Druckartikel: Aus dem Leben von Max Brose

Aus dem Leben von Max Brose


Autor: Redaktion

Coburg, Donnerstag, 26. März 2015

"Ein Fabrikherr alter Schule, aber kein überzeugter Nazi", sei Max Brose gewesen, urteilt der langjährige Brose-Pressesprecher Martin Rohm (Coburg). Anlässlich des 75. Firmenjubiläums 1994 befragte Rohm Zeitzeugen. Infranken.de veröffentlicht hier Rohms Zusammenfassung seiner Recherchen.
An Firmengründer Max Brose erinnert eine Plastik auf dem Coburger Werksgelände. Foto: Brose



Von Martin Rohm


Als 1994 Brose das Jubiläum "75 Jahre Brose in Coburg" feierte, habe ich als Redakteur der Firmenzeitschrift viele ehemalige Mitarbeiter des Metallwerks Max Brose interviewt. Einige von ihnen waren bereits in den 20er Jahren in die Firma eingetreten und haben die NS-Zeit dort mit-erlebt. Als später die sogenannte "Akte Brose" an das Coburger Staatsarchiv überstellt worden war habe ich - inzwischen nicht mehr in der Firma Brose tätig - mich aus eigenem Interesse damit mehrere Tage lang beschäftigt. Aus beiden Recherchen ziehe ich für mich persönlich den Schluss, dass Max Brose zwar Profiteur der NS-Zeit war - denn das Metallwerk erhielt Regierungsaufträge und erzielte damit rasch steigende Umsätze und Gewinne (die er übrigens zum aller größten Teil im Unternehmen beließ, um durch Investitionen das Wachstum und den Fortschritt des Metallwerks 1#googleAds#100x100 zu sichern). Aber ein überzeugter Anhänger der NS-Diktatur oder Verfechter ihrer Ideologie war Max Brose nie.

Zu diesem Ergebnis kamen sogar die Nazis selbst. Sie machten dem Firmeninhaber persönlich zum Vorwurf, dass nur 7 Prozent der Mitarbeiter Mitglieder in der NSDAP waren und die Belegschaft bei Kundgebungen und Aufmärschen kaum wahrnehmbar vertreten war. Zum Vergleich: Nach dem Krieg wurden 80 % der städtischen Bediensteten entlassen, weil sie der NSDAP angehört hatten. Ein Dossier, das die Außenstelle Coburg des Sicherheitsdienstes der Reichsführers SS an den SS-Oberabschnitt Süd schickt, kam zum Schluss: "Er ist ein kluger Kopf und tüchtiger Kaufmann ... die Volksgemeinschaft scheint er noch nicht ganz begriffen zu haben ...Eine gewisse Vorsicht ist angebracht!"

Dass er kein "strammer" Parteigenosse war und ihm die politische Einstellung seiner Mitarbeiter egal war, zeigt ein anderer Vorfall, den sein Angestellter Richard Heldrung am 8. April 1948 zu Protokoll gab: Heldrung überbrachte einen Brief an den Kreisleiter mit der Bitte um Freigabe von betriebsgebundenen Fachkräften vom Volkssturmdienst. Dabei wurde ihm vom Kreisleiter aufgetragen: "Richten Sie ihrem Herrn Schlotbaron aus, er könne der erste sein, den ich vor das Standgericht stelle!" So hätte sich der Kreisleiter wohl nicht über einen allseits angesehenen Parteigenossen geäußert.

Zum IHK-Präsidenten wurde Max Brose bereits 1933 in freier Wahl von den heimischen Wirtschaftsvertretern gewählt. Und das Amt wurde ihm von den Nazis genommen, als diese 1943 die Coburger Kammer aufgelöst haben. Den Titel Wehrwirtschaftsführer erhielten er und sechs weitere Kammerpräsidenten am 20. April 1938 - ohne ihr Wissen bzw. Zutun. Wie mir ein alter Meister erzählte, hat Max Brose diesen Titel einmal benutzt (man könnte auch sagen: miss-braucht), als er am Nürnberger Bahnhof beschlagnahmte Kohlen nach Coburg bringen ließ - an-geblich für das Metallwerk, zum großen Teil aber auch für die Herde seiner Coburger Mitarbeiter.

Mit einem anderen Titel - Max Brose war zeitweise Truppführer des Nationalsozialistischen Kraftfahrerkorps (NSKK) - verhält es sich ähnlich: In dieser Organisation versammelten die Nazis Kfz-Meister, Handwerker und Unternehmer, die für die Autoindustrie tätig waren. Wer Mitglied des ADAC war, wurde 1933 bei dessen Eingliederung in das NSKK automatisch Mitglied des NSKK. Gerade das Beispiel NSKK zeigt, wie wenig sich Max Brose für das Machtgehabe der Nazis begeistern konnte. Seine Tochter Gisela erzählte mir dazu folgende Episode. Als NSKK-Führer bekam ihr Vater eine Uniform und einen Uniformmantel. In diesem Aufzug erschien er eines Tages zum Mittagessen - worauf die Töchter sich vor Lachen nicht mehr halten konnte und er die Uniform ein für alle Mal ablegte. Den Mantel gab er an den Ortsverband zurück und trat aus dem Verband aus. Das hatte man ihm später auch nahe gelegt, weil er "am Dienst nicht teilgenommen" hat. Nichts desto weniger führte man ihn- vermutlich um weiterhin ein Aushängeschild der Coburger Automobilindustrie nachweisen zu können - dann aber trotzdem weiter in der Mitgliederkartei.

Ich bin überzeugt, Max Brose übte diese Ämter vor allem aus, um so zugunsten seiner Firma, anderer Coburger Firmen und seiner Mitarbeiter Einfluss ausüben zu können. Als etwa auf Anordnung von Reichsstellen die Glühlampenwerke Jahn und Vogel aufgelöst werden sollten, hat er sich mit der Kammer für sie eingesetzt und ihren Fortbestand erreichen können (diesen Fall schilderte der Rechtsanwalt und spätere Oberbürgermeister Dr. Walter Langer in der Berufungsverhandlung 1948).

Ein anderer Fall, der mir berichtet wurde und der mir später ebenfalls in der "Akte Brose" im Staatsarchiv begegnete, ist der seines Mitarbeiters Ludwig Klingseisen: Der war als Mitglied der Kommunistischen Partei 1933 drei Monate lang im Konzentrationslager Dachau interniert. 1944 sollte er wegen staatsfeindlicher Äußerungen erneut ins KZ gebracht werden. Nach dem Krieg gab er eidesstattlich zu Protokoll: "Damals hat sich mein Chef, Herr Max Brose, bei der Gestapo für mich eingesetzt und unter Übernahme der vollen persönlichen Haftung erreicht, dass ich fernblieb". Der Zeuge erwähnt weiter: "Herrn Brose wurde von der Gestapo angedroht, dass er sofort mit verhaftet wird, wenn von mir noch mal staatsfeindlichen Äußerungen gemeldet werden."

Hätte Brose die Rüstungsaufträge nicht ablehnen können? Wohl kaum. Denn damit hätte er den Bestand seiner Firma insgesamt riskiert. Die ersten Rüstungsaufträge in Coburg hatte damals eine Firma namens Hausknecht erhalten - sie kam damit nicht zurecht und existierte heute nicht mehr. Die Brose-Geschäftsführung wurde nach Berlin einbestellt und mit den Erwartungen der Beschaffungsbehörden konfrontiert. Der "Führerbefehl" von 1943 über die "Stilllegung unrationell arbeitender Betriebe in der Rüstungsindustrie" macht den geringen Spielraum deutlich.
Dass er in seinem Betrieb Zwangsarbeiter beschäftigte, darf man Max Brose nicht zum Vorwurf machen. Denn Zwangsarbeiter wurden den Firmen wie auch der Stadtgärtnerei und dem städtischen Bauhof von der Rüstungsinspektion zugewiesen. Die Heeresbaracken wurden gegen Berechnung ebenfalls gestellt. Dort sorgten Lagerkommandanten und Soldaten für die Einhaltung der "Lagerordnung". Die Firmen waren für Unterbringung und Verpflegung zuständig. Das größte Arbeitslager unterhielt zunächst übrigens die Maschinenbaufirma Waldrich.
Die arbeitsfähigen deutschen Männer wurden zum Kriegsdienst abgezogen - ohne Zwangsarbeiter hätten die meisten Coburger Betriebe überhaupt nicht mehr funktioniert. Im August 1944 beschäftigte Brose 827 Mitarbeiter, davon 400 deutsche Frauen, 217 Zwangsarbeiter und 210 einheimische Männer, die im Unternehmen "unabkömmlich" waren. Ohne ihre Notwendigkeit für die "kriegswichtige" Produktion wären die meisten von ihnen an die Front beordert worden und mancher vermutlich nicht mehr heimgekehrt.

Die russischen Gefangenen wurden morgens von Soldaten in die Fabrik und abends von dort zurück in die Wehrmachtbaracken geführt. Auf dem Firmengelände waren es für den Fabrikbesitzer in erster Linie Mitarbeiter. Und als solche hatten sie nach seiner Meinung Anspruch auf ordentliche Unterkunft und ausreichende Ernährung. Die standardisierten Wehrmachtsbaracken ließ Max Brose auf eigene Kosten mit Duschen, Aufenthaltsräumen und Kochgelegenheiten ausstatten; auch Gartengeräte und Musikinstrumente wurden angeschafft. Im Winter schickte Brose seine Einkäufer aufs Land, um bei den Bauern Kartoffeln zu kaufen und die Essensrationen aufzustocken. Dass er zu Weihnachten 1943 die russischen Zwangsarbeiter mit Rasierzeug, Zigaretten und Spielkarten bedachte, löste in der eigenen Belegschaft Murren aus. Man warf ihm vor, er beschenke "die Mörder unserer Söhne".

Marie-Luise Schrimpf, die langjährige Sekretärin von Max Brose, berichtete mir von einem Vorfall in den 40er Jahren: Damals wurde ein russischer Zwangsarbeiter vom Lagerleiter verprügelt, weil er Kartoffeln gestohlen hatte. Max Brose begab sich sofort ins Lager und drohte dem Wehrmachtsangehörigen Konsequenzen an. Später, so erzählten mir mehrere Zeitzeugen, soll der Lagerleiter auf Broses Betreiben hin versetzt worden sein.
Das erklärt vielleicht einen anderen Vorfall kurz nach Kriegende, von dem mir Max Broses Tochter Christa Leber berichtete: Am Himmelfahrtstag 1945 klopften zwei Russen an die Wohnungstür; sie verabschiedeten sich vor der Heimreise und bedankten sich mit einem großen Fliederstrauß für die gute Behandlung.

Für mich ist es kein Wunder, dass man in den ersten NS-Verfahren nach dem Krieg Max Brose kritischer beurteilte als dies später der Fall war. Als zunächst die amerikanische Militärregierung Max Brose die Führung seines Unternehmens untersagte, hatte dort ein Treuhänder das Sagen, der sich mit Max Brose manche Auseinandersetzung lieferte. Aus der Lektüre der Akten gewann ich den Eindruck, dass mancher Zeuge sich Vorteile oder einen Arbeitsplatz davon versprochen hatte, Max Brose zu belasten und so aus der Firma herauszuhalten. Nicht anders sehe ich die überlieferte Aussage eines Verfahrensbeteiligten, wonach man nicht hinnehmen könne, dass ein "kleiner Lehrer wegen NSDAP-Mitgliedschaft seinen Arbeitsplatz verliert", während Coburgs "reichster Mann" mit einer Geldbuße von 2000 Mark davon kommen soll. Dieser Betrag war die höchste Buße für Mitläufer, während man einem "Belasteten" immerhin bis zu 100.000 Mark auferlegen konnte. In letzter Instanz wurde Max Brose dann doch als Mitläufer eingestuft.

Ich denke, Max Brose war bei den meisten Mitarbeitern beliebt, aber von allen respektiert. Dass er für seine Fabrik alles tat, hatten sie ja oft erlebt. So blieb er während der Fliegerangriffe in den letzten Kriegstagen allein mit der Werksfeuerwehr in der Firma. Und als beim Heranrücken der amerikanischen Truppen Anlagen gesprengt werden sollten, erreichte er, dass die Firma nur "gelähmt" werden sollte. Auf die Frage seiner Tochter Christa, wie er das bewirken könne, sagte er ihr: "Wir haben die Glühlampen herausgedreht" (in Wirklichkeit hatte man auch Teile ausgebaut und Öl abgelassen, um Maschinen vorübergehend unbrauchbar zu machen).

Umgekehrt setzten sich "seine Leute" für ihre Firma ein: Mit einem Sitzstreik verhinderten sie nach dem Krieg den Abtransport von Maschinen. Von seinen Arbeitern verlangte er als strenger Chef stets die "volle Leistung", dafür hatte er auch ein offenes Ohr für ihre Nöte. Jeden Morgen ging er zuerst durch die Fabrik und erkundigte sich auch nach familiären Dingen. Schon während des Kriegs richtete er eine Unterstützungskasse ein, aus der in Notfällen geholfen werden konnte.

Und das soziale Engagement ging über Belegschaft hinaus: So richtete Max Brose für das Kleinrentnerheim (so genannt, weil hier Menschen mit nur einer "kleinen" Rente wohnten) in der Nachbarschaft jährlich ein Sommerfest aus und finanzierte dringend benötigte Anschaffungen wie eine Waschmaschine oder einen Kühlschrank. 1923 bezahlte er die Renovierung eines vergoldeten Kreuzes auf dem Friedhof. Und später begründete er die sogenannte "Brose-Weihnachtsspende", mit der das Sozialamt noch bis weit in die 90er Jahre arbeitslosen Coburgern ein Geschenk zum Fest machte. Als Kammerpräsident erwarb er 1939 das Palais Edinburg, in dem die IHK noch heute residiert. Er spendete dafür den Grundstock der Kaufsumme und gewann so weitere 22 Firmen als Geldgeber.

Zugegeben, nicht jeder kann sich gründlich mit der "Akte Brose" befassen. Aber man sollte sich auch nicht auf einige wenige Schlagworte wie "Zwangsarbeiter" oder "Wehrwirtschaftsführer" stützen, um einen Menschen in eine Schublade einzuordnen. Offenbar urteilte man früher differenzierter: Immerhin ernannte die IHK Max Brose 1955 in Würdigung seiner Verdienste zu ihrem Ehrenpräsidenten. Und der Coburger Stadtrat verlieh ihm sieben Jahre später die Stadtmedaille.

Mein Fazit: Max Brose war kein Sympathisant und erst recht kein überzeugter Verfechter des NS-Systems. Im Vertrauen auf die Zukunft des Automobils hatte er 1919 sein Metallwerk in Coburg gegründet und dann als "Fabrikherr" alter Schule zum Wohle seiner später 1.000 Beschäftigten und der Stadt bestmöglich durch die Katastrophen zweier Weltkriege hindurch geführt.



Zur Person
Martin Rohm (59) arbeitete nach einem Zeitungsvolontariat und Jurastudium zehn Jahre als Wirt-schaftsredakteur für zwei Würzburger Tageszeitungen sowie als Wirtschaftskorrespondent für mehrere überregionale Blätter. 1988 kam er nach Coburg und baute für das Unternehmen Brose die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit auf, die er zehn Jahre leitete, bevor er als Dienstleister für Kommunikation und Marketing den Schritt in die Selbständigkeit tat und in Coburg die Funktion des Citymanagers übernahm.