Coburger Operetten-Premiere: beschwingt bis zum Happyend
Autor: Jochen Berger
Coburg, Montag, 06. Mai 2019
Wie Gastregisseur Jörg Behr die Operette "Der Vetter aus Dingsda" von Eduard Künneke auf die Bühne des Landestheaters Coburg bringt.
Diese Operette ist schon reichlich betagt - eigentlich. In knapp zwei Jahren wird "Der Vetter aus Dingsda" 100 Jahre alt. Ein Fall für eine Geburtstagsfeier im Altenheim der Musikgeschichte?
Erfolgreiche Premiere
Wer Eduard Künnekes "Vetter" jedoch in der umjubelten Premiere der Neuinszenierung am Landestheater Coburg erlebt, begegnet einem rüstigen Alten - betagt, aber verblüffend munter. Das Werk kommt nostalgisch, aber keineswegs verstaubt daher. Woran liegt das?
Die Ausgangslage
Die Handlung erzählt scheinbar eine ganz typische Operetten-Geschichte - ohne Rücksicht auf Wahrscheinlichkeit. Julia de Weert ist verwirrt. Sieben Jahre hat die junge Frau auf ihren Vetter Roderich gewartet, dem sie einst ewige Treue geschworen hatte, als dieser mit Beginn des Ersten Weltkriegs nach "Dingsda" entfleuchte. Am Vorabend ihrer Volljährigkeit taucht ein Fremder auf und stellt sich, eine von Eduard Künnekes Ohrwurm-Melodien auf den Lippen, als "armer Wandergesell" vor. Ist das vielleicht gar der einst geliebte Roderich?
Julia ist hin- und hergerissen. Was dann beginnt, liest sich zunächst wie eine der üblichen Verwicklungsgeschichten. Am Landestheater bleibt diese Geschichte aber nicht nur an der glitzernden Oberfläche hängen, sondern bietet überraschende Momente, die im unterhaltsamen Treiben durchaus zum Nachdenken anregen. Wie aber kann das funktionieren?
Die Ausstattung
Mit seinem Bühnenbild und seinen Kostümen gelingt Ausstatter Marc Weeger das Kunststück, diese Operette einerseits unverkennbar in der Entstehungszeit zu belassen (Uraufführung im April 1921 in Berlin), andererseits aber dieses Zeitkolorit mit ironischer Übertreibung aus der Zeit zu lösen und damit in die Gegenwart zu holen. Der entscheidende Clou: Weeger setzt das Orchester auf die Bühne, baut mitten hinein auf die Bühne einen Laufsteg, der bis auf die Vorderbühne führt und Platz schafft für effektvolle Auftritte.
Die Regie
Gastregisseur Jörg Behr, der erstmals am Landestheater inszeniert, lässt dem "Vetter aus Dingsda" seinen vordergründig unterhaltsam Gestus, nimmt das Stück aber sehr ernst, blickt genau auf die Entstehungszeit und gestattet so den Zuschauern einen Blick hinter die Fassade. Klugerweise verzichtet Behr darauf, das Stück dramaturgisch zu zertrümmern. Vielmehr setzt er auf präzise, fein differenzierte Personenführung, die unterstützt wird von den choreografischen Akzenten, die Daniel Cimpean beisteuert.
Die Darsteller
Beste Voraussetzungen mithin für die ebenso spielfreudig wie präzis agierende Darstellerriege, den Figuren klares Profil zu geben. Allen voran: Laura Incko als Julia de Weert, die diese Rolle auch stimmlich bestens ausfüllt. Peter Aisher mit lyrisch schwärmendem Tenor als geheimnisvoller erster Fremder, Francesca Paratore als Julias Freundin Hannchen (alternierend mit Dimitra Kotidou), Michael Lion als Julias Onkel Josef Kuhbrot, Anne Heßling als dessen Frau Wilhelmine, dazu Jan Korab als Roderich, Dirk Mestmacher als glücklos um die Gunst Julias werbender Egon von Wildenhagen, schließlich Konstantinos Bafas und Martin Trepl als zwei Diener - sie alle begeistern das applausfreudige Premierenpublikum mit ihrem temperamentvollem Spiel, als wollten sie diesen Satz im Libretto von Herman Haller und Fritz Oliven besonders betonen: "Ganz unverhofft kommt oft das Glück."