durchaus einen tieferen Sinn. Sie gilt als Schutzheilige von Thüringen, sie lebte auch auf der Wartburg, die 300 Jahre später Martin Luther Schutz bot, und schon zu ihren Lebzeiten gärten in der Kirche jene Konflikte, die zu Beginn des 16. Jahrhunderts immer deutlicher zutage traten. Die Franziskaner, deren Orden am 24. Februar 1209 gegründet worden war, wandten sich gegen zu viel Prunk in der Kirche und bei ihren Würdenträgern; sie strebten nicht nach weltlicher Macht. Auch Elisabeth verzichtete beziehungsweise war zeitweise zu einem Leben in Armut gezwungen. Interessanterweise findet sich noch ein anderes Stück in der Ausstellung, das unmittelbar mit ihr zu tun hat: Der Hedwigsbecher (vorgestellt im Tageblatt vom 8. Juli) wird auch als Elisabeth-Becher bezeichnet. Die Heilige Hedwig von Polen war übrigens eine Tante von Landgräfin Elisabeth.

Landesausstellung 2017

Allgemein Das Haus der Bayerischen Geschichte veranstaltet alljährlich eine große Ausstellung. In diesem Jahr ist Coburg der Schauplatz; aus Anlass von 500 Jahren Reformation lautet das Thema "Ritter, Bauern, Lutheraner" mit einem Schwerpunkt auf den gesellschaftlichen und politischen Umwälzungen in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts.

Organisatorisch Die Ausstellung auf der Veste Coburg und in der Coburger Morizkirche läuft noch bis 5. November und ist täglich von 9 bis 18 Uhr geöffnet. In der Morizkirche ist der Eintritt frei, in der Veste zahlen Erwachsene 12 Euro fürs Ticket. Mehr unter www.hdbg.de.

Serie Bis zum Ende der Ausstellung zeigt das Tageblatt jede Woche ein "Schaustück der Woche".