Druckartikel: Ziele und Strategien: Junger Wissenschaftler aus Bayreuth erforscht den IS

Ziele und Strategien: Junger Wissenschaftler aus Bayreuth erforscht den IS


Autor: Christoph Hägele

Bayreuth, Montag, 29. Februar 2016

Im Auftrag des amerikanischen Verteidigungsministeriums hat Johannes Siebert Ziele und Strategien der Terrormiliz IS analysiert.
Screenshot einer Szene aus einem Video, das von der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) am 02.09.2014 veröffentlicht wurde und einen maskierten Mann mit Messer bei der Hinrichtung des US-Journalisten Sotloff zeigen soll. Bei der Person soll es sich nach Medienberichten um Mohammed Emwasi handeln. Foto: dpa


Als einziger Deutscher hat der Bayreuther Wissenschaftler Johannes Siebert mit Kollegen aus den USA für das amerikanische Verteidigungsministerium untersucht, welche Ziele und Strategien der sogenannte Islamische Staat (IS) hat und verfolgt.
Sieberts Aufgabe war es, öffentlich zugängliche Quellen auszuwerten. Unter den IS-Führungspersönlichkeiten, deren Reden Siebert analysierte, war beispielsweise IS-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi. Ihn vergleicht Siebert mit Managern, die bei der Umsetzung ihrer Ziele planvoll und rational vorgehen. Die gemeinsame Studie ist in der amerikanischen Fachzeitschrift "Decision Analysis" erschienen.

Wie kam es dazu, dass Sie im Auftrag des Pentagons geforscht haben?
Johannes Siebert: Als der IS sich immer stärker ausbreitete, habe ich mich gefragt, wie ich als Wissenschaftler dazu beitragen kann, ihn zu bekämpfen. Am Center for Risk and Economic Analysis of Terrorism Events (CREATE) der University of Southern California in Los Angeles gibt es diese Möglichkeit. Dort wird das Wissen von Wissenschaftlern aus unterschiedlichen Disziplinen zusammengeführt, um die Zivilbevölkerung vor terroristischen Angriffen zu schützen.

Können Sie ein Beispiel für konkrete Vorschläge geben, wie Sie am CREATE-Institut erarbeitet werden?
Angenommen, die Sicherheit an einem öffentlichen Ort wie einem Bahnhof soll erhöht werden. Eine Möglichkeit besteht darin, mehr Polizeikräfte einzusetzen. Diese Möglichkeit ist oft aus Personalknappheit nicht zu realisieren, verursacht Kosten und ist auch von Teilen der Bevölkerung nicht gern gesehen. Eine andere Möglichkeit liegt in dem effizienteren Einsatz von Polizeikräften. Ein Kollege konnte nachweisen, dass die Sicherheit erhöht werden kann, wenn die Polizeistreifen anstelle von standardisierten Routen durch einen Zufallsgenerator ausgewählte Routen durch den Bahnhof folgen.

Warum ist das so?
Sie haben bestimmt einmal schon einen Film gesehen, in dem der Einbrecher genau wusste, dass der Wachmann in zehn Sekunden abdreht, und dann für 30 Sekunden eine Möglichkeit zum Eindringen besteht. Wenn die Wachleute zufällig ihre Runden drehen würden, wäre das nicht möglich.

Welchem wissenschaftlichen Ansatz sind Sie bei Ihrer Analyse des IS gefolgt?
Unter anderem bin ich ein Spezialist in Entscheidungstheorie. Hier untersuche ich, wie Individuen und Organisationen bessere Entscheidungen treffen können. Als Ausgangspunkt für gute Entscheidungen, ist es unerlässlich zu wissen, was eigentlich erreicht werden soll. In diesem Fall haben wir die Ziele der Terrorgruppe IS identifiziert. Wenn bekannt ist, welche Ziele der IS verfolgt, dann können diese Erkenntnisse dazu genutzt werden, um Handlungsalternativen zu entwickeln, damit der IS seine Ziele nicht erreicht.

Damit das funktioniert, müsste der IS ja rational handeln.
Ja, in der Terrorismusforschung wird angenommen, dass Terroristen als Kollektiv rational handeln, im Grunde wie Manager. Sie definieren Ziele und Mittel. Dann überlegen sie, wie sie ihre Ressourcen einsetzen müssen, um ihre Ziele zu erreichen.

Welche Ziele verfolgt der IS also?
Auf der religiösen Ebene will der IS seine strenggläubige Interpretation des sunnitischen Islams verwirklichen und sein Islam-Verständnis in möglichst viele Länder tragen. Auf der militärischen Ebene geht es dem IS um die Errichtung und Aufrechterhaltung eines Kalifats, das wie ein Staat für die Sicherheit und Versorgung seiner Bewohner sorgen soll.

Das klingt ja sehr sachlich.
Abstrakt gesehen sind die übergeordneten Ziele des IS nicht per se zu verurteilen. Anders verhält es sich natürlich mit den schrecklichen Mitteln, mit denen der IS seine Ziele erreichen möchte: Anschläge, Entführungen und Hinrichtungen.

Warum ist die Staatsbildung so wichtig für den IS?
Weil dieser Aspekt den IS von einer Sekte unterscheidet und auch von Al Kaida, die für viele radikale Muslime schon lang ein Auslaufmodell ist. Wer wie der IS auf den Aufbau eines staatsähnlichen Gebildes verweisen kann, wirkt erfolgreicher und kann einfacher Sponsoren finden als auch neue Anhänger rekrutieren.

Ist der IS in der Entwicklung seiner Strategien flexibel?
Vor einem Jahr hat der IS seine Ressourcen noch vor allem eingesetzt, um sein Territorium zu verteidigen und erweitern. Das hat sich inzwischen gewandelt. Der IS scheint inzwischen mehr Mitglieder und auch finanzielle Ressourcen dazu einzusetzen, um auch Gesellschaften anzugreifen, die sich nicht in seiner direkten Nachbarschaft befinden. Denken Sie an Paris.

Wer schließt sich dem IS an?
Es gibt unterschiedliche Typologien, die Anhänger zu beschreiben. Eine sinnvolle unterscheidet zwischen Pragmatikern, Ideologen und Gewaltsuchern. Die Pragmatiker verfolgen überwiegend weltliche Ziele, beispielsweise die Kontrolle der Regierung oder die Kontrolle über kritische Ressourcen wie Ölquellen. Die Ideologen sind eher auf religiöse Ziele fixiert.

Was suchen diese Gruppen?
Sie wollen die Überlegenheit ihrer Religion demonstrieren und ihre Ideologie durchsetzen. Die dritte Gruppe sind die Gewaltsucher. Das ist die Gruppe, deren Bilder die Wahrnehmung der IS-Miliz in der Öffentlichkeit maßgeblich bestimmen. Es sind Menschen, die das Abenteuer suchen und exzessive Gewalt ausleben wollen.

Haben Sie mit Ihrer Arbeit beitragen können, den IS besser zu verstehen?
Die Frage nach meinem Beitrags stelle ich mir gar nicht. Mit unserer Arbeit haben wir aber eine Basis für Entscheidungsträger erarbeitet, die im Anti-Terror-Kampf tätig sind. Jetzt werden wir Angriffsziele identifizieren, die für den IS in Europa und den USA attraktiv sind.

Das Gespräch führte
Christoph Hägele.