Druckartikel: Coburg streitet weiter um seine Vergangenheit

Coburg streitet weiter um seine Vergangenheit


Autor: Simone Bastian

Coburg, Montag, 16. März 2015

Sogar der Vorsitzende des Zentralrats der Juden befasst sich nun mit einer möglichen Max-Brose-Straße in Coburg. Die Reaktionen auf die Berichterstattung darüber sind teilweise erschreckend.
Max Brose Foto: Brose Fahrzeugteile GmbH & Co. KG


Edmund Frey lässt nicht locker: Er will eine Max-Brose-Straße in Coburg verhindern, und er sucht Verbündete. Innerhalb und außerhalb Coburgs. So schrieb Edmund Frey an den Zentralrat der Juden in Deutschland, um vor dem Umstand zu warnen, dass ein "Mitläufer" wie Max Brose nun mit einer Straßenbenennung gewürdigt werden könnte.

Damit torpediert Frey in den Augen vieler einen Annäherungsprozess zwischen dem Stadtrat und Michael Stoschek, dem Enkel von Max Brose. Denn die Ausweisung einer Max-Brose-Straße war 2004 schon Thema und kam nicht zustande - unter anderem, weil der Stadtrat sich nicht einig wurde, ob die Von-Schultes- in Brose- oder in Max-Brose-Straße umbenannt werden sollte.

Der Enkel des Firmengründers und damalige geschäftsführende Gesellschafter von Brose Fahrzeugteile empfand die Nicht-Entscheidung des Stadtrats als Affront gegen seinen Großvater und indirekt wohl auch gegen sich selbst. Nachdem es in dem fraglichen Zeitraum auch immer wieder Reibereien mit dem damaligen Oberbürgermeister Norbert Kastner (SPD) gegeben hatte, entschied Stoschek im Jahr 2004, dass Coburger Institutionen und Vereine von Brose keine Spenden mehr erhalten. Diese Regelung gilt heute noch; ein Kindergarten, der im Winter 2014 um eine Spende bat, erhielt zur Antwort, dass Kastner es seinerzeit nicht verhindert habe, dass die Mehrheit der SPD-Fraktion gegen eine Max-Brose-Straße gestimmt habe mit der Begründung, "Max Brose habe sich im Dritten Reich nicht korrekt verhalten".

Brose- oder Max-Brose-Straße?
Das alles spielte sich in nichtöffentlicher Sitzung ab, auch das Protokoll davon ist vertraulich. Nun entdeckten viele der Stadträte, die damals dabei waren, ihre Erinnerungen neu beziehungsweise lasen im Protokoll nach. Viele erzählen nun, dass es in der Stadtratssitzung nicht um die Person Max Brose gegangen sei, sondern darum, ob man nur den Gründer oder die gesamte Werksfamilie würdigen solle. OB Kastner und sein Nachfolger Norbert Tessmer, damals Dritter Bürgermeister (SPD), stimmten jedenfalls für die Max-Brose-Straße.

Rehabilitierung
Tessmer ist es auch, der nun den Beweis liefern möchte, dass die von Stoschek beklagten politischen Verhältnisse in Coburg sich geändert haben. Seit Mitte Januar lässt sich jedenfalls eine Annäherung beobachten, die darin gipfelte, dass Stoschek seine Sicht der Dinge in einer vom Oberbürgermeister einberufenen Fraktionsvorsitzendenbesprechung darlegen durfte. Das Gespräch hinterließ die Fraktionsvorsitzenden nicht unbeeindruckt. Vereinbart wurde, dass ein Beschlusstext für den Stadtrat vorbereitet werden sollte - von der Ausweisung einer Max-Brose-Straße war in diesem Zusammenhang keine Rede mehr. Es sollte in erster Linie um eine Rehabilitierung Max Broses gehen, den sein Enkel zu Unrecht in die Nazi-Ecke gestellt sieht.

Brief vom Zentralrat
Genau in diesem Moment traf ein besorgter Brief vom Zentralrat der Juden bei OB Tessmer ein. Der informierte die Fraktionsvorsitzenden und hoffte im Übrigen, dass niemand weiter von dem Brief Kenntnis erhalten würde - zumindest nicht vor dem heutigen Dienstag. Denn heute wollen sich Stoschek und Tessmer mit dem Vorsitzenden des Zentralrats, Josef Schuster, treffen. Ob über das Gespräch etwas veröffentlicht wird, dürfte sich nach Lage der Dinge erst am Mittwoch entscheiden.

Derweil lassen sich zwei Folgen beobachten: Etliche Kommentare auf den Facebook-Seiten von Coburger Tageblatt und infranken.de offenbaren eine nicht nur unterschwellige judenfeindliche oder rechte Gesinnung. Die freundlicheren Beiträge fordern, 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs endlich Schluss zu machen mit der Schulddebatte.

Aus Sicht der Tageblatt-Redaktion ist es das gute Recht des Zentralrats, zu warnen, wenn er die Gefahr sieht, dass Täter und Taten des Nationalsozialismus verharmlost werden. Ob der Zentralrat sich ein differenziertes Bild von der Sachlage gemacht hat, ist zu klären - auch Schuster möchte das heutige Gespräch abwarten.
Die Kommentare haben Edmund Frey so entsetzt, dass er OB Tessmer, Michael Stoschek und Josef Schuster darauf hingewiesen hat. Stoscheks Antwort, verfasst am späten Sonntagabend, ging nicht nur an Frey, sondern auch an Tessmer und den Historiker Gregor Schöllgen, der 2008 die Geschichte des Unternehmens Brose und seines Gründers aufarbeitete. Nicht zuletzt aufgrund von Schöllgens Recherchen sieht Stoschek seinen Großvater entlastet. Freilich sind Schöllgens Methoden als Historiker in Fachkreisen nicht unumstritten - allzuoft zeichne Schöllgen die von ihm portraitierten Wirtschaftskapitäne als Opfer, die sich dem Nationalsozialismus anpassen mussten, um ihr Unternehmen zu retten, schreibt zum Beispiel Tim Schanetzky in einem Aufsatz 2011.

"Alter Pharisäer!"
Weil er die Vertraulichkeit ohnehin nicht mehr gewahrt sah, leitete Frey Stoscheks E-Mail an mehrere Journalisten weiter. Frey wird darin als "alter Pharisäer" bezeichnet, der sich selbst schon antisemitisch geäußert und Schuster als Vorsitzenden des Zentralrats instrumentalisiert habe. "Wer lügt, darf sich nicht zum Moralapostel erheben. Sie haben nicht das geringste Recht, ihre selbstgerechten Diffamierungen zu verbreiten. Sie bedienen sich genau der Methoden der Nazis: Denunzierung, Neid, Missgunst und Intoleranz." Er werde Freys angeblich antisemitische Äußerungen belegen, kündigt Stoschek an.

Frey sieht die Sache gelassen, wie er sagt: Die fraglichen, angeblich antisemitischen Äußerungen - ein E-Mail-Austausch im August 2014 mit einem Coburger Journalisten über den Gaza-Konflikt - habe er nun zur Sicherheit von einem Anwalt prüfen lassen, sagt Frey. Der sehe "nicht einmal den Schatten einer irgendwie antisemitischen Äußerung".

Vor allem hat Edmund Frey eines erreicht: Tessmer und Stoschek sind sich offenbar einiger denn je.