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Bachchor probt für Coburger Erstaufführung


Autor: Jochen Berger

Coburg, Dienstag, 17. November 2015

Mit einem ungewöhnlichen Programm kehrt der Coburger Bachchor am Sonntag zurück in die fast vollständig sanierte Morizkirche. Warum er ausgerechnet Monteverdis "Marienvesper" für das Baustellenkonzert ausgewählt hat, verrät Kirchenmusikdirektor Peter Stenglein im Gespräch.
Peter Stengleint probt mit dem Coburger Bachchor probt Monteverdis "Marienvesper". Das Werk erklingt beim "Baustellenkonzert" am Sonntag, 22. November, in der Morizkirche.Foto: Jochen Berger


Der Coburger Bachchor wagt sich bei seinem Konzert am Totensonntag an eine anspruchsvolle Erstaufführung: Claudio Monteverdis "Marienvesper". Das 1610 veröffentliche Werk fehlt bislang in den Annalen des renommierten Chores.

Musik aus der Zeit vor Johann Sebastian Bach ist die absolute Ausnahme im Repertoire des Coburger Bachchors. Was hat den Ausschlag gegeben, die "Marienvesper" auf das Programm zu setzen?
Peter Stenglein: Monteverdis "Marienvesper" zählt für mich zu den großartigsten Kunstwerken der Chor-Orchester-Musik. Seit langem habe ich mich mit diesem Werk beschäftigt. Wir gehen mit der "Marienvesper" zurück zu den Anfängen der oratorischen Musik, wenn man das so sagen darf. Bach, Händel, Telemann - alle späteren großen Barockkomponisten sind für mich ohne die "Revolution" aus Italien nicht denkbar. Der neue Stil - die Monodie - bricht mit der Tradition der Renaissancemusik und bringt große Emotion in die Musik. Folgerichtig entstehen Oper und Oratorium im 17. Jahrhundert. Der Aufbruch in die "Konzertliteratur". Und schließlich ist es mir ein Anliegen, das Repertoire des Bachchors in beide Richtungen zu erweitern: Vor zwei Jahren sangen wir Benjamin Brittens "War Requiem" - Musik von 1962, jetzt Monteverdis "Marienvesper" von 1610. Oratorische Musik fand ja nicht nur zwischen 1730 und 1880 statt.

Barock, Klassik, Romantik und Moderne hat der Bachchor gesungen - wo liegt die Herausforderung in der Probenarbeit bei diesem Werk?
Die größte Herausforderung ist zweifelsohne, die gedruckten Noten "richtig" zu lesen. Das klingt vielleicht seltsam, ich will es aber an einem Beispiel erläutern: Im frühen 17. Jahrhundert kann eine ganze Note doppelt so schnell gemeint sein wie eine halbe Note. Das hängt vom Zusammenhang ab, wie sich die Takte aufeinander beziehen. Mit anderen Worten: Das scheinbar "langweilige" Notenbild muss in packende Musik übersetzt werden. Die aufgeschriebenen Noten sehen nur auf den ersten Blick einfach aus, auf den zweiten Blick müssen wir immer wieder verstehen, was der Komponist mit dieser oder jener Stelle gemeint hat.

Die "Marienvesper" ist ein vielgestaltiges Werk und enthält kurze Solostücke ebenso wie prachtvolle große Chorsätze. Wie lässt sich Monteverdis Musik stilistisch beschreiben?
Monteverdi steht - genau wie Heinrich Schütz oder der Coburger Melchior Franck - an der Stilwende von der Renaissance- zur Barockmusik. Die klangprächtigen Psalmen stehen phasenweise in der Tradition des 16. Jahrhunderts: Polyphonie, Einbeziehung von gregorianischen Melodien, den "Psalmtönen". Daneben stellt Monteverdi sehr moderne Ideen und Klänge, die er überwiegend in den solistischen Passagen realisiert: Virtuoser Solo- oder Ensemblegesang, die "Monodie" - Vorläuferin der Arien und Rezitative. Monteverdis Harmonik ist an manchen Stellen geradezu modern. An anderen Stellen möchte er den Raum einbeziehen, indem er auf Echowirkungen setzt und diese in der Partitur auch ausdrücklich verlangt. Die frühbarocken Instrumente wie Zinken und eng gebaute Posaunen geben einen besonders reizvollen Klang dazu.

Die Partitur der "Marienvesper" lässt einige aufführungspraktische Fragen offen. Für welche Variante haben Sie sich entschieden?
Zu den offenen Fragen gehören die Stimmtonhöhe oder die Tonart, in der musiziert wird. Das ist beim Psalm "Lauda Jerusalem" und im "Magnificat" nicht eindeutig vorgeschrieben. Wir musizieren in 465 Hertz und wählen für die genannten Stücke die Ausführung in G-Dur bzw. d-Moll.

Was ist das Besondere an diesem Werk?
Die Musik ist also extrem vielfältig, alt und modern zugleich, schließlich ist sie wegweisend für alle späteren großen Komponisten.

Die Musikwissenschaft diskutiert noch immer, ob die "Marienvesper" ein Sammeldruck ist oder ein Gesamt-Kunstwerk. Was gibt für Sie den Ausschlag, das Werk in seiner Gesamtheit aufzuführen?

Für mich ist das Werk keine "liturgische" Musik, wohl aber "Kirchenmusik". Monteverdi vertont die Texte, die in seiner Zeit für einen Vespergottesdienst (also das Abendgebet) dazu gehören. Ob er dabei an eine Gesamtaufführung gedacht hat, kann niemand sicher sagen. Für mich hat das Werk in seiner Gesamtheit aber einen einzigartigen Spannungsbogen. Es lohnt sich damit, eine Gesamtaufführung anzugehen.

Monteverdis Musik stellt auch an die Vokalsolisten und Instrumentalisten besondere stilistische Herausforderungen. Wer übernimmt in Coburg diesen Part?
Die Vokalsolisten und die Instrumentalisten sind ausgewiesene Spezialisten auf dem Gebiet der frühbarocken Musik und auf internationalen Konzertpodien zuhause. Klare Tongebung und virtuose Verzierungen gehören zum Repertoire der Sängerinnen und Sänger. Das Ensemble Oltremontano - die von Jenseits der Berge - trägt das Wesentlich schon im Namen: Im franko-flämischen Raum beheimatet, greifen sie die Stilistik der aus Italien heraufziehenden frühbarocken Musik auf.

"Baustellenkonzert": Was erwartet die Zuhörer am 22. November in der Morizkirche? Welche Einschränkungen gibt es?
"Baustelle" heißt in diesem Fall: Es gibt eine Bestuhlung im Mittelschiff, die den gewohnten Umfang hat, die Seitenschiffe sind aber leer. Dafür sind aber die Emporen nutzbar. Das Lichtkonzept ist weitgehend umgesetzt, aber noch nicht bis "ins Letzte" ausgetüftelt. Das Epitaph und die Orgel sind eingerüstet, also nur teilweise oder gar nicht zu sehen. Positiv: Die Heizung läuft normal! Das neue Chorpodium wird erstmals benutzt - ich bin gespannt auf die klanglichen Auswirkungen.



Rund um die Aufführung der "Marienvesper"

Konzert-Tipp Claudio Monteverdi "Marienvesper", Sonntag, 22. November, 16 Uhr,
St. Moriz Coburg

Interpreten
Gerlinde Sämann, Nele Gramß (Sopran), Marnix De Cat (Alt), Hermann Oswald, Georg Poplutz (Tenor), Ekkehard Abele, Matthias Horn (Bass).
Ensemble "OltreMontano"
Coburger Bachchor
Leitung: Peter Stenglein
Vorverkauf Eintrittskarten bei der Coburger Tourist Information in der Herrngasse 4 (Tel.: 09561-898044). Restkarten ab 15 Uhr an der Tageskasse.

Die Marienvesper von Monteverdi (1567 bis 1643) wurde 1610 zusammen mit der Missa in illo tempore, ebenfalls von Monteverdi, veröffentlicht. Das Werk besteht aus einem Invitatorium, fünf Psalmen, einem Hymnus und einem Magnificat.