Coburger Innenstadt ist Chefsache
Autor: Simone Bastian
Coburg, Freitag, 01. Mai 2015
Oberbürgermeister Norbert Tessmer (SPD) brachte 30 Jahre Erfahrung als Kommunalpolitiker mit ins Amt, davon 18 Jahre als Bürgermeister. Trotzdem sagt er: "Ich bin ein Lernender."
Gab es in den vergangenen Wochen eigentlich ein anderes Thema als die Max-Brose-Straße für Norbert Tessmer? Natürlich: Die Sanierung des Landestheaters, sagt er, die Entwicklung des Güterbahnhof areals, der Kampf um den ICE-Halt, der demografische Wandel. Der freilich ist schon seit über zehn Jahren Norbert Tessmers Thema, seit seiner Zeit als Sozialreferent und natürlich auch als Oberbürgermeister.
Für den Sozialreferenten stand noch im Vordergrund, wie die Stadt sich einrichten muss, dass sie mit der wachsenden Zahl älterer Menschen zurechtkommt, und dass diese älteren Menschen auch noch in der Stadt zurechtkommen. Der Oberbürgermeister legt nun einen anderen Schwerpunkt: Die Coburger Firmen brauchen Nachwuchs. "Wir können keine Arbeitsplätze schaffen, aber wir können die Rahmenbedingungen schaffen", sagt Tessmer: Mit Bildungs- und Betreuungsmöglichkeiten, Erziehung und Infrastruktur.
Das Referat für Kultur und Bildung hat er behalten als Oberbürgermeister, andere sind dazu gekommen. Dass er "ziemlich viel Neues" bewältigen musste, habe das erste Jahr geprägt, sagt er. "Ich bin ein Lernender." Derzeit arbeitet er sich in die Themen Einzelhandel und Innenstadt ein. "Die Zentren der Städte müssen lebendig bleiben. Früher ging es ,Grüne Wiese gegen Innenstadt‘, heute konkurrieren Innenstadt, Grüne Wiese und Onlinehandel." Die Jugend müsse die Innenstadt neu für sich entdecken können, die Zentren müssten "schmackhaft" gemacht werden für alle Generationen, sagt Tessmer.
Strategien beim BGS gelernt
Das Problem ist identifiziert, das Ziel ist ausgegeben - nun gilt es, das Wichtige vom Unwichtigen zu unterscheiden, die Schwerpunkte zu erkennen, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen und nach Dringlichkeit abzuarbeiten. So hat Tessmer es beim Bundesgrenzschutz gelernt, wo er bis 2002 Hundertschaftsführer war. Auf dieses erprobte Muster greift er nun zurück, um sich auf neue Situationen einzustellen. Denn angesichts der Stofffülle, die er als OB im ersten Jahr bewältigen musste, sei er schon auch an seine Grenzen gestoßen, räumt er ein. "Früher hab ich Leute für arrogant gehalten, wenn sie sagten, sie hätten erst in zwei Wochen einen Termin frei. Heute hab ich selbst einen Vorlauf von drei bis vier Wochen", erzählt er und klingt fast verwundert. Ihn selbst habe das neue Amt aber nicht verändert, sagt er - "ich hoffe, ich habe mich nicht verändert".
Spaß mache ihm der Posten des Oberbürgermeisters auf jeden Fall noch, versichert der 61-Jährige. Gerade, weil kein Tag sei wie der andere, und auch, wenn sich selten das Programm so durchziehen lasse, wie es der Terminkalender vorsieht. Seine Termine und Gespräche nutzt Tessmer, um Kontakte zu knüpfen in Regierungsstellen, zu Ministerien. "Ich bin immer für den direkten Draht."
Direkte Verbindungen halten, Probleme angehen, wenn sie anstehen: "Ich bin Pragmatiker", sagt Tessmer von sich selbst. Deshalb hat er auch das Thema Max-Brose-Straße wieder aufgegriffen, nachdem die Medien zu Jahresbeginn über den immer noch schwelenden Konflikt zwischen dem in Coburg ansässigen Unternehmen und der Stadt berichtet haben. Seit 2004 vergibt Brose keine Spenden mehr an Coburger Einrichtungen und Vereine, alles mit der Begründung, der Stadtrat und namentlich die SPD habe es abgelehnt, den Firmengründer mit einer Straße zu ehren. Das soll nun im Mai geschehen, nachdem der Stadtrat im März die Entscheidung aus dem Jahr 2004 bedauert und eine Art Ehrenerklärung für Max Brose abgegeben hat. Das sind die Fakten, mehr dazu sagen möchte Tessmer nicht. Auch Interviewanfragen der meisten Medien lehnt er ab. Vermutlich auch eine Strategie, die er beim BGS gelernt hat.
Landestheater, Güterbahnhof, Innenstadt
Lieber spricht Tessmer über die Themen, die er sich fürs nächste Jahr vorgenommen hat: die Entwicklung des Güterbahnhofareals und das Landestheater. Das muss saniert werden, "es ist schon nicht mehr fünf vor Zwölf, sondern eigentlich schon Zwölf". Die Federführung liegt hier beim Freistaat. "Wir arbeiten eng zusammen", versichert Tessmer. Doch es sind immer noch Fragen offen: Wird die Angersporthalle Ausweichspielstätte, und wenn, in welcher Form? Umgebaut oder abgerissen und durch ein Provisorium ersetzt? "Die Angerhalle ist wahrscheinlich, aber nicht sicher", sagt Tessmer und sieht darin auch ein Beispiel, vor welchen Herausforderungen eine Stadtverwaltung heutzutage steht. Sie muss in unübersichtlichen Situationen flexibel reagieren und dabei "sehr diszipliniert" vorgehen. Wie beim Baukostencontrolling, das inzwischen eingeführt wurde und das verhindern soll, dass Kosten durch Sonderwünsche und nachgebesserte Planungen aus dem Ruder laufen. Die Sporthalle an der Benno-Benz-Sportanlage wird nach diesen Prinzipien gebaut - der Testfall.
Für Tessmer könnte die Innenstadt der Testfall werden. Er hat sich bereits einen Überblick über die Lage verschafft: "Wir haben es mit allen möglichen Akteuren zu tun. Händler, Immobilieneigentümer, Verwaltung, Erbengemeinschaften, Einzelhändler, die einen Nachfolger suchen, große und kleine Geschäfte..." Tessmers Vision: "Sie alle vereinen zu einem gemeinsamen Chor", so wie es in der Ketschenvorstadt gelungen sei. "Ich werde nicht ruhen und alle Hebel in Bewegung setzen."