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A bissle Frängisch geht scho


Autor: Christiane Lehmann

Coburg, Freitag, 26. Februar 2016

Von Somalia nach Scheuerfeld: Hassan erzählt von seiner Flucht durch die Wüste, übers Meer und in den Toiletten der Bahn.
Hassan spricht Arabisch, Somalisch, Englisch, Deutsch und schon ein bisschen Fränkisch. Das will er noch verbessern. Er ist im ersten Lehrjahr als Elektriker und hat seinen Traumberuf gefunden. Fotos: Chr.istiane Lehmann


Er war einer von 600, die in einem Schlepperboot übers Mittelmeer nach Palermo schipperte - vier Tage lang eingepfercht zwischen erwachsenen Männern, ohne Toilette und seekrank. Wie viele Kilometer der 16-Jährige von Somalia bis nach Coburg zu Fuß zurück gelegt hat, weiß er nicht. Er spricht von 800 oder mehr Kilometern. Durch Wüsten und Wälder mit Zwischenstopp in einem Gefängnis in Libyen.
Hassan zieht sein Hosenbein hoch und zeigt seine Narben am Schienbein. "Schläge waren normal", sagt der Junge . Er ist fröhlich und lacht fast die ganze Zeit während er seine traurige Geschichte erzählt: Davon, dass er nicht weiß, wo seine Mutter und sein Bruder sind. Sein Bruder, der ihm das Lesen und Rechnen beigebracht hat, weil er nicht zur Schule gehen konnte. Davon, dass er nachts durch die Grenzwälder gerannt ist und Angst um Leib und Seele hatte. Auch davon, dass er als dunkelhäutiger Junge in Libyen auf der Straße grundlos zusammengeschlagen wurde und ganz ruhig geblieben ist. "Es war nicht mein Land, da konnte ich mich auch nicht wehren."
In den Kirchen Italiens hat er stets Unterkunft und Verpflegung bekommen, in den Zügen gen Norden hat er sich auf der Toilette eingeschlossen und ist so nach Österreich und schließlich nach Deutschland gekommen.
Das Jugendamt in München hat ihn nach Hafenpreppach vermittelt - die einzige intensive sozialpädagogische Einzelmaßnahme Bayerns. Dort ist er einer von vier Schützlingen von Holger Hörner, der die Einrichtung ProJu betreibt.


Hassans schwarze Geschichte

"Hassan ist nicht immer so fröhlich. Es gibt auch andere Zeiten", sagt Thomas Dinkel, bei dem der junge Somalier eine Lehre als Elektriker macht. Er habe schon Heimweh und sei manchmal traurig. Hassan sagt: "Jeder hat seine Geschichte. Das ist meine schwarze Geschichte, die ich niemals vergessen werde. Aber jetzt bin ich hier und möchte meine Ausbildung machen." Nein, den Kopf werde er nicht in den Sand stecken. Erst, wenn er einen Beruf hat, kann er sich um andere kümmern, seine Familie suchen und ihnen helfen - "oder auch nicht".


Ein Glücksfall

Hassan spricht gut Deutsch. Er hat viel gelernt in den vergangenen eineinhalb Jahren. Die A1 und B1-Deutschprüfung hat er überdurchschnittlich gut abgeschlossen. Bei ProJu bekommt er Einzelunterricht - bis er 18 ist - und es wird viel Wert darauf gelegt, dass die Jungen in den Sportverein gehen, um möglichst viele deutsche Kontakte zu bekommen. Hassan spielt Fußball bei der JFG Coburger Land. Er ist der einzige, der Arabisch, Somalisch, Englisch und Deutsch spricht - "und bald noch ein bissi mehr Frängisch", sagt er und strahlt übers ganze Gesicht.
In der Berufsschule macht sich Hassan gut. Noch ist er Noten befreit, was ihm selbst gar nicht so gefällt, aber seine Lehrer sind sehr zufrieden und zuversichtlich mit ihm.
Thomas Dinkel kann das nur bestätigen. Er war beim Elternabend in der Berufsschule und hat nur Positives über Hassan erfahren. Sein Ehrgeiz, sein Frohsinn und seine Motivation sind ein Glücksfall.


Traumberuf gefunden

Auch im Betrieb ist Hassan sehr beliebt. "Wir haben alle gemeinsam darüber abgestimmt, ob wie den Jungen in unser Team aufnehmen", sagt der Elektrobau-Chef, der seit vielen Jahren regelmäßig ausbildet. Es sei sehr schwer Nachwuchs zu bekommen. "Jeder hat eine Chance verdient. Wir haben nicht mehr die Wahl. Kaum ein Bewerber hat die Mittlere Reife." Mit Hassan ist Thomas Dinkel mehr als zufrieden.
"Er ist sehr intelligent, ich würde ihn sofort übernehmen. Er hat klare Ziele und offensichtlich seinen Traumberuf gefunden." Auch bei seinen Kollegen ist der Junge beliebt. "Er versteht sogar unseren Humor und ist wirklich witzig", loben ihn die Männer.
Hassan ist Moslem. Thomas Dinkel hat "seinen Schützling" zum Beten auch schon in die Moschee gefahren. Aber in letzter Zeit geht Hassan immer samstags in die evangelisch-freikirchliche Gemeinde in Scheuerfeld. "Ich möchte mich umschauen und interessiere mich auch für andere Religionen. Als Moslem bin ich geboren, aber ich diskutiere auch gern mit anderen. Außerdem haben wir da immer viel Spaß", argumentiert Hassan. Er mag es nicht, wenn Moslems mit Terroristen gleich gesetzt werden. "Ich bin ein normaler Mensch, wie Christen und Juden auch. Ich respektiere jeden. Jeder soll doch glauben, was er möchte."
Der 17-Jährige spricht nicht wie ein Junge, der nie eine Schule von innen gesehen hat und in ärmlichen Verhältnissen ohne Vater aufgewachsen ist. Er kam ohne Handy und ohne einen Pfennig Geld nach Deutschland, aber mit Respekt, Anstand und ehrgeizigen Zielen.