Gisela Dötschel wird am Freitag mit dem Pflegepreis für pflegende Angehörige ausgezeichnet.
Gerhard Dötschel war ein geselliger, lebenslustiger Mann und Vater, glücklich verheiratet und gerade in sein neu gebautes Haus in Meeder eingezogen. Doch seine Frau bemerkte eine Veränderung an ihm. Er beteiligte sich nicht mehr an Gesprächen, wurde stiller. Dann sah er plötzlich Doppelbilder. Der Hausarzt verwies ihn an den Neurologen und binnen weniger Tage stand die Diagnose fest: Multiples Sklerose.
Das war 1992. Gerhard Dötschel war gerade 40 Jahre alt.
26 Jahre später zeichnet die Bayerische Multiple Sklerose-Stiftung Gisela Dötschel mit dem Pflegepreis für pflegende Angehörige 2018 aus. "In all den Jahren und trotz Ihrer Berufstätigkeit meisterten Sie in selbstloser Weise und mit viel Geduld und Einfühlungsvermögen den schwierigen Alltag", heißt es in der Laudatio.
Für die 64-Jährige war das alles eine Selbstverständlichkeit, wie sie im Gespräch mit dem Tageblatt erzählt - doch sie gibt auch unumwunden zu, dass es ein steiniger Weg gewesen sei. Vor allem am Anfang. Die "Heimlichtuerei" - Wem kann ich es sagen? - habe sehr an ihr gezehrt. Als es dann "raus war", ging's leichter. "Wir haben uns arrangiert und sind in die neue Situation hineingewachsen", sagt sie.
Erschwerend kam hinzu, dass Gerhard Dötschel nicht nur körperliche Einschränkungen hatte, sondern von Beginn an auch Wesensveränderungen zeigte, die schließlich zu einer Demenz führten.
"Eigentlich kann ich mich seit gut 15 Jahren nicht mehr richtig mit meinem Mann unterhalten", gibt sie zu. Doch das große Glück sei, dass Gerhard Dötschel ein sehr genügsamer und freundlicher Mann geblieben ist. "Wenn es ihm gut geht und er keine Schmerzen hat, geht es mir auch gut", sagt die Frau, die seit 41 Jahren mit ihm verheiratet ist. Sie bezeichnet sich als konservativ und altmodisch, denn der Spruch "bis dass der Tod uns scheidet" habe schon eine Bedeutung für sie.
Das Pflegebett steht im Wohnzimmer und Gerhard Dötschel lacht übers ganze Gesicht, wenn ihn seine Frau morgens weckt. Neulich hat er sich am Ende eines Tages - "der nicht einfach war" - für den schönen Tag bedankt und dafür, dass sie immer bei ihm ist. Während Gisela Dötschel das erzählt, muss sie schlucken. Denn viel Resonanz bekommt sie nicht. "Gerhard hat keine Empathie mehr. Er vergisst alles, was vor wenigen Stunden passiert ist", berichtet sie.
Auf eigene Kosten
Seit einigen Jahren besucht er eine Tagespflege-Einrichtung. Vom Bett in den Rollstuhl, vom Rollstuhl ins Auto und wieder zurück. Für Gisela Dötschel ist das Alltag. Einen ambulanten Pflegedienst nimmt sie nicht in Anspruch, auch keinen Fahrdienst. Ihr Fahrzeug hat sie auf eigene Kosten umrüsten lassen.
Seit sie Rentnerin ist und der Sohn mit seiner Familie wieder mit ins Haus einzog, bleibt Gisela Dötschel ein bisschen mehr Zeit für sich. "Ich habe meine Inseln, wo ich Kraft tanken kann", erzählt sie. Dazu gehört die wöchentliche Gymnastikstunde und das meditative Tanzen. "Ich muss viel allein machen, aber einsam bin ich nicht", sagt sie - vermisst aber schon manchmal eine gute Unterhaltung.
Es gibt eine Handvoll feste Freunde, die sie die Jahre hindurch begleitet haben und immer da sind, wenn sie gebraucht werden. Aber die Dötschels mussten auch die Erfahrung machen, dass ihnen Freunde den Rücken gekehrt haben. So sei das eben. "Es gibt immer wieder Menschen, die einem gut tun."
Optimismus und Lebensfreude strahlt die 64-Jährige aus. Zusammen mit ihrem Mann unternimmt sie Ausflüge, die beiden gehen auch mal in die Stadt. Zweimal im Monat besuchen sie die MS-Selbsthilfegruppe in Ahorn, wo alle ihr Schicksal teilen, wo Verständnis da ist und stets ein offenes Ohr. Ja, und wenn man Gisela Dötschel fragen würde, sie würde sagen, dass sie ein glückliches Leben führt.
Multiple Sklerose ist nach wie vor unheilbar. Die chronische Autoimmunerkrankung tritt meist im jungen Erwachsenenalter auf und verändert das Leben der Betroffenen und ihrer
Angehörigen schlagartig. Die Diagnose bedeutet nicht nur für die Betroffenen eine ungewisse Zukunft mit vielen schmerzhaften Entbehrungen - auch die Betreuenden sind mit großen Belastungen und Unsicherheiten konfrontiert, die nicht selten jeglichen Plänen und Lebensentwürfen ein jähes Ende setzen.
Pflegepreis Mit der Verleihung des Pflegepreises erhalten pflegende Angehörige Anerkennung für ihre Arbeit, die häufig stillschweigend und im Verborgenen stattfindet. Die Bayerische Multiple Sklerose-Stiftung zeichnet am 29. Juni neun pflegende Angehörige aus.
Voraussetzung für den Erhalt des Pflegepreises ist die vorbildliche Betreuung eines von
Multipler Sklerose schwerstbetroffenen Lebenspartners oder Familienmitgliedes über einen
langjährigen Zeitraum. Der Preis ist mit 1000 Euro pro Preisträger dotiert.
SHG Coburg Die Selbsthilfegruppe Multiple Sklerose trifft sich jeden 2. Freitag im Monat von 15 bis 17 Uhr in Ahorn. Ansprechpartner: Gerda Vorndran, Telefon 09562/1752.