Coburgs Schulen integrieren Tanzprojekte
Autor: Christiane Lehmann
Coburg, Dienstag, 21. März 2017
Gabriele Leithäuser-Heß leitet in der Melchior-Franck-Schule einen Kurs, bei dem sich die Kinder "geometrisch" bewegen.
Wie oft wird wohl belächelt, dass die Kinder in Waldorfschulen lernen, ihren Namen zu tanzen? Wer sich jedoch mit Polemik nicht weiter aufhält, wird die Raffinesse und Intelligenz hinter der Vorgehensweise schnell erfassen.
Gabriele Leithäuser-Heß, eine Tanzschaffende, wie sie sich selbst bezeichnet, geht sogar so weit, dass ihrer festen Überzeugung nach Tanzen ein offizielles Unterrichtsfach an allen bayerischen Schulen werden sollte. Bisher sind es Projekte, mit denen sie den Unterricht an Coburger Schulen seit Jahren um eine neue Facette des Lernens durch Bewegung bereichert.
Jüngstes Beispiel ist die Geometrie-Tanzstunde, die wöchentlich an der Melchior-Franck-Schule stattfindet. Dienstag, 11.30 Uhr: Die 14 Viertklässler stürmen in die Turnhalle. Ihr Bewegungsdrang ist ungebremst. Die Jungen springen die Wände hoch, die Mädchen schlagen Rad und spielen Fangen. Mit dem Diagonallauf powert Gabriele Leithäuser-Heß die Zehn- und Elfjährigen aus. Gefordert sind ein konzentriertes Laufen und ein homogener Ablauf. Es klappt wie am Schnürchen. Jetzt ist Zeit, die Choreografie für den neuesten Tanz zu wiederholen. Die Kinder dürfen dabei entscheiden, wie sie beginnen wollen. Anders als beim letzten Mal, ist sich die ansonsten recht wilde Horde einig. Statt einer gemeinsamen großen Umarmung wollen die Schüler lieber Frees tanzen, also eigene Formationen.
Die Musik beginnt und die Jungen und Mädchen lassen ihrer Fantasie freien Lauf. Doch nur kurz, dann beginnt die eigentliche Choreografie. Feste Abläufe sind einstudiert und am Ende stehen sie in Gruppen zusammen - als Kegel, als Zelt, als Kugel oder als Quader. "Wer einmal einen Quader zusammen mit anderen getanzt hat, bekommt ein viel besseres, räumliches Verständnis", meint Gabriele Leithäuser-Heß. "Wenn sich die Kinder nur auf den Boden legen, weiß ich, dass sie den Unterschied von Fläche und Raum noch nicht verstanden haben."
Gehirnhälften verbinden
Tanz kombiniert kognitives Lernen mit musikalischem, gestalterischem, sportlichem und sozialem Lernen. Durch die Bewegung werde die rechte mit der linken Gehirnhälfte verbunden und damit die Konzentration und Merkfähigkeit gestärkt.Halbzeit in der Tanzstunde. Gemeinsam überlegen die Kinder, wie sie den 90-Grad-Winkel, den sie tanzen müssen, gestalten wollen. Richtig einig werden sie sich nicht. Die Vorschläge reichen von einer Frees-Figur, über eine Drehung am Boden bis hin zur Drehung in der Hocke, die Marvin vormacht. Gabriele Leithäuser ist begeistert und entscheidet sich dafür. Getanzt wird eine Strecke mit einer Drehung in der Hocke.
Zurück zur Geometrie: Den Kegel können die Schüler gut beschreiben. Eine Grundfläche, eine Kante, eine Ecke. Alle zusammen sollen jetzt die Figur darstellen. Gar nicht so einfach, wie die Diskussionen zeigen. Unbedingt soll der Kreis als Grundfläche gelegt werden. Aber wie groß darf der sein, damit die umstehenden Kinder noch ihre ausgestreckten Hände berühren? Nico und Lisa rutschen ihre Mitschüler hin und her, bis schließlich der Kegel steht. Alle 14 sind zufrieden.
Da geht die Musik an und die Kinder tanzen nach Lust und Laune, bis es plötzlich wieder still wird und alle als Frees still und starr in der Halle stehen.
Gelernt hat Gabriele Leithäuser-Heß den Beruf der Goldschmiedin, doch ihr Traum war es schon immer, Tänzerin zu werden und mit Kindern zu arbeiten. Nach einer Reihe von Fortbildungen zum Thema "Tanz und Schule" in München hat sie sich schließlich in diesem Bereich selbstständig gemacht. Ihre Angebote werden von Schulen und Kindergärten, der Volkshochschule und caritativen Trägern genutzt. Unterstützt wird sie durch das Amt für Schulen, Kultur und Bildung sowie von den Ballettfreunden Coburg und Serviceclubs.
Tanzen stärkt das Selbstvertrauen
In ihrem Konzept hat die 48-Jährige aufgelistet, weshalb das Tanzen für Kinder und Jugendliche eine stärkere Bedeutung bekommen sollte: "Tanzen stärkt das Selbstwertgefühl, die Sinneswahrnehmung wird geschärft, die Kinder entspannen leichter und haben ein besseres Körperbewusstsein." Die Lehrer, die mittanzen oder stille Beobachter sind, nehmen die Schüler anders wahr. Erkennen neue Stärken. Aus den interkulturellen Projekten, die sie im vergangenen Jahr zur Integration von Flüchtlingen an der Rückertschule gemacht hat, nahm Gabriele Leithäuser-Heß selbst einige interessante Erfahrungen mit: So sei es schön zu beobachten, wie musikalisch Kinder aus arabischen Ländern sind. "Sie biegen ihren Rumpf und ihr Becken viel mehr durch, haben oft ein besseres Rhythmusgefühl als deutsche Kinder," sagt die Projektleiterin. Anderseits seien die Mädchen aus diesen Ländern oft sehr zurückhaltend, während deutsche Mädchen selbstbewusst auftreten. Zu Zeiten des Ramadans sei es besonders schwierig gewesen, da sich die Mädchen nicht berühren dürfen.
Noch vor den Osterferien startet ein Kurs an der Rückert-schule, bei dem Schüler von Übergangsklassen zusammen mit Achtklässlern aus der Regelschule tanzen. "Mir geht es dabei um Sozialkompetenzen, wie gegenseitigem Respekt und Toleranz," sagt die Kursleiterin. Von der Andersartigkeit lernen, das wünscht sie sich.
Bei der Musikauswahl passt sich Gabriele Leithäuser-Heß den Kindern und Jugendlichen an, sagt sie. Es fließen auch arabische Klänge, klassische Musik und ruhige, entspannende Melodien mit ein. Dass Hip-Hop und Klassik zusammen geht, beweist sie den Jugendlichen immer aufs Neue.