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Coburgs Orchestermusiker: zum Verstummen gezwungen


Autor: Jochen Berger

Coburg, Freitag, 27. März 2020

Wie ein Orchestermusiker die Zwangspause des Landestheaters in Zeiten des Corona-Virus erlebt - Konzertmeister Martin Emmerich zur aktuell schwierigen Situation eines Orchesters, das nicht auftreten darf.
Mitte Dezember brillierte Martin Emmerich als Solist in Igor Strawinskys Violinkonzert im Landestheater. Inzwischen ist der Konzertmeister des Philharmonischen Orchesters ebenso wie seine Kollegen zur unfreiwilligen Pause gezwungen.Foto: Jochen Berger


Die Corona-Krise hat seit Mitte März zur Absage aller Vorstellungen im Großen Haus des Landestheaters und wenig später auch in der Reithalle geführt. Von der Zwangspause betroffen ist natürlich auch das Philharmonische Orchester und damit auch sein Konzertmeister Martin Emmerich. Im Interview erklärt Emmerich, wie er diese außergewöhnliche Situation erlebt.

Das Landestheater Coburg hat nicht nur sämtliche Vorstellungen bis zum 19. April abgesagt, sondern inzwischen auch sämtliche Proben zunächst bis Ende März abgesetzt. Ferner ist es angesichts der Corona-Krise derzeit noch völlig offen, wie es mit dem Rest der Spielzeit am Landestheater Coburg weitergeht. Was bedeutet das für das Philharmonische Orchester und die Qualität des Musizierens? Wie können Sie sich auch ohne Proben auf die möglichen weiteren Aufgaben vorbereiten?

Martin Emmerich: Wie bei allen unerwarteten und schwerwiegenden Änderungen sollte man meiner Ansicht nach versuchen, möglichst viel Positives mitzunehmen und sich nicht unterkriegen zu lassen. Rein musikalisch gesprochen ermöglicht uns Musikern die Zwangspause plötzlich inmitten einer anstrengenden Spielzeit zur Ruhe zu kommen und sich ganz auf sich selbst zu konzentrieren. Man kann Altlasten abarbeiten - mein Mailpostfach war selten so aufgeräumt - und vor allem: man kann ohne Eile üben. Während einer laufenden Spielzeit hechelt man - insbesondere als Streicher - oft den zu erlerndenden Noten hinterher und ist selten so gut vorbereitet wie es der eigene Anspruch verlangt. Genau dem können wir jetzt entgegenwirken; mit Zeit alles anstehende vorbereiten und sein eigenes Spiel wieder von Verunreinigungen des stressigen Theateralltags befreien. Wir haben zwar auf dem Papier derzeit nichts zu arbeiten; in unseren Übe-Räumen und Köpfen stellt sich das aber ganz anders dar! Alle Theatergänger können also sicher sein: Wenn wir zurückkommen sind wir ausgeruht, top vorbereitet und voller Tatendrang. Wir freuen uns schon jetzt auf unser Publikum und auf die großartige gemeinsame Arbeit an der Musik!

Wie erleben Sie diese Zwangspause ganz persönlich?

Ich denke mal, dass ich mich hier in einer Luxussituation sehen darf: meine Kinder freuen sich, dass meine Frau und ich plötzlich jeden Abend zu Hause sind und keine Babysitter kommen müssen. Wir spielen viel mit ihnen und genießen im eigenen Garten das schöne Wetter. Nicht nur mein Geigenspiel wird ausgeruht aus der Zwangspause kommen - auch meine Blumenbeete werden bombastisch sein. Trotzdem ist eine Pause ohne zwischenmenschliche Interaktionen außerhalb von engster Familie und elektronischer Kommunikation natürlich nicht gerade beflügelnd. Es fällt mir - und den Kollegen, mit denen ich vermehrt Kontakt habe - durchaus schwer die Motivation hoch zu halten. Gemeinsames Proben stärkt die Gemeinschaft und fördert kreative Prozesse wie sonst wohl gar nichts. Daher kann man uns auch nicht digitalisieren. Die Zwangspause ist für mich also Chance und Ärgernis zugleich. Eine Chance, mich auf Wesentliches zu besinnen und zu üben, Ärger über all das, was wir und unser Publikum verpassen.

Manche Bühnen und Künstler nutzen die Möglichkeit, per Streaming zumindest online mit künstlerischen Angeboten präsent zu bleiben. Wie stehen Sie zu dieser Strategie? Welche Möglichkeiten sehen Sie für das Landestheater in dieser Hinsicht?

Ganz persönlich bin ich nicht der größte Verfechter von social media-Plattformen. Ich nutze sie - zum Beispiel für mein Festival "Klanggrenzen" - aber ein Live-Erlebnis bei uns im Theater oder im "Klanggrenzen"-Konzert wird nie zu ersetzen sein. Trotzdem finde ich es wichtig in der Zeit der geringen sozialen Kontakte einen besonders guten Draht zu unserem Publikum zu pflegen: Einige Orchestermitglieder haben auch schon Ideen für das Landestheater in den Ring geworfen und ich bin guter Hoffnung, dass die Coburger bald etwas von uns hören und sehen werden. Ich hoffe hier auf eine bunte Mischung aus Kunstgenuss und Unterhaltung, aus hochklassischen und ganz persönlichen Beiträgen, die uns Theatermitarbeiter als Menschen präsentieren, die nicht auf einer abgetrennten Bühne oder im Graben agieren, sondern genau wie alle anderen zu Hause sitzen...

Welche Auswirkungen könnte die Corona-Epidemie auf das im Juni und Juli von Ihnen geplante Festival "Klanggrenzen" in Coburg haben? Wann werden Sie über eine mögliche Absage oder Verschiebung entscheiden?

Bei unseren Programmpunkten im Mai auf den Designtagen sind wir nur Mitläufer: Finden die Designtage statt, sind wir dabei. Alles im Juni und Juli soll derzeit stattfinden. Wir gehen positiv gestimmt in die nächsten Monate; das ist für uns die beste Medizin. Wenn wir das Festival aufgrund behördlicher Anordnungen absagen müssen, dann wird das spätestens Anfang Mai geschehen. Aber hier gilt ganz klar: aufgeschoben ist nicht aufgehoben! Wir haben ja jetzt gerade genug Zeit zum Planen für die nächsten "Klanggrenzen"-Jahre.

Aus dem Leben eines Musikers

Martin Emmerich Seit Januar 2012 ist Emmerich Konzertmeister des Philharmonischen Orchesters Landestheater Coburg. Der 1986 geborene Münchener begann bereits im Alter von drei Jahren mit dem Violinspiel. Das Fundament für seine künstlerische Laufbahn legte der Münchner Philharmoniker Jorge Sutil. Von 2005 bis 2013 studierte er bei Josef Rissin und Albrecht Breuninger an der Musikhochschule Karlsruhe.

Im Mai 2009 gründete er mit dem Pianisten Fabian Wankmüller und dem Cellisten Heiner Reich das Aramis Trio, mit welchem er eine Reihe nationaler und internationaler Wettbewerbe gewann.

Seit 2016 ist Emmerich Vorsitzender des Vereins "Klanggrenzen". Beim interdisziplinären Kammermusikfestival Klanggrenzen stehen musikalische Werke in Wechselwirkung mit anderen Kunstformen.