Druckartikel: Nessie winkt aus dem Baggerloch

Nessie winkt aus dem Baggerloch


Autor: Jochen Nützel

Mistelgau, Mittwoch, 10. Oktober 2012

Ton, Steine, Scherben - und darunter ruht die Sensation: In der Tongrube Mistelgau stieß Präparator Stefan Eggmaier auf das Fossil eines Fischsauriers, der vor 185 Millionen Jahren lebte.
An den Kieferknochen des versteinerten  Fischsaueriers kann Präparator Stefan Eggmaier (rechts) erkennen, dass das Tier auf dem Rücken liegt. Zusammen mit Joachim Rabold, dem Leiter des Urwelt-Museums in Bayreuth, bespricht er die nicht ganz einfache Bergung des Fossils aus der Tongrube in Mistelgau.



Die Forscher sprechen vom "Belemnitenschlachtfeld". Auf diesem Schlachtfeld ruhen Myriaden von Toten. Der graue Tonmergel ist für Belemniten, also Kopffüßer wie Tintenfische, aber auch Krokodile vor 185 Millionen Jahren zur letzten Ruhestätte geworden. Dem Blick entzogen für alle Ewigkeit. Bis Stefan Eggmaier kommt, Hammer und Spatel auspackt, den Kragen seiner Jacke hochstülpt, um so der feuchten Luft zu trotzen. Und anfängt zu schaufeln, zu kratzen, zu schaben, zu bohren, zu hebeln...
Drainagegräben hebt der Präparator des Bayreuther Urweltmuseums für gewöhnlich nicht aus. "Hier musste ich eine Ausnahme machen, den Fund erst mal trockenlegen." Der gebürtige Kulmbacher steigt durch die matschige Senke, über ein Rinnsal brauner Brühe, und lupft die Plastikfolie von seinem Schatz. Die Regenfälle vom vergangenen Donnerstag und Freitag haben die Tongrube in Mistelgau (Kreis Bayreuth) unter Wasser gesetzt. Es war hier aber schon nasser - damals, in der Zeit des dunklen Jura, als über dem bei Geologen begehrten Grabungsfeld ein Urzeit-Meer wogte. In dem schwamm auch jener Temnodontosaurus, zu Deutsch Schnittzahnsaurier, den Eggmaier nun mit Engelsgeduld dem bröseligen Untergrund zu entmeißeln sucht.
Etwa zwei Drittel (Kopf und ein Teil des Rumpfes) vom Delphin-ähnlichen Urzeiträuber liegen frei. "Noch eher mittelprächtig" entgegnet Joachim Rabold auf die Frage nach dem Erhaltungsgrad des Fossils. "Vom Schwanz könnte nicht viel übrig sein, schon ab der Mitte liegen die Knochen kreuz und quer. Da haben sich womöglich Aasfresser verlustiert", sagt der Leiter des Urwelt-Museums, den Kopf über den lehmigen Brocken und seinen Präparator gebeugt. Mit dem Spaten hatte Eggmaier die grobe Form aus dem Mergel ausgestochen. Jetzt kauert er mit Spachtel in Hockstellung. Die Bewegungen werden vorsichtiger, die Werkzeuge filigraner. Dass die Forscher den Fisch überhaupt aufspürten, das haben sie hingegen der rohen Kraft schwerer Maschinen zu verdanken: Ein Bagger hatte in dieser Ecke der Senke gegraben. "Wir wollten feststellen, wie tief die übliche Fundschicht dieser Reptilien an einer bestimmten Stelle in der Tongrube liegt", erläutert Joachim Rabold. Immerhin hatte Eggmaier nur einen Ammonitenwurf entfernt schon einmal den Schädel eines Fischsauriers der Gattung Temnodontosaurus entdeckt.

Knochen aus dem Schlick gepult


Als der Präparator bemerkt, dass im Aushub plötzlich ein Oberarmknochen aus der Tonschicht ragt, unterbricht er die Arbeiten sofort. Er durchsucht stundenlang die Ton- und Mergelhaufen und findet nach und nach 54 Knochen; sie gehören zu einem Flossenpaddel des Urzeitfisches. "Es war, als streckten mir 185 Millionen Jahre die Hand entgegen." Ein Glücksgefühl, das den Forscher in Bodenhaltung für alles Bücken und Wühlen im Schlick entschädigt.
Das Glück ist getrübt durch die poröse Matrix, in der der Fund ruht. "Leider liegt der Saurier nicht im ursprünglich harten Gestein des Belemnitenschlachtfeldes", sagt Eggmaier seufzend. Er wird den Fisch zerteilen und stückweise aus dem bröseligen Untergrund bergen. "Womöglich müssen wir mit Gips oder Epoxidharz die Schicht stabilisieren, damit sie uns nicht komplett zerbricht." Zumal es in den nächsten Tagen neue Regenfälle geben soll.
Doch das ist nicht das einzige Damoklesschwert, das über den Forschern schwebt. "Die Grube könnte in spätestens einem Jahr mit Bauschutt verfüllt werden." Rabold schüttelt den Kopf. Es laufen Bemühungen mit möglichen Geldgebern, die Tongrube und die darin noch verborgenen Urzeitwesen zu einer Art Freilandmuseum zu gestalten. "Welchen Schatz wir hier in Oberfranken haben, das ist offenbar noch nicht bei allen angekommen." Rabold könnte sich vorstellen, ein Informationszentrum zu errichten; Fossiliensammlern, aber auch Schülern die Tongrube und was darin schlummert nahe zu bringen. Ein ehemaliger SPD-Landtagsabgeordneter prüft die Förderung in Form einer Stiftung.
Museumsleiter Rabold weiß, dass er zwar den aktuellen Fund wird bergen und in seiner Einrichtung der Öffentlichkeit zeigen können. "Was aber wird aus all dem, was wir noch nicht entdeckt haben - von dem wir aber wissen, dass es da ist?" Er schabt mit dem Schuh über die geschichtsträchtige Scholle. Nicht bloß für die Wissenschaft wäre eine Bauschuttdeponie das größte anzunehmende Unglück - sozusagen der Mistel-Gau.