Bereitschaftsdienst: Kritik von Arzt aus Coburg
Autor: Helke Renner
Coburg, Donnerstag, 28. August 2014
Weil es immer weniger niedergelassene Allgemeinmediziner gibt, sollen ab April 2015 auch andere Arztgruppen in den Bereitschaftsdienst einbezogen werden.
Er halte es für "grob fahrlässig", dass Fachärzte, die in ihrer Praxis mitunter schon seit Jahrzehnten nichts mehr mit allgemeinmedizinischen Themen zu tun haben, in den ärztlichen Bereitschaftsdienst einbezogen werden sollen, sagt der Coburger Psychotherapeut, der anonym bleiben möchte.
"Natürlich war die Medizin Teil meines Studiums, doch das ist lange her." Zwar biete die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB) Fortbildungsseminare speziell für die Anforderungen im Bereitschaftsdienst an, aber: "Ein Allgemeinmediziner studiert fünf bis sechs Jahre. Das kann mit ein paar Wochenendkursen nicht ausgeglichen werden." Außerdem arbeite er, wie viele seiner Kollegen, mindestens 50 Wochenstunden, ergänzt der Facharzt. Die für ihn obligatorischen Fortbildungen seien da noch nicht eingerechnet. Es gehe nicht darum, sich vor dem Bereitschaftsdienst zu drücken.
Der Facharzt hat Widerspruch gegen die Entscheidung der KVB eingelegt. "Ich habe die Antwort bekommen, dass ich nicht überbelastet bin und 12 bis 13 Dienste im Jahr übernehmen könnte." Und die Wochenendseminare, die in Regensburg, München, Würzburg, Nürnberg und Augsburg angeboten würden, seien auch zu verkraften. "Viele der Kurse sind aber jetzt schon überfüllt."
Das sei nicht verwunderlich, bestehe die KVB doch darauf, dass prinzipiell alle Vertragsärzte, also auch Psychotherapeuten, Radiologen oder Laborärzte sich am Bereitschaftsdienst beteiligen, obwohl sie in der Vergangenheit bewusst davon befreit worden waren. "Wer sich weigert, läuft Gefahr, die Kassenzulassung zu verlieren."
Zwar verstehe er die schwierige Situation, die sich aus dem Mangel an Hausärzten ergebe, räumt der Coburger Psychotherapeut ein, aber es sei nicht hinnehmbar, dass einige Arztgruppen jetzt die Fehler anderer ausbügeln müssten.
Selbst Kollegen, die bereits eine Nachqualifizierung absolviert haben, hätten erkennen müssen, dass sie nicht die für den Bereitschaftsdienst notwendige Kompetenz erreichen konnten.
"Was passiert, wenn ich einen Fehler begehe und der Patient bleibende Schäden zurückbehält oder gar stirbt? Meine Haftpflichtversicherung übernimmt das nicht." Es gebe zwar noch die Möglichkeit, sich eine Vertretung für den Bereitschaftsdienst zu suchen, aber dann müssten für den Vertreter neben den Kosten auch die Haftung übernommen werden. "Das kann ich mir nicht leisten."
Er plädiere für eine sogenannte Poollösung, in die Ärzte aus verschiedenen, sich angrenzenden Landkreisen eingebunden werden könnten, sagt der Psychotherapeut. "In Coburg gibt es mit der Einrichtung der Bereitschaftspraxis am Klinikum dafür gute Voraussetzungen."
Die KVB in der Zwickmühle
Und wie positioniert die KVB sich zu dieser Problematik? "Wir nehmen die Sorgen und Nöte unserer Mitglieder sehr ernst. Mit der Mitgliedschaft in der Kassenärztlichen Vereinigung, die sich aus der Zulassung als Vertragsarzt ergibt, sind allerdings auch vertragsärztliche Pflichten verbunden. Dazu gehört die Teilnahme am ärztlichen Bereitschaftsdienst", schreibt die Pressereferentin Birgit Grain. Vor dem Hintergrund des zunehmenden ärztlichen Nachwuchsmangels sei es unumgänglich, auch bisher befreite Fachgruppen in den Dienst einzubeziehen. Für sie sei eine Übergangsfrist von zwei Jahren vorgesehen. In dieser Zeit sollten sie die Fortbildungsveranstaltungen besuchen, um für Akutsituationen gewappnet zu sein.
Nach Ansicht der KVB seien die angebotenen Seminare ausreichend, denn: "Alle niedergelassenen Ärzte in Bayern haben ein vollständiges Medizinstudium absolviert und mit dem zweiten Staatsexamen abgeschlossen. Im letzten Studienabschnitt findet die praktische Arbeit in der Patientenversorgung statt, hier sammeln sie wichtige Erfahrungen für ihre spätere Tätigkeit.
Die Spezialisierung auf ein Fachgebiet erfolgt erst im Anschluss an das Zweite Staatsexamen und die Approbation. Insofern verfügen alle Ärzte über ein umfassendes medizinisches Grundwissen." Die Rechtsprechung verlange zudem von allen Fachärzten eine regelmäßige Fortbildung im Bereich des Bereitschaftsdienstes, um sich im Laufe ihrer Tätigkeit nicht immer weiter von den Kenntnissen auf dem Gebiet der Allgemeinmedizin zu entfernen. Sei ein Arzt im Bereitschaftsdienst unsicher, was die Diagnose betrifft, dann bestehe immer noch die Möglichkeit, den Patienten an den Rettungsdienst und die Notaufnahmen der Kliniken zu verweisen.
Die Einrichtung eines Pools freiwilliger Vertragsärzte unterstütze die KVB prinzipiell, schreibt Brigitte Grain weiter. Auch das Modell mit quasi "hauptberuflichen" Bereitschaftsdienstärzten werde diskutiert - genauso wie andere Ideen.
Thomas Scheller, der Vorsitzende des Hausarztvereins Coburg Stadt und Land, bezeichnet die Situation im Bereitschaftsdienst als dramatisch. Die Verantwortung dafür sieht er aber bei der Bundesregierung, die nicht rechtzeitig auf den seit Jahren drohenden Hausärztemangel reagiert habe.
Hilfe für die Kollegen
Den Ärztegruppen, die ab 2015 neu in den Bereitschaftsdienst einsteigen sollen, macht er indes Mut. "Wir haben auch schon unsere Bedenken angemeldet, aber zur Not kann man sich ja von einem Allgemeinmediziner im Ruhestand vertreten lassen." Das müsse nicht extra bezahlt werden. Außerdem könnten die Kollegen anfangs auch mit erfahrenen Bereitschaftsärzten mitfahren.