Druckartikel: Am Ende zeigt das Sextett Reue

Am Ende zeigt das Sextett Reue


Autor: Christoph Böger

Coburg, Montag, 28. Sept. 2020

Die Urteile fallen am Mittwoch. Die Staatsanwaltschaft fordert Haftstrafen von dreieinhalb Jahren bis zu einem Jahr auf Bewährung. Ein Angeklagter bricht sein Schweigen. Zwei Verteidiger hoffen sogar auf Freisprüche.
Das Opfer ging am späten Nachmittag des 1. Mai 2019 am Goldbergsee nach einem gezielten Faustschlag zu Boden und wurde anschließend mehrfach mit Füßen getreten.  Symbolfoto: Bits and Splits/Adobe Stock


CoburgObwohl sich das Gericht nach den Worten des Vorsitzenden Richters Christoph Gillot im Goldbergsee-Prozess bereits auf der Zielgerade befindet, kam es am Montag noch nicht zu der angedachten Urteilsverkündung. Nach Abschluss der umfangreichen Beweisaufnahme sowie den ausführlichen Plädoyers des Staatsanwaltes, der Nebenklägerin und der sechs Verteidiger zog sich das Gericht zurück: "Wir müssen uns jetzt ausführlich besprechen". Die Entscheidung fällt am Mittwoch um 10 Uhr.

Mit Spannung und bei so manchem sicher auch mit einer gehörigen Portion Nervosität werden also die sechs Urteile vor der Großen Jugend-Strafkammer am Landgericht Coburg erwartet. Das Opfer war nach Tritten gegen den Kopf und Körper bewusstlos und leidet noch heute an den Folgen seiner Verletzungen. Alle Täter, die zum Zeitpunkt der folgenschweren Schlägerei zwischen 17 und 20 Jahre alt waren, können aller Voraussicht mit Strafen rechnen, bei denen das Jugendstrafrecht zugrunde liegt.

Die Staatsanwaltschaft beantragt Haftstrafen von dreieinhalb Jahren, zweimal drei und einmal zwei Jahren bis hin zu zweimal einem Jahr auf Bewährung. Der Staatsanwalt spricht in einem Fall von versuchtem Totschlag und gefährlicher Körperverletzung. Denn der Haupttäter hätte schließlich den "Tod des Opfers billigend in Kauf genommen".

Auch die Nebenklägerin fand gestern deutliche Worte: "Das Verhalten der Beschuldigten sei armselig und erbärmlich". Man habe während der Verhandlung versucht, die Hauptschuld einem inzwischen verstorbenen Täter in die Schuhe zu schieben. Außerdem habe sie den Eindruck gewonnen, dass das Sextett sich zumindest zu Beginn des Prozesses noch lustig über diese ernste Angelegenheit gemacht habe, sich des Ausmaßes gar nicht bewusst sei und geglaubt habe, "etwas richtig Großes vollbracht zu haben". Sie erwarte deshalb "empfindliche Strafen".

"Denkwürdig und schicksalhaft"

Alle sechs anschließend detailliert plädierenden Verteidiger sind sich einig, dass dieser 1. Mai 2019 "denkwürdig" und "schicksalhaft" war. Während sich ein Coburger Pflichtverteidiger dem geforderten Strafmaß der Staatsanwaltschaft für den vermeintlichen Anstifter der Gruppe weitgehend anschloss, jedoch auf Milde für seinen Schützling hofft, bezweifelt eine seiner Kolleginnen vehement den "versuchten Totschlag": "Den kann ich für meinen Mandaten nicht erkennen". Der von der Staatsanwaltschaft gegen ihren Mandanten geforderte Strafe in Höhe von dreieinhalb Jahren Haft könne sie sich nicht anschließen. Sie plädierte auf ein Strafmaß, das zur Bewährung ausgesetzt werden sollte.

In den anderen vier Fällen geht es vor allem um die Frage, ob Anstiftung, Beihilfe und/oder Mittäterschaft vorliegt. Für einen Verteidiger war der Sachverhalt "wesentlich zu dünn", um seinen Mandaten zu verurteilen. Dieser habe sich an der Schlägerei schließlich gar nicht beteiligt. Deshalb beantragte er ebenso wie ein zweiter Verteidiger einen Freispruch. Dessen Begründung dafür klang ähnlich: "Es gibt keine Ansatzpunkte. Das ist mir zu dürftig". Vor den ausführlichen Plädoyers, den Aussagen eines weiteren Gutachters und den umfangreichen Ausführungen von drei Vertretern des Jugendamtes Coburg begann der vierte Verhandlungstag am Vormittag mit einer Überraschung. Bisher ignorierten die Angeklagten nämlich die frühe Aufforderung des Vorsitzenden Richters Gillot, doch "reinen Tisch zu machen, um hier etwas zu erreichen". Gestern jedoch, also nachdem das Gericht längst Licht ins Dunkel der Tat gebracht hatte, brach einer der Täter sein Schweigen.

Der vermutliche Haupt-Treter versuchte, mit einer Erklärung in eigener Sache Boden gutzumachen. Lückenhaft und wenig aus eigener Überzeugung heraus las er seine Sicht der Dinge vor und entschuldigte sich abschließend. Es tue ihm leid und am liebsten würde er die ganze Sache rückgängig machen. "Doch das geht ja nicht mehr." Es war nach Meinung von Beobachtern ein stümperhafter Versuch, seine Haut zu retten - aber zumindest sei es eine Initiative in die richtige Richtung gewesen.

Angeklagte haben das letzte Wort

Kleinlaut endete dann auch die fast achtstündige Sitzung. Die sechs Angeklagten hatten naturgemäß das letzte Wort. Während das Sextett bis zu diesem Zeitpunkt überwiegend eine beunruhigende Gedanken- und Verantwortungslosigkeit an den Tag legte, bereute plötzlich jeder Einzelne sein Tun und Handeln, entschuldigte sich für sein Fehlverhalten und manch einer versprach auch, die richtigen Lehren daraus ziehen zu wollen.

In diesen Momenten war ihre bis dahin gezeigte Coolness, Abgeklärtheit und Gleichgültigkeit verflogen. Sie nutzen ihre allerletzte Chance, um doch noch Reue zu zeigen und sich öffentlich bei ihrem Opfer zu entschuldigen. Ob diese Einsicht der sechs Goldbergsee-Täter zu spät kommt und wie sich die Richter und Schöffen von diesen Schluss-Statements noch beeinflussen lassen, werden die Urteile am Mittwoch zeigen.