Bodo Busso vor dem Abschied aus Coburg: Beständig bleibt nur der stete Wandel
Autor: Simone Bastian
Coburg, Donnerstag, 29. Dezember 2016
Warum Landestheater-Intendant Bodo Busse derzeit zwischen Coburg und Saarbrücken pendelt.
"Man fühlt sich schon sehr zerrissen", sagt Bodo Busse: In Saarbrücken schon alles festhalten, in Coburg noch. "Es ist ja nicht so, dass wir keine großen Aufgaben mehr hätten", sagt der Intendant mit Blick auf die Coburger Situation: Es geht um die anstehende Sanierung, es geht um die Interimsspielstätte. Seine Termine in Saarbrücken habe er immer so geplant, dass er gleich mehrere Tage dort war. "Man muss sich gut strukturieren und einen noch engeren Zeitplan gut koordinieren. Meine Präsenz hier in Coburg ist aber ungebrochen."
Er habe in Coburg in sieben Jahren Wurzeln geschlagen, Freunde gefunden, sagt Busse. "Es entsteht eine emotionale Bindung an die Heimat", und neulich habe er beim Anblick der Veste in der Morgensonne "so etwas wie Wehmut" empfunden. Etwas von all dem werde ihm bleiben, hofft der 47-Jährige, so, wie ihm aus seiner vorigen Station Wiesbaden eine Art Fanclub blieb, der immer wieder zu Aufführungen nach Coburg reiste. Auch er werde seine Beziehungen nach Coburg nicht aufgeben, versichert der scheidende Intendant.
Aber Saarbrücken reizt auch. "Exakt der doppelte Etat, doppelt so viele Mitarbeiter, ein höher eingestuftes Orchester" bietet das Staatstheater in Saarbrücken. Drei Spielstätten, aber die Zahl der Produktionen sei vergleichbar zu der in Coburg, sagt Busse. "Es ist nicht Frankfurt, Hamburg oder München, aber es ist ein Staatstheater." Für ihn war die Bewerbung auch der Test, ob er es denn schaffen würde vom kleinen Landestheater in der fränkischen Provinz. Er sieht auch Parallelen: Saarbrücken und Coburg liegen in (ehemaligen) Grenzregionen; die Menschen identifizieren sich mit ihrem Theater, auch das Saarbrücker Haus liegt mitten in der Stadt.
"Es wird auf jeden Fall eine Kontinuität des Coburger Theaters in Saarbrücken geben", versichert Busse. Einige seiner Mitarbeiter und Künstler nimmt er mit. Doch natürlich wird Busse in Saarbrücken vieles anders machen. "Man muss sich immer neu auf eine Region, auf eine Stadt, auf ein Theater einstellen." Und: Auch er als Intendant müsse sich neu positionieren. "Es ist nie gut, sich in einer Komfortzone einzurichten, die man auch nie hat. Man hat nie die Sicherheit, dass alles funktioniert."
Denn Wechsel und Wandel gehören zum Theater. "Es ist ein Zukunftsunternehmen und kein Museum. Es wird nicht Vergangenheit festgeschrieben, sondern es ist ein offener dynamischer Prozess." Dass es daneben Künstler gibt, die lange Jahre bleiben und für Kontinuität sorgen, sei kein Widerspruch, sondern eine weitere Säule, auf der das Theater ruhe: die Kontinuität. Ans Weihnachtsmärchen würde er zum Beispiel nie rühren, sagt Busse. "Das ist die wichtigste Position in der Spielzeit! Da schöpfen wir aus dem Vollen, da muss man was investieren, damit das Publikum von morgen nicht die Lust am Theater verliert, sondern dass da ein Funke entzündet wird."
Zur Person
Bodo Busse, 1969 in Stuttgart geboren, wuchs in Filderstadt auf. Er machte dort Abitur und studierte in Tübingen Musik- und Literaturwissenschaft sowie Rhetorik. Nach Praktika und Assistenzen an der Staatsoper Stuttgart und am Opernhaus Zürich wurde er 1998 Musikdramaturg am Staatstheater Mainz. Es folgten Engagements am Theater Dortmund und am Stadttheater Gießen, bevor er 2002 als Musikdramaturg ans Hessische Staatstheater Wiesbaden berufen wurde. 2010 wurde er Intendant in Coburg. Zur Spielzeit 2017/18 wechselt er ans Staatstheater Saarbrücken.
O-Töne Bodo Busse über Anfänger
Coburg war für mich ein Sprungbrett. Ich habe hier meine erste Intendanz gehabt, ich bin als Anfänger hierher gekommen Ich hatte zwar durchaus Theatererfahrung und Leitungserfahrung an einem großen Staatstheater, in Wiesbaden war ich schließlich viele Jahre lang Opernleiter. Aber das ist noch einmal eine andere Erfahrung eine Intendanz zu übernehmen, auch unter den Voraussetzungen, die wir vorgefunden haben und den Aufgaben: Die Vorbereitung der Generalsanierung, und dann dürfen wir auch nicht den Wasserschaden vergessen, der ein unglaublicher Einschnitt war und für alle auf der Leitungsebene eine Herausforderung in Sachen Krisenmanagement. Das habe ich auch gelernt hier, dass man schnell Entscheidungen trifft. Das ist zwar manchmal unpopulär, aber man sollte die Dinge nicht in der Luft hängen lassen. Ich habe hier viel gelernt, im Guten wie im Negativen.
O-Töne Bodo Busse über Studium und Arbeit
"Ich glaube, bei allen, die am Theater arbeiten, sei es Schauspieler, Sänger oder Regisseur, fällt die Berufsentscheidung schon sehr früh. Weil dieses Faszinosum der Theaterwelt, wenn es einen packt, einen auch nicht mehr loslässt. Ich hatte eine Schulfreundin, mit der bin ich als Schüler immer nach Stuttgart in die Staatsoper. Wir sind mit dem Bus eine Stunde hingefahren und standen zwei Stunden an für die Restkarten für Schüler. Da hat man manchmal eine bekommen und manchmal nicht. Dann musste man irgendwie noch nach Hause kommen, manchmal per Anhalter...Da ist es so wichtig geworden, dass man dieses Theater- oder Opernerlebnis hat, dass es eigentlich schon entschieden war. Und als Student steht man dann vor der Staatsoper in Stuttgart und denkt: Da sind ja ganz viele Menschen, die da arbeiten. Ist da ein Platz für mich, in dieser Riesenmaschinerie?
Das ist ja ein Großunternehmen. Es wird alles selber hergestellt, es sind wahnsinnig viele Menschen, die da sitzen und denken und schreiben und machen. Und dann hatte ich bei einer Produktion mal ein Programmheft in der Hand. Das war die "Frau ohne Schatten", inszeniert von Götz Friedrich. Da war ich, glaube ich, in jeder Vorstellung.
Das Programmheft habe ich immer wieder gelesen, weil ich nicht alles verstanden habe, was auf der Bühne passiert ist, weil dieses Werk so irritierend ist, so verstörend und grandios. Dann hab ich gedacht: Mensch, dieses Programmheft, das hat doch jemand geschrieben. Ah, Dramaturgie. Ach interessant, da werde ich mich mal hinwenden. So kam es, dass es, noch während ich Student war, klar war, dass es mal in die Operndramaturgie geht."
O-Töne Bodo Busse über Theater und Realität
"Ein reiner Spiegel ist das Theater nie, weil es immer symbolisiert, metaphorisiert, überhöht, kommentiert. Auch wenn es politisch ist, sollte es nicht einfach eine politische Realität eins zu eins auf der Bühne abbilden. Das ist langweilig und bringt auch nichts. Wir müssen ganz andere humane Kräfte mobilisieren.Theater ist per se politisch, weil es in einen Diskurs zum Publikum tritt, weil Menschen zusammenkommen, weil Haltungen eingenommen werden auf der Bühne.Theater ist nie Propaganda, weder für eine Partei noch für eine gesellschaftliche Entwicklung, aber das Theater arbeitet mit den Mitteln der Assoziation, vor allem der Emotion und des Intellekts an der Humanisierung, an einem Zugewinn an Empathie, an emotionaler Kraft, auch an Phantasie und Kreativität. Das brauchen wir, um eine Gesellschaft zu entwickeln und Konflikte in der Gesellschaft zu lösen, die momentan enorm sind!
Vielleicht müssen wir unser Publikum noch mehr sensibilisieren für gesellschaftliche Probleme, und deshalb sind auch Öffnungsprozesse im Theater wichtig und neue Formate, wo wir theaterfernes Publikum erreichen. Dass der Kreis derer wächst, die einen Konsens tragen für das Menschliche, für Toleranz und ein friedliches Zusammenleben. "
O-Töne Bodo Busse über Wandel und Beständigkeit
"Die Konstante ist, dass man sich selber treu bleibt, auch im Wandel. Auch die Bereitschaft zu Offenheit und zum Wandel hat etwas mit Kontinuität zu tun: die Freude an der Arbeit und am Theater an sich nicht zu verlieren. Wenn ich selber nicht mehr gern ins Theater gehe, unabhängig davon, ob ich mir einen Schauspieler anschaue oder einen Sänger oder eine Regiearbeit, wenn ich privat nicht mehr gerne ins Theater gehe, dann sollte ich mir Fragen stellen. Immer wieder, in vielen Theateraufführungen, merke ich, dass da kurze Momente sind, die einen berühren. Das kann das banalste Stück sein oder auch unverhofft: In der "Schneekönigin", wenn Kai und Gerda sich wieder begegnen. Das sind kleine Momente, die da aufblitzen und die sich dann im Gedächtnis festsetzen als Kristalle der Erinnerung.
Und ich freue mich, weil ich weiß, ich werde nicht ganz aus Coburg weggehen. Es werden Freundschaften bleiben, es werden künstlerische Kontakte bleiben, ich werde die weitere Entwicklung des Hauses sehr im Blick behalten, das ist doch klar, allein schon wegen der Generalsanierung und all den Dingen, die wir in den letzten Jahren aufs Gleis gebracht haben. Und ich werde bis zu meinem letzten Arbeitstag für diese Dinge da sein und Dinge kämpfen, und zwar mit dem Fritz Frömming zusammen, der ein wunderbarer toller Geschäftspartner ist.
Auch in Zukunft wird es einige Theaterreisen aus Saarbrücken nach Coburg geben. Um zu schauen, was passiert denn hier eigentlich so? Werden neue Regietalente entdeckt, gibt es interessante junge Sänger, die man vielleicht weglocken kann? (lacht)"