Coburger Tierpräparatorin bei der Arbeit
Autor: Simone Bastian
Coburg, Montag, 07. Oktober 2013
Das Naturkundemuseum Coburg hat unzählige Präparate in seinen Depots: Vögel, Wölfe, Kaninchen, zweiköpfige Lämmer... Trotzdem sammelt das Museum weiter, um zu dokumentieren, welche Tiere heute in der Region leben. Ulrike Neumann ist die Präparatorin des Museums.
Ein bisschen zerzaust schaut er aus. Mehr scheint dem kleinen Feldsperling nicht zu fehlen, der da auf Ulrike Neumanns Arbeitstisch liegt. Dabei ist er seit rund sechs Monaten tot - an eine Glasscheibe geflogen und abgestürzt. Ein Mitarbeiter des Naturkundemuseums Coburg barg ihn und fror den kleinen Kadaver ein. Ulrike Neumann wird ihn nun präparieren.
"Es gibt mehrere Arten der Präparation", erzählt sie, während sie das Tierchen in die Hand nimmt und mit einer spitzen Pinzette den Schnabel öffnet. "Abgusstechnik, Ausgusstechnik..." Prüfend dreht sie den Vogel hin und her. "Das Gefieder ist schön sauber. Ich möchte ihn nicht waschen müssen", murmelt sie. Sie wird also darauf achten, dass beim Ausnehmen keine Flüssigkeiten ins Gefieder laufen.
Vorsichtig schiebt sie die Federn auf der Bauchseite auseinander und setzt den ersten Schnitt, den sie sogleich mit Holzmehl abpudert.
Künstlicher Tierkörper
"Bei den großen Säugetieren und den Dermoplastiken geht man anders vor", erzählt sie. Da ist es mit einem kleinen Schnitt nicht getan. Bei einer Dermoplastik wird ein künstlich hergestellter Tierkörper mit der Haut eingekleidet. "Da hab ich eine andere Schnittführung und eine andere Näharbeit."
Vögel "bis zum Truthahn" werden aber in der Regel gepellt und anschließend gestopft. Den größeren Vögeln werden aber in der Regel künstliche Hälse und Köpfe aufgesetzt. Da sei dann auch die Kunstfertigkeit des Präparators gefragt, erzählt sie, während sie immer wieder den Vogel in ihrer Hand mit Holzmehl einpudert: Die künstlichen Hälse und Köpfe müssen exakt nachgebildet und bemalt werden; wichtig sind da alle Details, wie zum Beispiel die Wülste an den Augen.
Nun hängt der kleine Körper wie ein Stück Wurst am letzten Zipfel Pelle. Sehr tot, aber nicht blutig, weil er sofort eingefroren wurde, wie Ulrike Neumann erläutert. Erst, wenn totes Fleisch länger gelegen hat, beginne es zu suppen. Aber auch das wäre kein Hindernis für einen Präparator. "Nur was fault, ist verloren." Am Ende liegt der Körper samt Zunge neben der Haut, vom Holzmehl paniert. Mit dem Skalpell löst Ulrike Neumann die letzten Stückchen Flügelfleisch ab. Nur die Sehnen dürfen an den Knochen bleiben, damit sie nicht auseinanderfallen. Bei großen Vögeln seien die Flügel kniffliger, "da kann es sein, dass man von außen noch mal ran muss".
Nicht nur Präparatorin
Einmal im Jahr, beim Tag der offenen Tür im Museum, zeigt Ulrike Neumann vor Publikum, wie Tiere präpariert werden. Nach ihrer Ausbildung zur museumstechnischen Assistentin im Frankfurter Senckenberg-Museum hängte sie eine Ausbildung zur Präparatorin ein, weil sie ohnehin nicht übernommen worden wäre. Im Coburger Museum ist sie für beides zuständig: Für die museumstechnische Arbeit wie für das Präparieren. Für sie die ideale Kombination. "Nur Assistentin, das war mir ein bisschen zu öde. Hier muss eine Person alles machen - das ist genau meins."
Außerdem verfüge das Coburger Museum über die gesamte Zoologie, von Insekten bis zu großen Säugetieren. Hinzu kommt die Völkerkunde-Abteilung: Über mangelnde Abwechslung kann Ulrike Neumann also nicht klagen. Seit über 24 Jahren ist sie nun schon hier. In ihrer Familie, sagt sie, seien die Eltern immer der Arbeit hinterhergezogen.
Nun wird der Schädel geputzt, "das ist ein bisschen Gefriemel". Mit einer spitzen kleinen Schere holt sie die Augen heraus und das Gehör, es knirscht leise. "Das ist kein Iiiih mehr", sagt Ulrike Neumann energisch. "Ein Schnitzel aus der Packung ist auch nichts anderes", und sie stülpt das Federkleid wieder um. Nun ist es leer und wird mit einem neuen Körper aus Holzwolle und Watte gefüllt. Viele Präparatoren seien Quereinsteiger, erzählt Ulrike Neumann. Eine geregelte Ausbildung gibt es nicht, die Berufsbezeichnung ist auch nicht geschützt. Nötig sei vor allem Talent. Präparate bestellen nicht nur die Naturkundemuseen, sondern auch viele Jäger. Auch mancher Schoßhund und manche Katze bleiben als ausgestopfte Erinnerungen an sich selbst in den Wohnungen ihrer Besitzer präsent. "Ich seh das als Deko", sagt Ulrike Neumann - so wie ein Bild oder ein gegerbtes Fell an der Wand.
Den Vogelkörper hat sie zuvor schon mit Holzwolle, Watte und Draht nachgebildet und schiebt ihn nun vorsichtig durch den Bauchschnitt in die Haut. Immer wieder benetzt die sie Haut mit flüssigem Arsen - um sie zu konservieren und um sie vor Fressern zu schützen. Speckkäfer machen sich sonst über die Häute her, Motten über die Federn. An den Flügel- und Beinknochen entlang schiebt sie vorsichtig Drähte unter die Haut, um den Vogel zu stabilisieren. Die Muskeln werden mit Watte und Garn nachgebildet. Ein bisschen schlotternd hängt das Federkleid noch über dem Holzwollekörper - da wird nun mit Watte nachgelegt. "Nicht gestopft!"
Auch den Schädel befeuchtet sie erst mit Arsen, bevor sie ihn mit Holzwolle stopft. "Holzwolle ist billig, formbar und leicht", sagt sie. Lediglich die Augenhöhlen schließt sie mit zwei Klümpchen Ton und drückt anschließend Augen hinein - glänzende schwarze Glasperlen auf Stecknadeln. Das sind die einfachsten. Für Meisterpräparate und Großvögel gibt es gestaltete Augen. Noch ein Stück Draht durchs Hinterhauptloch in den Holzwollekörper schieben, dann ein weiteres, um den Schwanz wieder zu befestigen. Dann den Bauch zunähen. Nun schaut der Vogel schon fast wieder wie ein Sperling aus.
Wie liegen beim Sperling die Krallen um den Zweig?
Er soll auf einem Ästchen sitzen, dass Ulrike Neumann schon vorher vorbereitet hat. Wie liegen beim Sperling die Krallen um den Zweig? Nimmt er seine Füße eng zusammen oder sitzt er eher breitbeinig da? Diese Details müssen passen. Als er sitzt (mit zwei Drahtstiften am Ast verankert), schiebt Ulrike Neumann noch etwas Watte durch den Schnabel nach. "Es ist die Kunst, nicht zu stopfen, sondern nur zu unterlegen." Eine Fühlsache. "Bei mir werden sie immer mollig, rund und wohlgenährt", sagt Ulrike Neumann schmunzelnd. "Rehkitze wären bei mir nicht gut aufgehoben." Auch die Vogelbäckchen werden noch etwas aufgepolstert.
Nun muss der Vogel auf seinem neuen Körper trocknen. Dafür wird die Haut mit Nadeln und Pappstreifen fixiert. Nach fünf bis sieben Tagen ist das Präparat dann bereit für die Nachbearbeitung: Manchmal müssen noch die Beine und Schnäbel bemalt werden, außerdem werde die Drahtenden verspachtelt. Ganz zum Schluss erhält der Sperling ein Kärtchen mit den wissenschaftlichen Daten. "Damit man später weiß: Im März 2013 gab es am Hasenstein in Creidlitz noch Feldsperlinge." Denn dafür, sagt Ulrike Neumann, sei ein Museum schließlich da: fürs Sammeln und Bewahren.
Nun stecken etliche Nadeln im Kopf. Rutschen kann nichts mehr - Zeit, die Federn zurechtzulegen. "Schön dachziegelförmig" - eine Geduldsarbeit bei großen Vögeln, vor allem, wenn ein Bussard oder Habicht mit ausgebreiteten Schwingen präpariert wird. Deshalb gibt's fürs Präparieren keine festen Arbeitszeiten. "Es dauert so lange, wie es dauert."