Abriss des Schlachthofs - Chance für Coburg?
Autor: Christiane Lehmann
Coburg, Mittwoch, 17. Juli 2013
Der Präsident der Hochschule, Michael Pötzl, sieht in einem Abriss des Schlachthofs ein Aufbruchsignal für Coburg.
Das Band der Wissenschaft ist für Michael Pötzl der Zündschlüssel, um in die Zukunft der Stadt zu starten. Die Hochschule ist darauf vorbereitet. Im Gespräch spart der Hochschulpräsident allerdings nicht mit Kritik an der Stadt und zählt Versäumnisse auf.
Herr Pötzl, das Band der Wissenschaft - bereits im ISEK 2008 favorisiert - rückt immer näher. Was bedeutet das für die Hochschule Coburg konkret und was genau muss man sich darunter eigentlich vorstellen?
Michael Plötzl: Eigentlich sollte die Frage lauten: Was bedeutet das für die Stadt? Denn die Zukunft der Regionen und damit auch Coburgs entscheidet sich im Wettbewerb mit den Metropolen. Der scheint auf dem ersten Blick aussichtslos, da wir mit den Großstädten weder in Bezug auf Größe noch Bekanntheit mithalten können. Ich sage hier aber ganz bewusst "scheint" und nicht "ist", weil wir dennoch beste Chancen haben! Aber eben nur, wenn wir sie beim Schopf packen.
Neue Forschungsinstitute
Das Band der Wissenschaft ist sozusagen der "Zündschlüssel". Drei Elemente sind wichtig:
1. Erweiterungsmöglichkeiten für die Hochschule mit dem Brückenschlag über die Itz in die Stadt hinein schaffen. Vor dem Hintergrund weiterer nationaler und internationaler Programme - allein über 70 Milliarden Euro fließen aus dem EU-Programm "Horizont 2020" - werden wir vorhandene Forschungsinstitute ausbauen und neue etablieren.
2. Coburg durch außeruniversitäre Forschungseinrichtungen als Wissenschaftsstandort national positionieren. Als eine der ersten Standorte einer Hochschule für angewandte Wissenschaften (HAW) haben wir ein Fraunhofer-Anwendungszentrum. Ein großartiger Erfolg, an dem bis vor kurzen noch keiner zu wagen geglaubt hat, den es aber jetzt bereits gedanklich weiter zu verfolgen gilt. Wir wissen aus Bayreuth, wie schnell eine Fraunhofer-Arbeitsgruppe wachsen kann.
3. Dem Gründergeist junger Hochschulabsolventen Raum geben. Hier geht es nicht nur um Quadratmeter, sondern um ein Milieu für mutige kreative Köpfe aus unterschiedlichen Disziplinen. Dabei geht es einerseits um die Intensivierung der Zusammenarbeit mit den ansässigen Industrieunternehmen, zum Beispiel bezüglich Ingenieurdienstleitungen, andererseits aber um ganz neue Felder, wie den Lebenswissenschaften oder der Biotechnologie.
Seien Sie mutig, wagen Sie eine Prognose: Wann wird der Schlachthof abgerissen?
Wenn ich aus der Vergangenheit in die Zukunft extrapolieren müsste: irgendwann in den nächsten Jahren. Da Skandale zumindest für eine gewisse Zeit allein aus der Empörung heraus eine Eigendynamik entwickeln, habe ich die Hoffnung, dass nach dem Beschluss über die Schließung zeitnah auch der Abriss erfolgt. Am besten noch 2013, damit hier endlich der Aufbruch in die Stadtentwicklung des 21. Jahrhunderts sichtbar wird.
Die Bedeutung der Hochschule für die Stadt Coburg im Hinblick auf die Bevölkerungsentwicklung und den Fachkräftemangel scheint erkannt. Es wird Wohnraum für Studierende geschaffen und die Parteien haben sich das Thema ins Wahlprogramm geschrieben. Nimmt die Hochschule Ihrer Meinung nach den Stellenwert ein, der ihr gebührt? An welchem Strang würden Sie gerne gemeinsam mit der Stadt ziehen?
In der Bevölkerung genießen wir große Aufmerksamkeit, Anerkennung und Sympathie. Zu Beginn meiner Zeit an der Hochschule vor zwölf Jahren sprach man ja immer noch von "der Schul' da oben". Unsere regionale Präsenz als Ideengeber (z.B. Gestaltung des Coburger Marktplatzes), wissenschaftliche Institution (z.B. Wissenschaftstag der Metropolregion Nürnberg an der Hochschule Coburg), Partner vieler kommunaler Einrichtungen (z.B. Projekt "Gi-Kitas" - Gesundheitsförderung in Kindertagesstätten) und als gesellschaftlicher Aktivposten mit über 4500 Studierenden und knapp 400 Wissenschaftlern und Mitarbeitern machen Coburg nicht nur de facto, sondern eben auch gefühlt zu einer Hochschulstadt.
Die Antwort nach dem Strang liegt damit auf der Hand. Wahlprogramme genügen nicht! Es müssen endlich Taten folgen. Ich nenne zwei Beispiele. Das über viele Jahre weitgehend brachliegende und nur zu den Coburger Designtagen glanzvoll inszenierte Hofbräugelände wird durch die Hochschule zu einem städtebaulichen Highlight. Bis 2015 werden insgesamt 35 Millionen Euro investiert sein.
Parkplätze fehlen!
Einziges Manko ist die prekäre Parkplatzsituation für knapp 1000 Studierende, etwa 80 Mitarbeiter und über 100 dort später wohnende Studierende.
Meine Bitte an Oberbürgermeister Kastner, von Seiten der Stadt zum Beispiel auf dem nahegelegenen SÜC-Areal Parkraum zu schaffen, den die Hochschule mitnutzen kann, wurde kategorisch abgelehnt.
In Kempten geht das übrigens. Hier beteiligt sich die Stadt mit einer Million Euro an einem Parkhaus für "ihre" Hochschule. Zweites Beispiel ist das Marketing. Suchen Sie mal die Hochschule auf der Internetseite der Stadt? Sie ist unter der Rubrik "Bürger und Verwaltung" versteckt. Nicht einmal der genannte Wissenschaftstag am 26. Juli 2013 ist angekündigt. Professionelles Marketing sieht anders aus.
Sie betonen immer wieder, dass Coburg mit seiner Wirtschaft und vor allem mit den Möglichkeiten der kreativen und motivierten Köpfe in dieser Stadt weit besser dastehen könnte als zur Zeit. Können Sie ein Beispiel nennen?
Die Wirtschaft in der Region ist sehr gut aufgestellt. Wir haben hier international agierende Unternehmen in einer Dichte vor Ort wie in kaum einer anderen Stadt dieser Größe. Und wir sind mit einem Studierendenanteil von elf Prozent an der Bevölkerung eine echte Hochschulstadt. Nürnberg zum Beispiel hat deutlich weniger.
Andererseits stehen wir vor großen Herausforderungen. Nicht nur, weil der Akademikeranteil in den hiesigen Unternehmen im bayernweiten Vergleich bei nur 50 Prozent liegt, sondern weil in den nächsten zehn Jahren zudem der Anteil der 16- bis 19-Jährigen um ein Viertel zurückgehen wird. Fach- und Führungskräfte zu halten und zu holen wird zur entscheidenden Frage. Hierzu braucht Coburg eine Entwicklungs- und Marketingstrategie 2020.
Worin sehen Sie die Versäumnisse der letzten Jahre? Und worin sehen Sie Coburgs Chance?
Genau die erwähnte Strategie und ein klares Bekenntnis zu den entscheidenden Standortfaktoren Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur. Antworten auf die gestellte Frage bekommen Sie übrigens schnell, wenn Sie Coburger auf dem Marktplatz befragen.
Da bestimmen die Schlossplatztiefgarage, die erhöhten Parkgebühren auf dem Anger oder die Umbenennung der Hindenburgstraße die Diskussion. Und warum? Weil sich Stadtrat und die Medien gleichermaßen hingebungsvoll eben damit beschäftigen, statt die Menschen offen in die Diskussion um die Zukunft Coburgs mitzunehmen. Und kreative Köpfe gibt es ohnehin genug. Coburg hat alle Chancen, wenn es sie nutzt! Bei der Besetzung von Professuren machen wir beispielsweise die Erfahrung, dass wir mit einer "Paketlösung" auch und vor allem gegenüber Hochschulen in den Metropolen punkten.
Paketlösung anbieten
"Paketlösung" heißt berufliche Perspektiven für hochqualifizierte Partner vermitteln, verlässliche Kinderbetreuung und Schulen anbieten können und die hohe Lebensqualität für junge Familien in die Waagschale werfen.
Voraussetzung ist aber die Bewerbung selbst. Und hier gibt es nach wie vor ein Problem, denn die wenigsten können mit Coburg etwas anfangen. Für unsere Nachbarstadt Bamberg gilt das übrigens nicht in diesem Maße!
Es ist bekannt, dass Sie der Stadtpolitik von Norbert Kastner kritisch gegenüberstehen - auch wegen der langen Amtszeit von mittlerweile fast 24 Jahren. Worin besteht Ihrer Ansicht nach die Gefahr einer so langen Amtsperiode?
Das kann ich aus eigener Erfahrung nicht beurteilen. Ich bin jetzt gut vier Jahre Präsident der Hochschule, kann mir aber gut vorstellen, dass der Elan nach einer gewissen Zeit nachlässt.
Ich persönlich habe immer wieder neue Herausforderungen gesucht und gefunden. Manchmal haben sie sich auch unerwartet ergeben. Im Übrigen bin ich der festen Überzeugung, dass Demokratie vom Wechsel der handelnden Personen lebt.
Seilbrücke zum Campus
Und noch eine Frage an den Brückenbauer Pötzl: Welche würden Sie in Coburg gerne bauen, welchen Bogen spannen? Und wo sollte er für die Hochschule hinführen?
Als leidenschaftlicher Bauingenieur natürlich erst mal eine reale Brücke. Nachdem die Verbindung zwischen dem Campus Friedrich-Streib-Straße und der Innenstadt umständlich, kaum auffindbar und städtebaulich miserabel ist, könnte ich mir im Zusammenhang mit dem Umbau des Bahnhofs zum modernen ICE-Halt eine filigrane Seilbrücke von der Gabelsbergerstraße zur Lossaustraße vorstellen. Sozusagen als sichtbare Geste der Verbindung zwischen Hochschule und Stadt. Und natürlich entworfen, konstruiert und mit innovativem Lichtdesign ausgestattet durch unsere Fakultät Design.
Und im übertragenen Sinne?
Den Bogen in die Zukunft spannen. Das heißt, nicht reagieren zu müssen, sondern agieren zu dürfen! Wir erarbeiten gerade unseren Hochschulentwicklungsplan, genannt HEPCo 2020. Wir haben sieben strategische Ziele identifiziert, die wir bis 2020 umsetzen wollen. Um dies zu erreichen, braucht es Kraft, den Blick in die Zukunft zu richten, Entwicklungen ab- und einzuschätzen und vor allem Prioritäten zu setzen. Und schließlich eine Portion Mut. Genau das muss auch der Weg für die Stadt Coburg sein. Aber das ist mehr als das ISEK. Wenn Sie so wollen ein "ISEKplus".
Für die Hochschule Coburg zeichnen sich bereits jetzt spannende Entwicklungen ab. Die Hochschullandschaft ist durch die Bologna-Reform, die rasante Entwicklung in der Forschung, neue regionale Kooperationen wie die TechnologieAllianzOberfranken (TAO) und internationale Allianzen richtig Bewegung geraten.
Wir wollen jedenfalls im Jahr 2020 eine Hochschule sein, die in der Region zu Hause ist und in der Wissenschaftslandschaft eine wichtige Rolle spielt.
Die Fragen stellte Christiane Lehmann.