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Coburger denken barrierefrei


Autor: Christiane Lehmann

Coburg, Donnerstag, 06. Februar 2014

Der Notarzt und Palliativmediziner Karl-Heinz Muggenthaler aus dem Klinikum berät den Coburger Fachingenieur für barrierefreies Bauen Uli Müller. Es geht ihnen dabei um ein einfacheres und selbstbestimmtes Leben. Manchmal müssen Angehörige erst überzeugt werden.
Der Notarzt Karl-Heinz Muggenthaler und Architekt Uli Müller wissen um die Feinheiten und Kniffe beim barrierefreien Bauen. Foto: Christiane Lehmann


Wenn Karl-Heinz Muggenthaler über so manchen Notarzteinsatz spricht, wird deutlich, wie verzwickt die Situation oft ist: Da wird er gerufen, weil die Oma mit einem harmlosen Magen-Darm-Infekt daheim liegt und nicht mehr aufstehen kann. Sie soll ins Krankenhaus, fordern die Angehörigen. Vor Ort findet er die alte Frau dann im dritten Stock unterm Dach. Seit Tagen hat sie zu wenig getrunken, weil sie nicht nach unten in die Küche kam.

"So was macht mich wütend", sagt der Notarzt. Auch auf die Frage, ob sich denn die Familie schon mal Gedanken gemacht hätte, wie die 89-Jährige weiterhin hier wohnen könne, erntet er nur Kopfschütteln. Wenn es nicht mehr geht, müsse sie halt ins Heim, lautet die hilflose Antwort. "Die Frau möchte aber gerne daheim bleiben", sagt Muggenthaler und weiß: Mit wenig Aufwand wäre das auch möglich und zu regeln.




In den eigenen vier Wänden

Der Palliativmediziner, der sich mit dem Leben bis zuletzt gut auskennt, möchte über seine Tätigkeit am Klinikum hinaus - wo er als Anästhesist arbeitet - künftig Menschen beratend zur Seite stehen, wenn es darum geht, wie sie möglichst lange in den eigenen vier Wänden bleiben können. Mit Uli Müller hat er einen Architekten und einen Fachingenieur für barrierefreies Wohnen gefunden, der sich genau darauf spezialisiert hat.

Unter der Überschrift "LebenTraum" hat Müller eine Reihe von Handwerkern und Spezialisten zusammen gebracht, die sich um einen möglichst reibungslosen barrierefreien Umbau aus einer Hand kümmern.

Einer, der die Leistungen von Müller und Co seit Jahren in Anspruch nimmt, ist Florian Sitzmann, bekannt als Autor von "Der halbe Mann" und "Bloß keine halben Sachen". Sitzmann, der bei einem Motorradunfall beide Beine verloren hat, ließ seine Wohnung zu einer komplett barrierefreien modernen Wohnlandschaft umbauen. Dazu zählt neben einem stufenlosen Bad auch ein Treppenlift, mit dem der Rollstuhlfahrer Sitzmann eine schmale Wendeltreppe problemlos bezwingt. "Die Schiene ist sehr dezent angebracht", sagt Müller und verweist darauf, dass behindertengerechte Dinge nicht immer auffällig und grob daherkommen müssen.


Mit dem Kopf blinken

Müller, der sich zur Zeit als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für barrierefreies Bauen zertifizieren lässt, erzählt leidenschaftlich von den Begegnungen mit Menschen, denen er bei ihren alltäglichen Abläufen helfen konnte. "Es ist unglaublich zu sehen, wie glücklich die Menschen sind, wenn es plötzlich kein Problem mehr ist, sich die Hände waschen zu können, ohne dabei die Küche unter Wasser zu setzen", sagt er. Zu sehen, wie eine junge Frau im Auto mit dem Kopf den Blinker setzt, weil ihre Hände nicht dazu in der Lage sind, fasziniert den Tüftler Müller.

Bundesweit ist er unterwegs, individuelle Lösungen sind sein Anspruch. Seine Kunden sind mehrfach behinderte Spastiker, ältere Menschen und Familien, die einfach vorsorgen wollen und schon heute daran denken, dass sie im Alter nicht mehr so mobil und beweglich sein werden wie heute.

Ob Sehbehinderte oder Epileptiker, Rollstuhlfahrer oder Schlaganfallpatienten, das Feld und die Möglichkeiten sind weit gesteckt, wenn es darum geht, Hilfsmittel richtig einzusetzen. Es braucht den erfahrenen, fachmännischen Rat, den Müller gerne geben möchte. Es geht eben um mehr als nur um breitere Türen und Bodenduschen. "Wenn wir fertig sind, haben wir jemanden zum selbstständigen Leben verholfen", beschreibt er seine Motivation. Der demografische Wandel ist nicht zu stoppen. Barrierefreieheit wird eines der großen Themen werden. Umso unverständlicher ist es für Karl-Heinz Muggenthaler, dass beispielsweise das neue Gebäude für betreutes Wohnen am Gustav-Hirschfeld-Ring über einen Fahrstuhl verfügt, in den keine Trage passt. Also wird der Rettungsdienst gerufen, sei es nicht möglich, einen Patienten nach unten zu fahren. So etwas dürfe heutzutage nicht mehr passieren.

Aufklärung und Bewusstsein ist für den Palliativmediziner deshalb umso wichtiger. So ist er auch der festen Überzeugung, dass das Ausfüllen von Patientenverfügungen oder Vorsorgevollmachten unbedingt an eine medizinische Beratung gekoppelt sein müsste.

Nur ein Mediziner kann die Folgen und Möglichkeiten aufzeigen, die die Gerätemedizin, eine künstliche Ernährung oder Beatmung für den einzelnen mit seinem spezifischen Krankheitsbild bedeuten. "Leider ist das vom Gesetzgeber nicht geregelt", bedauert der Arzt. Mit "LebensTraum" habe er ein Team von engagierten Fachleuten gefunden, die in die gleiche Richtung denken, wie er.