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Angeklagter lässt Deal platzen


Autor: Katja Nauer

Coburg, Sonntag, 10. Dezember 2017

Der 39-Jährige sprach über seine Rolle bei Autoschiebereien nach Tschechien. Der Staatsanwältin ging das Geständnis aber nicht weit genug.
Symbolfoto: Jochen Berger


Nach mehr als zwei Stunden Aussage riss der Staatsanwältin am Freitag der Geduldsfaden. Jana Huber unterbrach den Angeklagten O. bei seinen Ausführungen: "Soll das ein Witz sein, was Sie hier erzählen? Ist das Ihre Vorstellung von der Erfüllung eines Deals?" Huber war sichtlich erbost: "Die Staatsanwaltschaft hat dem Deal zugestimmt unter der Maßgabe, dass Sie sich an die Vereinbarung halten." Das, was der 39-jährige Angeklagte bis jetzt erzählt habe, seien lediglich "Märchen", und damit fühle sich ihre Behörde auch nicht mehr an die Vereinbarungen des Verständigungsgespräches gebunden.
Zum Hintergrund: Vor einer Woche wurden sechs Angeklagte wegen schweren Bandendiebstahls zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt. Die Männer aus Tschechien, Moldawien und Rumänien hatten in Deutschland Fahrzeuge gestohlen und nach Tschechien verschoben. Einer der Männer sagte als Zeuge gegen die anderen Beteiligten aus und befindet sich deshalb in einem Zeugenschutzprogramm.


Werkstatt als Umschlagplatz

Das Verfahren des 39-jährigen O., der laut Staatsanwaltschaft Drahtzieher und Bandenführer gewesen sein soll, wurde nach einem entsprechenden Verständigungsgespräch - vom Vorsitzenden Richter kurz als "Deal" bezeichnet - vom bisherigen Hauptprozess abgetrennt. Nicht nur das Gericht, auch die Ermittler versprachen sich umfassende Aufklärung über die Hintermänner im Bandengefüge.
Am Freitag begann, nun unter einem neuen Aktenzeichen, die Verhandlung gegen den 39-Jährigen, der laut Zeugenaussagen der Polizei in Tschechien eine Werkstatt betrieb, in der die gestohlenen Pkw, Transporter und Baumaschinen in Einzelteile zerlegt und weiterverkauft worden sein sollen. Dabei soll der Mann als Bandenführer fungiert haben.
Der "Deal" zwischen den beiden Verteidigern, der Staatsanwaltschaft und der Ersten Großen Strafkammer am Landgericht sollte die weitere Vorgehensweise in dem Verfahren regeln. Gegen ein umfassendes Geständnis wurde dem Angeklagten eine Maximalstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten in Aussicht gestellt. Dafür könnte auf eine umfassende Beweisaufnahme, aufwändige Zeugenvernehmungen und Gutachten verzichtet werden.


Hehler oder Stehler?

In rund 62 Fällen legt die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten schweren Bandendiebstahl zur Last. "Es ist zu klären, ob er Hehler oder Stehler war", sagte Vorsitzender Richter Christoph Gillot zur Rolle des Angeklagten.
Zwei Stunden lang nahm der 39-Jährige Stellung zu den Vorwürfen. Bei mehr als der Hälfte verneinte er die Beteiligung, konnte sich nicht erinnern oder festlegen. Aus Angst vor seinen Mitangeklagten, den Hintermännern und der politischen Situation in Tschechien habe er bisher nicht ausgesagt, erklärte er. Seine Frau und sein Sohn hätten Drohbriefe bekommen. Zudem sei "einfach nicht wahr", dass er eine Art "Chef" gewesen sei. Stattdessen nannte er Namen: Der zu vier Jahren Haft verurteilte Angeklagte V., der im Zeugenschutzprogramm ausgepackt hatte, und dessen Freund M., der noch auf freiem Fuß ist, seien maßgeblich an der Diebstahlserie beteiligt gewesen. "Ich verstehe nicht, warum M. bisher niemand danach gefragt hat." Er erklärte seine Bereitschaft, den Aufenthaltsort von M. mitzuteilen.
Zudem nannte der Angeklagte Namen von Abnehmern und weiteren Männern, die bei den Diebstählen oder der Zerlegung der Fahrzeuge geholfen haben sollen. Er sagte zu, aufzuklären, wie die Fahrzeuge der Marken BMW, VW, Mercedes und Skoda mittels elektronischer Steuerungseinheiten geknackt worden seien.
Nachdem der Angeklagte die verdächtigen Fahrzeugbewegungen der verurteilten Kompagnons rund um seine Werkstatt mit der Sperrung einer Straße erklärte, verlor die Staatsanwältin die Geduld. Ihr ging das Geständnis nicht weit genug. Sie kündigte an, den Deal platzen zu lassen: "Wollen Sie das so?"
Nach Beratung mit seinen Anwälten blieb O. bei seiner Aussage. Er sei aber zu weitergehenden Aussagen bereit. "Meinem Mandanten kommt es weniger auf den Strafrahmen an als auf die zivilrechtlichen Ansprüche, die auf ihn zukommen könnten", sagte seine Anwältin Narine Schulz. Staatsanwältin Huber konterte: "Ich bin sicher, dass wir O. die Tatvorwürfe nachweisen können. Es ist nur eine Frage der Zeit."


Noch einmal neu klären

Gillot erklärte den Deal schließlich für gescheitert. In diesem Fall ist allerdings auch der Angeklagte nicht mehr an sein Geständnis gebunden. In der Begründung des Gerichts heißt es unter anderem, das Geständnis sei sowohl in der Anzahl der eingeräumten Taten als auch bei der Rolle, die O. in dem Bandengefüge gespielt haben soll, weit hinter den Vereinbarungen zurückgeblieben.
Nun muss das Gericht erneut klären, welche Rolle O. genau spielte. Sollte dessen Beteiligung tatsächlich so geringfügig sein, wie der Angeklagte behauptet, sei die im "Deal" vereinbarte Strafe zu hoch, erläuterte der Richter. Im anderen Fall, wenn der 39-Jährige doch Drahtzieher und Bandenchef gewesen sei, spiele das wenig aussagekräftige Geständnis dagegen keine große Rolle mehr. Richter Gillot: "Der Strafrahmen wäre in diesem Fall zu niedrig und nicht mehr tat- und schuldangemessen."
Das Verfahren wird am Donnerstag, 21. Dezember, am Coburger Landgericht fortgesetzt.