Slapstick mit der "Merkel"-Raute
Autor: Monika Beer
Bayreuth, Freitag, 26. Juli 2013
Während namhafte und selbst die kleinen Festivals landauf landab selbstverständlich mit Neuinszenierungen eröffnen, gab es zum Auftakt am Grünen Hügel im Wagner-Jubiläumsjahr nur die Wiederaufnahme des "Fliegenden Holländers" von 2012.
Das ist, wie ein geschätzter Kritikerkollege feststellte, ungefähr so, wie wenn ein großer Autokonzern beim Internationalen Autosalon in Genf nur sein Vorjahresmodell präsentiert. Ob das gut fürs Geschäft sein kann? Was die Festspiele beziehungsweise die BF Medien GmbH betrifft, vermutlich schon. Denn für Katharina Wagners mediale Verwertungsfirma dürfte sich der zeitgleich zunächst in rund 200 Kinos übertragene und zeitversetzt in der ARD gesendete "Fliegende Holländer" durchaus rechnen.
Die Einnahmen werden dringend gebraucht, nachdem die bisherigen eigenen Veranstaltungen zum Jubiläumsjahr unter anderem wegen ausbleibender Zuschauer trotz nicht unerheblicher öffentlicher Zuschüsse wahrscheinlich ziemlich defizitär waren. Weitere negative Schlagzeilen können die bis 2015 unter Vertrag stehenden Wagnerschwestern nicht brauchen. Und noch schwebt die "Ring"-Neuinszenierung des als Stückezertrümmerer bekannten Regisseurs Frank Castorf wie ein Damoklesschwert über ihnen.
So stellte Eleonore Büning erst vor kurzem in der FAZ fest: "Am künstlerischen Gelingen der Bayreuther Jubiläumsspielzeit, zumal am Wohl oder Wehe von Castorfs Erdöl-‚Ring‘, hängt auch das Schicksal der derzeitigen Leitung, danach wird ihre Ära beurteilt werden, und das bedeutet: Es hängt an einem seidenen Faden."
Im Daten- und Zahlenmeer
Der Faden, an dem Jan Philipp Glogers bestenfalls zweit-, eher drittklassige "Holländer"-Inszenierung im Premierenjahr 2012 hing, ist wenigstens nicht mehr hauchdünn. Der Regisseur und seine Ausstatter (Bühnenbild: Christof Hetzer, Kostüme: Karin Jud, Licht: Urs Schönebaum, Video: Martin Eidenberger) haben ihre Interpretation konzeptuell überarbeitet und an vielen Details gefeilt. Am meisten beeindruckt nach wie vor das erste Bild. Mit dem immer wieder heftig flackernden Daten- und Zahlenmeer, dem darin verloren schaukelnden Boot und der noch verloreneren Titelfigur ist dem Team eine sinnfällige Vergegenwärtigung gelungen.
Auch die Übersetzung der ausschließlich von Geldgier bestimmten Businesswelt Dalands ist geschärft. Für meinen Geschmack kommen allerdings die parodistischen Überzeichnungen immer noch zu gewollt, zu belehrend an; dem kritisch Gemeinten, dem Witz fehlt zumeist die Leichtigkeit. Immerhin hatten auch die anwesenden Bundes- und Landespolitiker was zu lachen, denn sowohl Daland als auch sein eilfertiger Steuermann-Adlatus zeigen jetzt unter anderem mehrfach eine typische Geste der Bundeskanzlerin, die sogenannte "Merkel-Raute".
Der heilbringende Engel, den der unstet weltreisende Holländer braucht, um erlöst zu werden, hat diesmal keine Flügel aus Pappkarton, sondern aus Sperrholz. Das Verpackungsmaterial in der Ventilatorenfabrik ist etwas stabiler geworden, Senta trägt kein rotes Kleid, sondern Trauer, schnitzt an ihrer Holländer-Skulptur und fuchtelt jetzt nicht mehr mit der Fackel der Liebe, sondern einem oder mehreren Holzstäben herum.
Warum die zentrale Liebesszene dennoch nicht so berührend rüberkommt, wie sie gedacht ist, liegt auch an den Protagonisten. Samuel Youn, der im letzten Jahr rettende Einspringer für die Titelrolle, ist zwar sängerisch sicherer geworden, aber ein Borderliner, der nur seiner tiefen Depression freien Lauf lässt, kann den Bühnenraum einfach nicht mit der notwendigen Präsenz füllen.
Die Umbesetzung der Senta wiegt ebenfalls schwer. Unstrittig war 2012 Adrianne Pieczonka in ihrer sängerdarstellerischen Leistung das Zentrum der Aufführung. Ricarda Merbeth ist das deutlich weniger. Sie wirkt, trotz der gnädigen Distanz, die für die meisten Zuschauer im Festspielhaus gegeben ist, ältlich und ist auch in manchen Eigenheiten ihrer Körpersprache und Mimik kein Gewinn. Gab es denn weit und breit keine junge Sängerin für diese Partie?
Hingegen sind die zwei Tenöre der Produktion beachtenswert: Tomislav Muzek, der 2003 in Bayreuth als Steuermann debütierte, ist jetzt ein stimmlich wie darstellerisch beeindruckender Erik, Benjamin Bruns lässt wie schon im Vorjahr als prägnanter Steuermann aufhorchen. Erstklassig auch Franz-Josef Seligs Daland und Christa Mayer in der kleinen Mary-Partie. Die von Eberhard Friedrich einstudierten Chöre sind einmal mehr der Garant für berechtigte Jubelstürme, das Festspielorchester - von ein paar Wacklern abgesehen - auch.
Dirigent Christian Thielemann schafft es immer wieder, genau jene fast schon spielopernhafte Leichtigkeit und Beiläufigkeit herzustellen, die der Szene leider überwiegend abgeht. An den Stellen, aus denen man den späteren Wagnersound heraushören kann, schwelgt er für meinen Geschmack etwas zuviel. Wie auch immer: Der frische Wind kommt vor allem aus dem Graben. Kurzer Premierenjubel, ein paar Buhs für den Regisseur. Richtig heiß - und zwar nicht nur von den Temperaturen her - wird es erst im neuen "Ring".