Der Herr ist mit seinen schwarzen Schäfchen
Autor: Jochen Nützel
, Samstag, 30. Juni 2012
Das Fichtelgebirge hat wieder den Blues. Nicht bloß einen, sondern gleich zwei davon: Jake und Elwood, Brüder, Nachname Blues. Das Musical zum Film riss - wie im Vorjahr - die Premierenbesucher zu Beifallsstürmen hin.
Gott mit Euch, Ihr Brüder! Gebt dem Herrn, was des Herrn ist, aber gebt dem Volk, wonach es lechzt: Fußball? Gott bewahre. Musik! Die des schwarzen Mannes, die selbst beim Sitzen in die Beine fährt. Halleluja! Gebt ihm Soul, gebt ihm Funk, gebt ihm Rhythm 'n' Blues. Ach was: Gebt ihm zwei davon! Wobei bei den Ganoven Jake und Elwood Blues der Jailhouse Rock stets mitschwingt. Die Blues- und Blutsbrüder aus Illinois: Sie sind wieder ausgebrochen auf der Luisenburg. Mit ihnen die Lust am Groove inmitten einer fichtengesäumten Prärie. Was der Klimawandel nicht alles glauben macht...
Intendant und Regisseur Michael Lerchenberg glaubte an den Erfolg und eine Wiederholung desselben. Zu Recht, wie sich bei der Premiere zeigt: Die Blues Brothers haben die bekannte Mission, ihr Waisenhaus zu retten, das vor der Schließung steht. Es fehlen 5000 Dollar und eine Idee, die Summe - zu blöd - legal zu beschaffen.
Mehr Rahmen-Handlung aus dem Film ist gar nicht nötig; sie wird geradezu pulverisiert durch eine Pyrotechnik, die Feuer spuckt und Telefonzellen platzen lässt. Eingestreute Slapstick-Einlagen mit Anleihen bei Stan und Oli würzen die mit Gags und Gimmicks angedickte Götterspeise, gereicht mit einem Massen-Auflauf an bisweilen zuckersüßen Darstellern in ungeahnter Verwendung. Wer etwa hätte gedacht, dass Ron Williams in seinem früheren Leben ein 74er Dodge Monaco war und heute noch die Motorgeräusche seines ehemaligen Fahrgestells imitieren kann? Das dunkelhäutige Tonstudio jedenfalls erlaubt es, dass sich Elwood und Jake bei ihrer Verfolgungsjagd auf schlichte Klappstühle setzen - und im Zuschauer dennoch die Illusion reift, er befinde sich in einem Fahrsimulator.
Überhaupt ist Ron Williams der un-heimliche Star der Aufführung. In ihm haben diverse Individuen Unterschlupf gefunden, die er nach und nach ausspuckt: Sein Repertoire reicht vom Knastwärter über Reverend Cleophus James bis hin zur exaltierten Haushälterin. In einem Gehrock in Cremeweiß wechselt er mal kurz die Tonlage und vom achtzylindrigen Blues-Mobil zum einzylindrigen Show-Conférencier. Hut ab vor dieser Leistung des 70-Jährigen! Unübertroffen aber ist Williams' Erscheinung als Ray Charles, den er persönlich verehrt und - man verzeihe das Wortspiel - blind beherrscht. Während er mit einer Pistole in der Luft fuchtelt und das Bühnenpersonal samt Orchester bedroht, säuselt er unter der Ray-Ban-Brille und stakst wie der echte Gottvater des Soul über die Bühne, als sei in seinem Hawaiihemd ein Bügelbrett eingenäht.
Gegen eine solche Bühnenpräsenz ist nicht eben einfach anspielen. Aber die Brüder-Darsteller Michael Kamp (Elwood) und Andreas Birkner (Jake) sind bei aller Augenverdunkelung die anderen Lichtgestalten in einer verrückt-überdrehten Inszenierung. Mit Knetmasse in den Beinen und Kautschukmimik schaufelt das Duo infernale die Fahrrinne für das Potpourri immergrüner Lieder wie "Everybody needs somebody to love". Sie singen nicht nur davon: Sie sind jeder für sich ein "Soul Man", ihr eigener Actionstreifen samt Soundtrack. Die zungenfertige Verkörperung zweier Tramps mit einer äußerst beweglichen Auslegung von (Un)Rechtsbewusstsein. Das Bewusstsein für rechts: Es spielt mitten hinein in Lerchenbergs Konzept und ins Stück. Ron Williams verleiht dem Protest Wunsiedels gegen die Ewiggestrigen Stimme mit dem Song "Der braune Dreck muss weg". Den hatte er bereits im Vorjahr vorgetragen und für den gesäten Keim des Widerstands Morddrohungen aus der Neonazi-Ecke geerntet. Schwarzer Humor mit ernstem Unterton - da schnalzt sogar der Herr mit der Zunge! Halleluja!