Blick hinter die Theaterkulissen in Coburg
Autor: Bettina Knauth
Coburg, Sonntag, 29. Januar 2017
Einmal auf der Bühne des Landestheaters Coburg stehen - diese Chance bot das Tageblatt seinen Abonnenten.
Thomas Escher, Mitarbeiter in der Verwaltung des Theaters, geleitet die 20-köpfige Gruppe hinter die Kulissen. Sein erster Halt gilt dem wichtigsten Platz im Theater: dem Platz des Inspizienten, gleich links neben der Bühne. "Von hier aus wird das gesamte Geschehen gesteuert", schildert der 56-Jährige. Vorhang, Ton, Licht: Wer auf dem Stuhl an dem altmodischen Pult sitzt, gibt das Signal. Eine Art Drehbuch zeigt an, in welcher Szene der jeweilige Effekt erfolgen muss. Mithilfe zweier Monitore sieht der Inspizient auch, was sich auf der Vorbühne und am Dirigentenpult tut. Wer nicht rechtzeitig auf der Bühne erscheint, wird ausgerufen. "Bei diesem Job sind vor allem gute Nerven, dazu klare Anweisungen und spontanes Handeln nötig", macht der Insider deutlich. "Wenn das Nervenkostüm passt, können wir uns ja bewerben", scherzt Annette Wank-Präcklein (Stöppach).
Auch Escher hat hier schon auf den Brettern gestanden, die angeblich die Welt bedeuten, als Statist und Sänger im Extrachor. Am Platz des Souffleurs erläutert er das "assoziative Lernen", das Text mit Bewegung verbindet. "Nach der 120. Probe hat es dann auch der Letzte gelernt", meint er. Und nach der siebten Vorstellung habe sich jeder freigespielt. In der letzten Aufführung erlaube sich das Ensemble sogar den einen oder anderen Jux.
Mit Blick in den Zuschauerraum schildert der Gästeführer, warum dieser gerundet ist: "Das Theater war ein Platz des Sehens und Gesehen Werdens." Die Besucher sehen als nächstes die Drehbühne, zu der sich bis zu vier Hochpodeste gesellen können. 250 Scheinwerfer dienen der Illumination. "Wir wollen an ihre Gefühle", beschreibt Escher, eine Kuss-Szene würde in der "Waschküchen-Romantik" einer hellerleuchteten Bühne nicht funktionieren. Dann führt er die Pferderampe hinab zum Seiteneingang, durch den die Kulissen ins Theater gelangen. Links und rechts sind Requisiten der aktuellen Produktionen gelagert. "Alles muss durch diese Tür passen", sagt Escher. Heute ziehen Techniker ("die Esel") anstelle von Pferden die Ausstattungen die Rampe hinauf. "Sehr nostalgisch" findet Dieter Seyfarth (Neustadt) die Methode, Dietmar Ötter (Coburg) nennt sie "abenteuerlich".
Weiter geht es zum tiefsten und kühlstem Ort, dem Orchestergraben. Hier herrschen während der Vorstellung Lautstärken zwischen 90 und 110 Dezibel. "Normalerweise müssten die Musiker Kopfhörer tragen, sagt Escher. Schwangere dürften nicht mehr lange mitspielen. Plexiglasschilde an den Stühlen schützen die vorderen Musiker gegen die lauteren Instrumente hinter ihnen. Nächste Station: eine der drei Probebühnen. Hier sei "Umproben" gefragt, erläutert der Mitarbeiter, denn in den Räumen herrschten andere Dimensionen als auf der Bühne. Die Kulissen sind spartanisch: Zwei Stühle müssen z.B. der "Julia" als Balkon dienen.
In der Maske werden notfalls aus "alten" Menschen junge - und umgekehrt. Escher: "Ungeschminkt geht gar nicht, dann sehen Sie auf der Bühne grau und fahl aus, wie auf einer Beerdigung." Für graue Haare sorgt Trockenshampoo. Echthaar-Perücken sind teuer aber unverzichtbar, denn "mit Kunsthaar ähneln Sie Pinocchio." In der "Sologarderobe" der Damen finden viele Akteurinnen Platz. Hier hängen bereits die Kostüme für die abendliche Aufführung des Musicals "Anything goes" ("wie bei Königs", kommentiert Escher). Die Schneiderinnen fertigen tagsüber neue Kostüme oder ändern sie, abends stehen sie als "Anziehhilfe" bereit. Die Kostüme, die vom Zuschauerraum gut aussähen, seien von Nahem eher zweckdienlich, z.T. mit "Schwitzecken" (um ständiges Waschen zu verhindern) oder Klettverschlüssen (zum leichteren Umziehen) versehen. "Mir haben schon an der Seitenbühne vier Personen gleichzeitig die Kleider vom Leib gerissen", erinnert sich Escher. 52 Sekunden dauerte sein schnellster Umzug. Ob denn bei so engem Timing mitunter etwas schiefläuft, möchten die Gäste wissen. Und ob: Der Insider berichtet schmunzelnd, wie die Müllerstochter in "Rumpelstilzchen" nach ihrer Pirouette im Wickelrock einen unfreiwilligen Strip hinlegte oder dem "König Drosselbart" plötzlich unplanmäßig eine Giraffe auf die Bühne folgte, weil ihm die notwendige Unterhose fehlte. Für Lacher sorgt auch seine Schilderung eines Feuerwehreinsatzes in der Garderobe, nachdem ein Ballettmädchen dort einen Abschiedsbrief ihres Liebsten verbrannt hatte. "Unser Feuermelder ist sehr sensibel, hier dürfen sie nicht mal Kerzen anzünden", sagt Escher. Er selber servierte einer Kollegin einmal statt mit den verlangten Trauben einen "Plombenzieher", weil sie ihn geärgert hatte.
Eindrucksvoll ist die Sammlung für Männerschuhe, die über Jahrzehnte entstanden ist. "Es gibt ja im Theater sehr viel mehr Rollen für Männer", erläutert Escher. Als der 56-Jährige den Acht-Stunden-Tag und die Sechs-Tage-Woche der Schauspieler schildert ("Sie sind mit dem Theater verheiratet"), sind die Gäste überrascht. Escher stellt auch die Bedeutung des gesamten Personals heraus, das hinter der Bühne dafür sorgt, "damit das Produkt Theater entstehen kann". "Wenn ich den ganzen Aufwand bedenke, dann sind die Eintrittspreise wirklich nicht zu teuer", kommentiert Sonja Greuling (Seßlach) spontan.
Wie die anderen Teilnehmer freute sich Wolfgang Ehrlicher (Neida) das Angebot des Coburger Tageblatts zum Einblick hinter die Kulissen wahrgenommen zu haben: "Es war keine schlechte Idee heute herzukommen!" Zum Schluss der rund 75 Minuten dauernden Führung sind sich alle Besucher auch darin einig: Das Theater ist definitiv sanierungsbedürftig! Verblüfft registriert Erika Seyfarth, dass sich kaum etwas verändert hat, seit sie in den 60er Jahren mit einem Gast-Chor hier auf der Bühne stand: "Lediglich die Drehbühne gab es damals noch nicht.". Ihr Mann Dieter hat die Diskussion um die Sanierung verfolgt und äußert "vollstes Verständnis" für den von Escher auf rund 72 Millionen bezifferten finanziellen Aufwand: "Alles ist zu eng und überholt!"