Biker sollen ihrem Schutzengel nicht davon fahren.
Autor: Rainer Lutz
Coburg, Freitag, 02. Juni 2017
Ein Fahrlehrer sagt, durch Fahrsicherheitstraining könnte manches Unglück verhindert werden. Ein Pfarrer erinnert daran, das Menschen fehlbar sind.
Sonnenschein, kurvenreiche Straßen in einer wunderschönen Landschaft und das Motorrad gleitet im Wechselspiel der physikalischen Kräfte dahin - Bikerträume. Träume, die in Bruchteilen einer Sekunde zum Alptraum werden können. Die noch junge Motorradsaison dieses Jahres ist überschattet durch eine - zumindest gefühlte - Häufung von Unfällen in Franken.
"Das Problem ist eine völlig falsche Einschätzung der Sicherheitslage", sagt Waldemar Müller. Er ist seit 40 Jahren Fahrlehrer und gefragter Sicherheitstrainer für Biker. Selbst die oberfränkische Polizei absolviert regelmäßig Trainings bei ihm. Er nennt Selbstüberschätzung als gefährliche Eigenschaft vieler Biker. "Wirklich beherrschen kann sein Motorrad praktisch keiner, vielleicht 20 Prozent können gut damit umgehen, der Rest fährt mehr oder weniger Motorrad", lautet sein Urteil. Ein hartes Urteil.
Es kommt aus seiner langen Erfahrung als Trainer. "Was die Geschwindigkeit bedeutet, mit der sie unterwegs sind, ist den wenigsten bewusst", merkt er immer wieder. Wie lange dauert es, bis die Maschine auf "0" gebremst ist? Wie viel Zeit und Raum brauche ich, um auszuweichen? Wann ist der richtige Zeitpunkt dafür? Ein Sicherheitstraining kann helfen, zu diesen Fragen passende Antworten zu finden, oder besser zu erfahren - direkt mit dem Bike. Teil der Ausbildung ist so ein Training nicht. Es ist freiwillig. Aber: "Mit der Freiwilligkeit ist es in Deutschland nicht weit her", weiß der Fahrlehrer. Der ADAC bietet Auto-Fahranfängern einige Monate nach bestandener Prüfung ein kostenloses Sicherheitstraining an. Die Nachfrage ist sehr überschaubar.
Mit Gefahren zu rechnen, ist für Zweiradfahrer wichtig. Mit ihnen umgehen zu können, ist noch wichtiger. Verschmutzte Fahrbahn ist eine häufige Ursache für Stürze. Im Sicherheitstraining schüttet Waldemar Müller einen Eimer Split in die Kreisbahn. "Da kann man drüber fahren, ohne zu fallen", sagt er. Für viele eine unerwartete Erfahrung. Für manchen eine, die ihm später eine harte Landung erspart hat.
Fehler in der Kurve
"Viele schneiden Kurven einfach, haben keine saubere Blickführung", nennt der Sicherheitstrainer ein weiteres Problem und rät, "nicht so sehr mit dem Kopf" zu fahren. Das Gefühl, das rät, etwas langsamer in die Kurve zu gehen, sei meistens richtiger als der Gedanke, "das geht schon".Die Ausbildung zum Motorradführerschein mit ihren Grundaufgaben sei "eigentlich schon recht gut", sagt er, rät aber seinen Fahrlehrerkollegen, es Schülern nicht leicht zu machen. Sie sollten beim Schulen unbedingt auch die anspruchsvollen Strecken ansteuern, die den späteren Biker echt fordern. So etwas sollten sie kennen lernen, ehe sie alleine unterwegs sind.
An solchen Straßen wie aus Bikerträumen fehlt es in der Region nicht. Umgeben von Motorradrouten in Thüringer Wald, Frankenwald, Fränkischer Schweiz, Steigerwald, Hassbergen und Rhön darf sich das Coburger Land schon als Bikerparadies fühlen.
Pfarrer im Biker-Paradies
Die Aufzählung des Fahrlehrers deckt sich fast Wortgleich mit der von Arnold Kroll. Dass er von einem Paradies spricht, passt. Er ist Pfarrer, genauer gesagt Motorradpfarrer. Der evangelischen Kirche liegen die Biker am Herzen. Und weil Motorradfahrer vielleicht nicht immer die frömmsten Schäflein und eifrigen Kirchgänger sind, kommt die Kirche zu ihnen. "Kirche und Krad" heißt eine Arbeitsgemeinschaft, die gerade die Zweiradler ansprechen will. Sie organisiert Touren, aber auch Motorradgottesdienste. Einen gibt es immer zum Saisonauftakt. Die Pfarrer wollen dabei niemandem den Spaß am Biken verderben. Im Gegenteil. Aber sie wollen ins Bewusstsein rufen: "Wir Menschen sind fehlbar. Beim Motorradfahren kann der kleinste Fehler in der Katastrophe enden", wie Kroll zusammenfasst. Regelmäßig bietet KuK Touren zum Motorradgottesdienst in Hamburg an. Einem Bikerspektakel mit rund 40 000 Teilnehmern. Viele haben von dort einen Schlüsselanhänger mitgebracht. "Fahr nicht schneller, als dein Schutzengel fliegen kann", steht darauf. Das trifft es auf den Punkt, findet Arnold Kroll. "Als Motorradfahrer muss sich jeder immer wieder selbst beherrschen", sagt er und weiß wovon er spricht. "Ich habe auch schon rund 400 000 Kilometer auf dem Bock hinter mir", sagt er und teilt Biker ein in "die, die schon gestürzt sind, und die, die noch stürzen werden." Er ist schon gestürzt. "Es kann immer etwas passieren, womit du nie gerechnet hättest, was du so noch nicht erlebt hast", weiß er.