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Ein Schatten liegt über Mistelbach: Vier Kinder wurden zu Vollwaisen - wie soll man das begreifen?


Autor: Dunja Neupert-Kalb

Mistelbach, Mittwoch, 12. Januar 2022

Entsetzen herrscht in der 1500-Seelen-Gemeinde Mistelbach. Vor wenigen Tagen hat sich in dem oberfränkischen Dorf ein schreckliches Verbrechen abgespielt. Vier Kinder wurden zu Vollwaisen. Der mutmaßliche Täter ist erst 18 Jahre alt. Wie soll man das alles begreifen?
Eine Bluttat an einem Ehepaar sorgt in Mistelbach (Landkreis Bayreuth) für Entsetzen. Die Frage nach dem "Warum" treibt viele um. Foto: Matthias Hoch


Ein 18-Jähriger soll dafür verantwortlich sein, dass vier minderjährige Kinder zu Vollwaisen wurden. Über Nacht. Von der einen auf die andere Sekunde war nichts mehr wie es war. Ein ganzes Dorf steht unter Schock. Ein Schatten hat sich über Mistelbach gelegt.

In der nur vier Kilometer von der Stadtgrenze Bayreuths entfernten 1500-Einwohner-Gemeinde hat sich am vergangenen Wochenende ein Drama abgespielt, das man einfach nicht begreifen kann. Nicht als Außenstehender und schon gar nicht als Angehöriger oder Anwohner. Mein Heimatdorf wurde zum Schauplatz einer grausigen Bluttat.

18-Jähriger soll vier minderjährige Kinder zu Vollwaisen gemacht haben

Zwei Menschen sind tot. Offenbar wurde das Ehepaar aus Mistelbach heimtückisch im Schlaf ermordet. Der 51-jährige Familienvater und die 47 Jahre alte Mutter hinterlassen vier minderjährige Kinder - das jüngste ging noch in die örtliche Kita, wo es ihm nach Aussage einer Nachbarin sehr gut gefiel. Der mutmaßliche Mörder war der Freund der ältesten Tochter. Wie es zu der Tragödie kam, ist noch Gegenstand der kriminalpolizeilichen Ermittlungen. Spekulationen sind auf Rücksicht auf die vier Waisenkinder unangebracht. Machen aber natürlich trotzdem die Runde.

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Wenn man die Nachrichten zu dem schrecklichen Ereignis verfolgt, wird einem schnell klar: Was sich in der Nacht auf Sonntag (9. Januar 2022) zugetragen hat, ist nicht in Worte zu fassen. Laut Bericht der Polizei hörten Anwohner mitten in der Nacht Hilferufe, ehe sie den Notruf wählten. Alle vier Kinder des durch Stichverletzungen getöteten Paares waren zum Tatzeitpunkt im Haus anwesend. Kaum vorstellbar, dass sie von der abscheulichen Tat nichts mitbekommen haben.

Nach dem Blutbad im Untergeschoss des am Hang gebauten Einfamilienhauses im Mistelbacher Ortsteil Kirchröthe floh der mutmaßliche Täter zunächst. Dann ließ er offenbar eine Verletzung an der eigenen Hand im Bayreuther Klinikum behandeln, ehe er sich selbst der Polizei stellte und widerstandslos festnehmen ließ. 

Tatort Mistelbach: Ein wahr gewordener Albtraum

Es könnte das Drehbuch eines Krimis sein. Doch der mutmaßliche Doppelmord von Mistelbach ist ein wahr gewordener Albtraum

Nur wenige Häuser weiter in dem auf einem Berg gelegenen Wohngebiet liegt mein Elternhaus. Ich kann mich nicht erinnern, dass mein Heimatort es je mit solchen Schlagzeilen in die überregionale Presse geschafft hat. Es ist erschreckend. Unweigerlich entstehen Bilder in meinem Kopf, wenn ich an das Geschehene denke. Ich bin in Mistelbach aufgewachsen, habe das getötete Paar und die Familie vom Sehen gekannt. Wie die meisten, die heute in dem Dorf leben. Denn die Familie war häufig zu Fuß unterwegs. Man grüßte sich. Traf sich - mindestens zu Weihnachten - in der örtlichen Kirche. Alle vier Kinder besuchten den Kindergarten und die Grundschule im Ort. 

Seit vielen Jahren waren sie Teil des Lebens in der Gemeinde. Plötzlich ist alles anders. Die Betroffenheit der Anwohner ist groß. Trauer, Unverständnis und Wut mischen sich zusammen. Die Frage nach dem "Warum" stellen sich in Mistelbach viele. Ein Schild, das vor dem Haus des Ärztepaares abgestellt wurde, zeigt genau das. 

Große Anteilnahme - doch wie sollen die Kinder das Geschehene begreifen?

Dorfbewohner drücken ihr Mitgefühl aus, nehmen Anteil. Blumen, Kerzen und selbst gemalte Bilder wurden sowohl vor dem Wohnhaus in Mistelbach als auch vor der Arztpraxis des getöteten 51-Jährigen in Neudrossenfeld abgelegt. Er war ein in der Region extrem angesehener und beliebter Kinderarzt, seine Frau arbeitete ebenfalls als Ärztin. Dennoch war Karriere nicht alles für die beiden. Anwohner beschreiben sie als sehr familiär und freundlich. 

Doch nicht nur beim Dialog im Ort ist der mutmaßliche Doppelmord Gesprächsthema, auch im Schulbus oder in den sozialen Medien. Mitschülerinnen und Mitschüler der Kinder des Paares werden ungewollt mit dem Thema Tod konfrontiert. Schlimmer noch: mit einem Verbrechen, das quasi vor der eigenen Haustür geschehen ist. Wie soll man damit umgehen? Das fragen sich aktuell viele. 

Wie sollen die vier Waisenkinder das Geschehene verarbeiten? Wie sollen sie jemals verstehen können, was in jener Nacht im Januar passiert ist? Sie sind in Mistelbach groß geworden, beziehungsweise wären es vielleicht gerne noch geworden. Doch nun haben sie dort keine Familie mehr.