Druckartikel: Freitags frei, bittschön! Warum eine fränkische Firma auf die Viertage-Woche setzt

Freitags frei, bittschön! Warum eine fränkische Firma auf die Viertage-Woche setzt


Autor: Stephan Großmann, Matthias Litzlfelder

Goldkronach, Donnerstag, 14. März 2019

Eine Firma aus Goldkronach (Landkreis Bayreuth) bietet seit diesem Jahr die Viertage-Woche an. Die Beschäftigten freuen sich über das neue Modell, die Meinungen von Experten gehen auseinander. Wir haben die Firma einmal besucht.
Jeden Freitag frei:  Heike Ruckriegel-Zeitler arbeitet nur noch von Montag bis Donnerstag: Sie profitiert von der neu eingeführten Viertage-Woche der Firma Bella Gardinenkonfektion in Goldkronach. Matthias Hoch


"Schönes Wochenende." Für Heike Ruckriegel-Zeitler hat dieser Satz eine neue Bedeutung bekommen. Seit 30 Jahren verdient die sechsfache Mutter ihre Brötchen in der Goldkronacher Firma Bella Gardinenkonfektion. 37 Stunden, Vollzeit. Seit ein paar Wochen beginnt ihr Wochenende aber schon am Donnerstag. Denn: Wer will, kann in Goldkronach (Landkreis Bayreuth) nur noch vier statt fünf Tage lang arbeiten.

"Wir haben fast die halbe Woche frei", sagt Lisa Blechschmidt. Die 30-jährige Betriebsleiterin hat sich die Viertage-Woche ausgedacht. "Wir überlegten, wie wir mehr Freizeit schaffen, ohne auf Arbeitsleistung zu verzichten." Ihre Lösung: Montag bis Donnerstag, 9,25 Stunden statt acht Stunden am Tag. Knapp die Hälfte ihrer 70 Mitarbeiterinnen hat sich bereits für das neue Modell entschieden.Falls einmal alle dabei sind und der Betrieb an Freitagen ganz pausieren kann, plant Blechschmidt mit erheblich niedrigeren Energiekosten. Das gesparte Geld wiederum soll dann den mehr als 70 Beschäftigten zu Gute kommen.

Flexibilisierung in der Arbeitswelt wird immer wichtiger. Globalisierung und Digitalisierung machen ort- und zeitgebundene Arbeitsplätze seltener. Der Stellenwert der Freizeit wächst. Die IG Metall beispielsweise hat in der letzten Tarifrunde durchgesetzt, dass Beschäftigte ihren Gehaltsaufschlag für Kindererziehung, Pflege oder Schichtarbeit in freie Tage umwandeln können. In Bayern entschiedt sich knapp ein Viertel der Befragten dafür.

Laut einer Studie der Universität Auckland sind Menschen produktiver, wenn sie nur vier statt fünf Tage in der Woche arbeiten. "In manchen Fällen mag ein Modell wie in Neuseeland funktionieren, grundsätzlich lehnen wir eine Verkürzung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit ab", sagt Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft.

"Aus arbeitspsychologischer Sicht sprechen Argumente sowohl für als auch gegen die Viertage-Woche", sagt Sebastian Seibel, Arbeits- und Organisationspsychologe an der Universität Bamberg. Längeres Abschalten von der Arbeitswoche könne helfen, die Erholung zu vereinfachen. Aber ganz überzeugt scheint Seibel nicht: "Statt einen Tag mehr Erholung zu haben, ist es wichtiger, jeden Tag Zeit für kurze Erholungsphasen zu haben. Es gilt also, Überstunden zu vermeiden, statt einen Tag einzusparen." Beschäftigte hätten laut Seibel "individuelle Zeiträume, in denen sie am leistungsfähigsten sind". Die beschränken sich nur auf wenige Stunden am Tag. Sein Fazit: lieber sechs Stunden, fünf Tage lang.

"Ab einer bestimmten Stundenzahl lässt die Produktivität nach", sagt auch Susanne Wanger vom Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg. Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung hat in einer Studie herausgefunden, dass das Unfallrisiko ab der neunten Stunde exponentiell ansteigt. Zugleich kommt die Studie zu einem Ergebnis, das in die Richtung der neuseeländischen Forscher geht: höhere Produktivität bei kürzerer Arbeitszeit. Das zeige sich auch im Ländervergleich. OECD-Länder mit der längsten tatsächlich geleisteten durchschnittlichen Wochenarbeitszeit hätten auch die geringste durchschnittliche Arbeitsproduktivität.

"Die tägliche Stunde mehr merke ich gar nicht", meint Ruckriedel-Zeitler. Die Näherinnen in der Bella Gardinenkonfektion wirken zufrieden. In Zeiten von Fachkräftemangel ist das ein wichtiges Gut für Unternehmen.

Ist die Viertage-Woche das richtige Arbeitszeitmodell?

Pro von Stephan Großmann

W ie Studien zeigen, sind Menschen produktiver, wenn sie längere Zeit zum Abschalten und Energietanken bekommen. Nur noch vier Tage in der Woche zu arbeiten, ist gut fürs Gemüt, fürs soziale Leben und für die Motivation. In Zeiten von Industrie 4.0 übernehmen Maschinen immer mehr zeitfressende Arbeiten, übrig bleiben komplexe und kreative Tätigkeiten. Die sind ausgeruht effektiver zu leisten und weniger störungsanfällig. Die Viertage-Woche ist ein guter erster Schritt. Vollzeitbeschäftigte leisteten laut Erhebung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 2018 durchschnittlich 38 Stunden in der Woche, nicht selten sind 40 und mehr. Das ist zu viel. Die Schere muss an der Nettoarbeitszeit ansetzen.

Contra von Matthias Litzlfelder

Es ist zunächst nichts dagegen einzuwenden, wenn ein Unternehmen versucht, im Einvernehmen mit den Mitarbeitern die Arbeitszeit sinnvoll zu gestalten. Nur vier Tage zu arbeiten und dabei die tägliche Arbeitszeit auf mehr als neun Stunden hochzuschrauben, ist allerdings kein Modell, das auf Dauer überzeugt. Hundert Jahre ist die Errungenschaft des Achtstundentags mittlerweile alt, vereinbart im Stinnes-Legien-Abkommen vom November 1918. Eine Richtschnur, die sich bewährt hat. Freilich ist jemand, der nur vier oder sechs Stunden täglich arbeiten muss, produktiver. Das zeigen Studien mit Teilzeitkräften. Aber die Viertage-Woche bei vollem Lohnausgleich würde nur extreme Arbeitsverdichtung mit sich bringen.

Arbeitszeit kann flexibel sein

Arbeitszeitgesetz Das Gesetz trat am 6. Juni 1994 in Kraft. Darin wird unter anderem die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer auf acht Stunden festgesetzt. Flexible Arbeitszeitmodell aber werden bedeutender.

Gleitzeit In der Regel gibt es eine Kernarbeitszeit mit allgemeiner Anwesenheitspflicht und Gleitzeitspannen. Innerhalb dieser können Beschäftigte selbst bestimmen, wann sie beginnen und aufhören.

Funktionszeit Verpflichtende Anwesenheitszeiten (Kernzeit) für einzelne Beschäftigte gibt es nicht, sondern betrieblich vereinbarte Funktionszeiten. Zu diesen müssen die jeweiligen Betriebsbereiche funktionsfähig sein.

Vertrauensarbeitszeit Unternehmen vertrauen darauf, dass Beschäftigte ihre Aufgaben in einem verabredeten Zeitraum eigenverantwortlich erfüllen. Eine formale Zeiterfassung entfällt ebenso wie die Anwesenheitskontrolle durch Vorgesetzte.

Jahresarbeitszeit In manchen Branchen schwankt das Arbeitsaufkommen im Jahresverlauf. Ist viel zu tun, wird mehr gearbeitet und umgekehrt. Wichtig: Das Arbeitsentgelt wird in zwölf gleichen Beträgen ausgezahlt.

Weiterlesen Mehr Infos hat die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin im Internet zusammengestellt: www.baua.de.