Hossein lebt seit 2015 in Deutschland, hat sich gut integriert und kickt beim TSV Bertelsdorf - jetzt soll er nach Afghanistan, das er gar nicht kennt.
Im April wird er 21 Jahre alt. Doch was Hossein Hazara bisher erlebt hat, füllt bereits einen dicken Aktenordner. Den hat Johannes Teutsch angelegt, der sich seit Jahren ehrenamtlich um junge Geflüchtete kümmert. Er habe ein "Helfersyndrom", sagt er von sich. Davon profitiert jetzt Hossein Hazara, der Hilfe momentan dringend nötig hat. Denn obwohl er kein Gefährder oder Straftäter ist und sich auch der Identitätsfeststellung nicht verweigert, soll er abgeschoben werden. Sein Asylantrag wurde abgelehnt, die Klage gegen den ablehnenden Bescheid abgewiesen. Niederschmetternd findet das Johannes Teutsch.
Martin Mnich, Trainer der Herren-Fußballmannschaft des TSV Bertelsdorf, in der auch Hossein Hazara mitspielt, geht noch weiter: "Das ist ein Schlag ins Gesicht für jeden ehrenamtlichen Helfer, der Geflüchtete betreut." Über Jahre hinweg kümmerten sie sich um das Wohl der oft sehr jungen Leute, besorgten Wohnraum, Praktika, Lehrstellen, Arbeitsplätze. "Sie investieren viel und dann wird trotzdem abgeschoben. Für mich ist das keine gelebte Integration."
Martin Mnich weiß, wovon er spricht, denn Hossein Hazara ist bereits der vierte Fußballspieler aus seiner Mannschaft, der gehen soll. Und das bei dem immer wieder diskutierten Fachkräftemangel in Deutschland. Dabei war dem jungen Afghanen bereits eine Lehrstelle bei einem Metallbauunternehmen aus Coburg in Aussicht gestellt worden. Doch die verweigert ihm das bayerische Verwaltungsgericht in Bayreuth, weil er keinen "subsidiären Schutzstatus" habe und deshalb nicht als Flüchtling anerkannt werde.
Hossein Hazara indes will den Mut nicht verlieren, obwohl er zugeben muss, dass er nachts oft wach liegt und sich Sorgen über seine Zukunft macht. Er weiß, dass es schwierig wird, in Deutschland bleiben zu können. Das größte Hindernis auf diesem Weg: Er kann seine Identität nicht nachweisen, und er war in Afghanistan nicht verfolgt. Wie auch, verließen seine Eltern mit ihm und seinen Geschwistern das Land doch, als er gerade einmal sechs Monate alt war. Weil sie der ethnischen Gruppe der Hazara angehören, waren sie in Afghanistan immer wieder Repressalien ausgesetzt. Bedrohungen durch die Taliban und die kriegsähnlichen Zustände im Land hätten das Leben seiner Familie stark beeinträchtigt, erzählt Hossein Hazara. "An militärischen Einsätzen oder Maßnahmen wollten meine Eltern und Verwandten auf keiner Seite teilnehmen. Das führte zu Diskriminierung und Enteignung einschließlich dem Vorenthalten und Einbehalten von Dokumenten."
Die Hazaras flohen 1997 mit ihren Kindern in den Iran. Dort lebt die Familie heute noch - im Flüchtlingsstatus. Hossein schickten sie im Alter von sechs Jahren in die Schule, seine Geschwister verdingten sich als Hilfsarbeiter, um die Eltern zu unterstützen. Weil der Junge wegen Glaubensfragen Probleme mit dem Klassenleiter bekam, verließ er mit 13 Jahren die Schule und begann, Schrott und Flaschen zu sammeln. Seine Eltern waren inzwischen im Rentenalter, bekommen aber als Flüchtlinge keine Rente. Ein Glücksfall war die Möglichkeit, 2015 für ein Jahr lang in einer kleinen Elektrofirma arbeiten zu können.
Im Alter von 15 Jahren trat Hossein Hazara in einen Boxclub ein und spielte nebenbei Fußball. Im Boxen war er sehr erfolgreich und nahm an Wettkämpfen teil. Als es nach einem solchen Wettkampf zu einer Rangelei kam, wurde ihm die Schuld dafür gegeben. "Ich wurde mehrfach von Polizisten und Zivilpersonen in die Mangel genommen und aufgefordert, mich iranischen Kampfeinheiten anzuschließen. Der Einsatzort sei Syrien. Das würde mich vor einer Gefängnisstrafe bewahren." Aber Hossein weigerte sich. "Ich wollte und will auch heute keine Waffe in die Hand nehmen. Ich glaube an Gott, der Frieden will für alle Menschen."
Daraufhin seien seine Papiere zerschnitten worden. Vor dem Gefängnis bewahrte ihn eine Kaution, die seine Familie für ihn zahlten. Der junge Mann sah im Iran keine Zukunft mehr für sich. Er hatte keine Papiere, eine Ausbildung blieb ihm verwehrt, er fühlte sich wie Freiwild und schloss sich der Fluchtbewegung nach Europa an.
Seit fast drei Jahren lebt er nun in Deutschland, aber die Möglichkeit, sich ein selbstfinanziertes Leben aufzubauen, hat er bisher nicht bekommen. Dabei bemüht sich Hossein Hazara mit viel Energie darum. Er besucht Sprachkurse und übt täglich. Er meldete sich bei einem Sportcenter an und begann wieder zu boxen. Und er trat in die Herren-Fußballmannschaft des TSV Bertelsdrf ein. Die hatte Martin Mnich 2016 neu gegründet. Ein Jahr davor hatte er schon junge Flüchtlinge trainiert, später kamen deutsche Fußballer dazu. "Leider konnte ich den Aufstieg in die nächsthöhere Spielklasse nicht aktiv unterstützen, weil ich mir im Februar 2017 bei einem Spiel einen Kreuzbandriss zuzog", erzählt Hossein Hazara. Er musste operiert werden und ist auch jetzt noch nicht einsatzfähig.
Getauft im Goldbergsee
Durch einen Freund lernte der junge Afghane die freie evangelische Gemeinde Coburg kennen und fand dort seinen Worten zufolge eine spirituelle Heimat. Jeden Donnerstag geht er zum Bibelkurs und am Sonntag zu den Gottesdiensten. Er habe sich von Anfang an in der Gemeinde, die außer ihm noch andere Geflüchtete aufgenommen hat, wohl und willkommen gefühlt, sagt Hossein. Die Taufe im Goldbergsee sei für ihn ein unvergessliches Erlebnis gewesen, ergänzt der junge Mann.
Im März 2016 hatte Hossein Hazara einen Asylantrag gestellt. Im September gab es dazu eine erste Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und im Januar 2016 den Bescheid, dass sein Antrag abgelehnt wurde. Dagegen klagte er und bevollmächtigte Rechtsanwalt Helmbrecht von Mengershausen aus Bad Staffelstein, ihn zu vertreten. Die Kosten, die für Hossein Hazara entstehen, zahlt er in Raten ab. Johannes Teutsch, der ihn stets begleitet, will versuchen, Geld für die notwendige Anzahlung bei den Fußballern des Vereins zusammenzubringen.
Als Begründung für die Klage gab Hossein an, dass er in Afghanistan keine Angehörige mehr habe, das Land nicht kenne und als Angehöriger der Hazara nicht nur den Attacken der Taliban und des IS, sondern auch der paschtunischen Mehrheit ausgesetzt wäre. Es gebe keinen sicheren Ort für zurückkehrende Flüchtlinge.
Verhandelt wurde im November 2017 beim Verwaltungsgericht in Bayreuth, das die Klage abwies. Die Begründung ist lang und beinhaltet unter anderem die Feststellung, dass es im Herkunftsland des Flüchtlings Teile gibt, in denen er "keine begründete Furcht vor Verfolgung" haben müsse. Zudem sei er in seinem Herkunftsland nicht verfolgt worden oder habe einen ernsthaften Schaden erlitten. Von einer Gruppenverfolgung der Hazara in Afghanistan sei nach Ansicht des Gerichts nicht auszugehen. Eine Gefahr, die sich durch eine Konversion zum christlichen Glauben für Hossein Hazara ergeben könnte, wird nicht in Betracht gezogen. Der Kläger sei erst nach Ablehnung des Asylantrags zum christlichen Glauben übergetreten. Mit seiner Taufe habe er einen sogenannten Nachfluchtgrund schaffen wollen, was in afghanischen Asylbewerberkreisen ein bekannter Weg sei. Er könne nicht überzeugend nachweisen, dass die Hinwendung zum Christentum ein "eigenständig tragfähiger, ernst gemeinter religiöser Einstellungswandel" gewesen und bei einer "Rückkehr in das Heimatland mit einer verfolgungsträchtigen Glaubensbetätigung zu rechnen" sei.
Hossein Hazara sagt dazu: "Ich bin nicht religiös erzogen worden, den Koran habe ich nicht verstanden. Erst bei der freien evangelischen Gemeinde habe ich meinen Weg gefunden. Auch wenn ich nach Afghanistan zurückkehren muss, werde ich meinen Glauben nicht wechseln. Das ist Gottes Wille."
Der Anwalt des jungen Afghanen, Helmbrecht von Mengershausen, sieht tatsächlich wenig Chancen für seinen Mandanten. "Die bayerische Rechtssprechung ist, was Asylanträge betrifft, besonders streng." Er erlebe es dabei auch immer wieder, dass die Richter nur wenig Kenntnis von den gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen im Herkunftsland der Geflüchteten haben. Dennoch: Aufgeben will er nicht und wird versuchen, Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts einlegen. Die Hürde: Der Verwaltungsgerichtshof muss diese Berufung erst einmal zulassen. Tut er das nicht, dann gebe es so gut wie keine Rechtsmittel mehr. Es sei, denn, man gehe den Schritt vor das Verfassungsgericht. "Sehr aussichtsreich ist die Sache also nicht", stellt Helmbrecht von Mengershausen fest.
Ich verstehe die Aufregung nicht. Entweder leben wir in einem Rechtsstaat, in dem es eben bestimmte Gesetze und Normen gibt, die beachtet werden müssen. Dazu zählt auch, dass Asylbewerber bei einem abgelehnten Bescheid - durch mehrere Instanzen - eben wieder zurück müssen, wenn sie weder Asyl nach Art. 16a GG noch einen Flüchtlingsstatus noch subsidiären Schutz bekommen.
ODER wir entscheiden nun in jedem einzelnen Fall einfach nach Gutdünken, Sympathie und anderen Kriterien (zum Beispiel danach, wer die meisten Fürsprecher um sich versammeln kann), aber NICHT mehr nach verbindlichen Gesetzen und Normen, die für alle gleichermaßen gelten. Wenn die Fußballer aus Bertelsdorf in einer solchen Bananenrepublik leben wollen, dann sollen sie das aber auch offen und ehrlich kommunizieren.