Aus für intensive Betreuung der Flüchtlinge?
Autor: Christiane Lehmann
Coburg, Mittwoch, 01. Juni 2016
Der einzigen Einrichtung in Bayern, die schwierige, unbegleitete Jugendliche intensiv betreut, wurde die Erlaubnis dafür entzogen.
Die Einrichtung Pro.Ju betreut seit mehreren Jahren unbegleitete Flüchtlinge in unserer Region. Die Jugendlichen, die vom Jugendamt München geschickt werden, haben oft ein schwieriges Schicksal hinter sich und sind besonders auffällig. Der Sozialpädagoge Holger Hörner, der Pro.Ju gegründet hat, kümmert sich sehr intensiv um sie. "Vier Jugendlichen stehen vier Betreuer zur Seite", so die aktuelle Situation.
Das soll sich jetzt ändern. Die Regierung von Unterfranken hat Pro.Ju die Neuaufnahme von unbegleiteten jugendlichen Flüchtlingen untersagt. "Nach Beendigung der noch laufenden Maßnahmen ist die stationäre Betreuung nicht mehr Bestandteil der Betriebserlaubnis", heißt es in dem Schreiben. Die in Hafenpreppach angesiedelte Einrichtung soll sich künftig, wie es auch das ursprüngliche Konzept vorsieht, wieder um deutsche Jugendliche kümmern.
Holger Hörner ist stinksauer. Der Heimleiter vermutet, dass bewusst kleine Einrichtungen "kaputt gemacht werden sollen, damit die Träger von größeren Unterbringungsheimen noch mehr abkassieren können". Das sei aber nur die eine Seite, die ihn beim Nachdenken darüber wütend macht. Die andere betrifft die Jugendlichen und auch die vielen Coburger Unternehmen, die seit Jahren seine Arbeit mit Flüchtlingen unterstützen und auf gute Fachkräfte hoffen.
Beachtliches Netzwerk
Es existiert mittlerweile ein beachtliches Netzwerk an Firmen aus der Region, die sich als Praktikums- und Ausbildungspartner zur Verfügung stellen. "Dies auch deshalb, weil wir stetig als Ansprechpartner zur Seite stehen und die Jugendlichen individuell vorbereiten. Die Firmen Angermüller, Schoder, Elektrobau Coburg und VW Ernst bilden zurzeit Jugendliche aus, die in unserer Einrichtung betreut werden oder wurden", zählt Hörner auf. Wenn Pro.Ju nicht mehr als Ansprechpartner für die Unternehmen zur Verfügung stehe, werde die Problematik für die Ausbilder noch größer. Bisher hat sich Hörner und Co. um die Sprachkurse, Behördengänge und Wohnsituation der Jugendlichen gekümmert. "Das ist aufwendig und kostet nicht nur Zeit, sondern auch Nerven", sagt Hörner. In größeren Einrichtungen sei eine solch intensive Betreuung nicht möglich - zumal es sich bei den Jugendlichen ja um "besondere Fälle" handle.
Jugendhilfe bis 18 oder 21 ?
Erschwerend kommt hinzu, dass die Jugendhilfe von Bezirk zu Bezirk unterschiedlich gewährt werde. Die Jugendhilfe wird vom Jugendamt München bis zum 21. Lebensjahr gewährt. Im Gegensatz dazu genehmigt das Jugendamt Haßberge nur noch bis zum 18. Lebensjahr oder kurz darüber hinaus. Ein Jugendlicher, der bei der Firma Elektrobau Coburg im ersten Ausbildungsjahr ist, ist davon besonders betroffen. Seine Jugendhilfe wird nun zum Ende des ersten Lehrjahres beendet. Obwohl die Firma mit seinen praktischen Leistungen sehr zufrieden ist, fällt ihm die Berufsschule schwer. Durch den Wegfall der Jugendhilfe fällt auch die Einrichtung als Ansprechpartner, der intensive Deutschkurs sowie die engmaschige Betreuung weg.
Mit welchen Problemen Hörner kämpft, zeigt auch ein anderes Beispiel: "Wird ein Jugendlicher noch vor dem 18. Lebensjahr nach Haßfurt überstellt, versucht das Jugendamt Haßberge aus Kostengründen, eine andere Einrichtung oder Pflegefamilie zu finden, ungeachtet des eigentlichen Bedarfs des Jugendlichen", schimpft der Sozialpädagoge. Zudem werde die Finanzierung des intensiven Deutschkurses eingestellt. "Einen solchen Fall mussten wir nun bei einem afghanischen Jungen erleben: Der Jugendliche soll so schnell wie möglich aus der Einrichtung entlassen werden, die Zahlung des Deutschkurses wurde sofort nach Überstellung vom Würzburger zum Haßfurter Jugendamt eingestellt. Obwohl ihm eine Firma in Coburg einen Ausbildungsplatz in Aussicht gestellt hat, soll er aus Kostengründen in eine andere Einrichtung verlegt werden, die ein ganz anderes Konzept führt und auch nicht auf diesen Landkreis ausgerichtet ist. Der Jugendliche ist dementsprechend völlig desillusioniert", schildert Hörner den Fall.
Das Konzept von Pro.Ju zielt auf eine duale Ausbildung der Jugendlichen hin. Zum einen werden sie intensiv in der deutschen Sprache unterrichtet, zum anderen besuchen sie berufsvorbereitende Praktika. Diese müssen von der Ausländerbehörde Haßberge genehmigt werden. Um Missbrauch vorzubeugen, wird allerdings nur noch eine dreimonatige Erlaubnis erteilt, "die aber bei Weitem nicht ausreicht" (Hörner).
Weder lerne die Firma den Jugendlichen gut genug kennen, noch erfährt der Jugendliche die Breite des gesamten Berufsbildes. Dabei sei doch der Ausbildungsplatz für die Jugendlichen von äußerster Wichtigkeit, da sie anders schwer Fuß am deutschen Arbeitsmarkt fassen können.
Hörner hat gleich ein Beispiel parat: "Ein Jugendlicher hat bei der Firma Kirchner in Coburg einen Ausbildungsplatz in Aussicht, dennoch möchte die Firma den Jungen noch besser kennenlernen. Eine Verlängerung des Praktikums hat die Ausländerbehörde verweigert."
Holger Hörner ist sicherlich kein einfacher Verhandlungspartner, wenn es um Zukunft seiner Einrichtung und die der minderjährigen Flüchtlinge geht. Dennoch klingen seine Wünsche, die er aufgrund seiner Erfahrungen in den letzten Monaten formuliert hat, plausibel:
"1. Was wünschen uns eine individuelle Prüfung von Praktikumsgenehmigungen und eine individuelle Genehmigung, eventuell über drei Monate hinaus.
2. Weiterhin muss man verhindern, dass das örtliche Jugendamt aus Kostengründen eine vom Landesjugendamt begonnene und für weiterhin sinnvoll erachtete Maßnahme abbricht, nur um Geld zu sparen.
3. Zudem muss das Alter, bis zu dem der Jugendliche in der Jugendhilfe verbleiben kann, einheitlich geregelt werden."
Und warum hat die Regierung von Unterfranken der erfolgreich arbeitenden Einrichtung die Neuaufnahme untersagt? Peter Kiesel, der dort für die Heimaufsicht zuständig ist, macht deutlich: "Der Bedarf ist einfach gar nicht mehr so groß." Die Jugendlichen mit besonderem Betreuungsbedarf könnten eben auch von der evangelischen Jugendhilfe oder von Don Bosco übernommen werden.
"Nicht ausreichend therapiert"
Kiesel erläutert, dass der Druck, unbegleitete Flüchtlinge aufzunehmen, vor Jahren viel größer war und Pro.Ju deshalb eine Genehmigung bekommen habe - obwohl die Einrichtung nicht über die entsprechenden Rahmenbedingungen verfüge. München sei einfach froh gewesen, dass sich solche Einrichtungen angeboten haben. Schwierig sei aber die dörfliche Struktur in Hafenpreppach.Die oftmals traumatisierten Jugendlichen könnten von Pro.Ju nicht ausreichend therapiert werden. Das Konzept von Pro.Ju sei in erster Linie für schwierige, deutsche Jugendliche ausgelegt und dafür auch sehr gut.
Heimaufsicht maßgeblich
Wie steht das Jugendamt München zu der Einrichtung Pro.Ju in Hafenpreppach? Gibt es aus Sicht des Jugendamtes von München weiterhin Bedarf, Jugendliche explizit an Pro.Ju zu vermitteln? Wir haben nachgefragt. Das Stadtjugendamt orientiere sich bei der Gewährung der Jugendhilfe an den gesetzlichen Grundlagen und an den Vorgaben der örtlich zuständigen Heimaufsicht der Regierung von Unterfranken, schreibt Marion Pancur von der dortigen Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. "Solange die Betriebsgenehmigung eine Belegung ermöglicht und München die Konzeption für einzelne Jugendliche für pädagogisch geeignet hält, werden Platzanfragen gestellt und werden geeignete Einrichtungen belegt," heißt es weiter.Bezüglich der Zuständigkeitsregelungen und der Finanzierung von Jugendhilfeplätzen werden ebenfalls die gesetzlichen Grundlagen und bei Bedarf die damit verbunden Ermessensspielräume genutzt. Grundsätzlich gilt das Jugendhilfegesetz deutschlandweit. Pancur: "Wie die Region Unterfranken dieses auslegt, entzieht sich unserer Kenntnis."