30 Lutherchen auf der Veste
Autor: Dr. Carolin Herrmann
Coburg, Freitag, 27. Mai 2016
Die Kunstsammlungen beteiligen sich am Welterbe-Tag. Deshalb sind Ottmar Hörls Plastiknachbildungen des Reformators auf der Veste aufgestellt.
30 kleine Plastik-Luther in Leuchtfarben wandeln die Treppe zum Lutherdenkmal auf der Veste herab. Bis Ende nächster Woche. Das ist eine Performance mit üppigen Hintergedanken. Die Ottmar Hörl, weltweiter Konzeptkünstler und Präsident der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg, gestern höchstselbst in Coburg erläuterte. Anlässlich des Welterbe-Tages nächsten Sonntag, an dem sich die Veste Coburg zum ersten Mal beteiligt, mit einem speziellen Programm. Auch wenn sie nicht Welterbe ist. Sie ist aber beteiligt am Erweiterungsprojekt des Welterbes "Luther-Gedenkstätten", um das sich 18 Lutherstätten in Wittenberg, Eisleben, Mansfeld, Torgau, Erfurt und seit Antragstellung im Februar dieses Jahres eben auch Coburg bei der Unesco bemühen. Im September kommt ein Gutachter nach Coburg, im Juni 2017 soll die Unesco entscheiden.
Ottmar Hörl schickt seit Jahren hochkarätige (Symbol-)Gestalten der Geschichte auf Puppenformat verkleinert und in Massen rund um die Welt, Wagner, Dürers Hase, Venus. Viele finden das entzückend, andere auch blöd. Als Hörl zur Eröffnung der Lutherdekade 2010 auf dem Wittenberger Marktplatz aber 800 Luthers hinstellte statt eines "anständigen" Luther-Denkmals, da sind manche ausgerastet, allen voran Friedrich Schorlemmer. Hörl nennt ihn den "mächtigsten Protestanten" der Republik.
Vom Sockel geholt
Was aber nur dazu geführt hat, dass die ganze Welt aufmerksam wurde und sich Hörls Lutherfiguren wie verrückt verkauft haben innerhalb von sechs Wochen, alle 800.
Und es geht weiter und weiter, wobei die Plastikreformatoren übrigens bei zwei Neustadter Firmen hergestellt werden solange die Nachfrage anhält.Dass jetzt 30 dieser "Multiples" - so viel Hörl halt ins Auto gebracht hat - auf der Veste (herum)stehen, ist aber gar nicht als Weiterführung eines gelungenen Gags gemeint. Ottmar Hörl grundsätzliches Anliegen ist es, Ästhetik in den Alltag der Menschen ganz allgemein zu bringen. Statt der Verehrung des Unikates sendet er seine "preislich erschwinglichen Multiples" in die Welt, wo sie als Ideenträger, Symbole, durchaus aber auch in ihrer anfassbaren Gestalt wirken, herkömmliche Denkmuster infrage stellen, Zusammenhänge er- und be-greifbar machen sollen.
Klaus Weschenfelder, Direktor der Kunstsammlungen auf der Veste, fand es sehr spannend, Hörls dem Denkmal von Gottfried Schadow nachgebildete Figuren "in authentische Situationen auf der Veste zu bringen". Wir wollen keinesfalls respektlos sagen, dass er ein bisschen mit den Puppen gespielt habe. Denn die Fotos, die entstanden, als die Figuren unter anderem in der Lutherkapelle aufgestellt waren, haben tatsächlich ein merkwürdig eindrucksvolles Flair.
Als Präsentationsort hat man sich letztendlich für die Treppe draußen im ersten Burghof entschieden, wo sie den Leuten sofort in den Blick geraten (auch wenn sie von da jeden Abend wieder hereingeholt werden müssen). "Ich will, dass die Leute ein Gefühl für Luther entwickeln", erklärt Hörl. "Er darf nicht im Laufe der Zeit immer heiliger gesprochen werden. Wir müssen froh sein, dass mit ihm endlich nicht nur die Reformation, sondern die Veränderung Europas ganz Europas angefangen hat. Mit seiner Kampfansage an das Judentum und anderem war er aber auch ein Kind seiner Zeit." Und wegen all dem holt Hörl den Luther auch vom Sockel, arrangiert ihn massenweise daneben, was doch vieles infrage stellt. Das tut dem Ganzen sehr gut, findet Klaus Weschenfelder. Schmunzeln ist auch bei Luther nicht verboten.
Kunsttheoretischer betrachtet, verweist Hörl auf interessante Parallelen in seinem Gedankenkonstrukt. Luthers Erfolg basiert auf dem "seriellen Konzept". Mit Gutenbergs Erfindung des modernen Buchdruckes und der Druckerpresse war Luthers "Pressesprecher" Melanchthon in der Lage, die Ideen der Reformation in den Alltag der Leute zu bringen. Hörl bedient sich im Prinzip der gleichen seriellen Methode, um "schlaue Gedanken günstig unter die Menschheit zu bringen". Denn dann, so Hörl, "gibt es wie bei Luther auch keine Entschuldigung mehr für Blödheit." -
Ob die Leute die Lutherchen in den Farben Cranachs, der ja das Propagandabild Luthers entworfen und verbreitet hat, nun einfach nur niedlich finden oder intelligent hintergründig - eines ist Fakt: Hat man den Luther in halber Plastikgröße mal gesehen, kann man nie wieder wie zuvor auf ein historisches Lutherbild blicken.
Auch die Coburger Lutherchen werden selbstverständlich verkauft, für 500 Euro, signiert für 850 Euro.
Große Hoffnungen
Dass sich die Kunstsammlungen am Welterbe-Tag beteiligen, soll laut Direktor Klaus Weschenfelder unterstreichen, dass das Gemeinschaftskonzept "Lutherstätten in Mitteldeutschland" längst gelebt wird und funktioniert. Wie hoch die Mitbewerbung Coburgs auch kommunalpolitisch gehängt wird, unterstrich die Teilnahme von Oberbürgermeister Norbert Tessmer und weiterer Amtsvertreter an der gestrigen Pressekonferenz. Tessmer betonte, dass er große Hoffnungen in die Bewerbung setze und sehr große Chancen für dieses drei Länder übergreifende Unternehmen sieht. Das besondere Angebot am 5. Juni ist auf zwei Aspekte ausgerichtet, die bei der Unesco-Bewerbung eine wichtige Rolle spielen.
Das Programm am Sonntag, 5. Juni
Memoria - Auf Luthers Spuren durch die Veste. Im ersten Rundgang nach einem gemeinsamen Frühstück, Beginn 9.30 Uhr, wird es unter Führung von Klaus Weschenfelder um die Luther-Memoria speziell auf der Veste Coburg gehen.
"Eine feste Burg...." - Die bauliche Gestalt der Veste Coburg als Ausdruck von Wehrhaftigkeit in konfessionellen Konflikten. Der gemeinsame Spaziergang wiederum mit Klaus Weschenfelder rund um die Veste ab 12 Uhr wird zeigen, wie und wo sich im Wehrbau der religiöse Aspekt ablesen lässt. Abschließend kleine Brotzeit im Zwinger am "Blau en Turm" mit Blick auf die Heldburg.
Dauer der Veranstaltungen ca zwei Stunden, Teilnehmerbeitrag: 15 Euro, Anmeldung erforderlich unter Telefon 09561/ 8790 oder sekretariat@kunstsammlungen-coburg.de.
Andacht mit Musik um 16 Uhr in der Lutherkapelle unter dem Motto "Lutherworte" mit Pfarrer Dieter Stößlein und Kirchenmusikdirektor Peter Stenglein, Dauer ca. 45 Minuten.