Bayerns getrübter Blick nach rechts
Autor: Günter Flegel
Nürnberg, Dienstag, 13. November 2012
Mit der Mordanklage gegen die mutmaßliche Mittäterin Beate Zschäpe durch den Bundesanwalt kommen die Ermittlungen gegen das NSU-Trio aus Thüringen nicht weiter. Eher im Gegenteil: Die Behörden basteln beharrlich am Mythos einer nur kleinen radikalen Gruppe.
Wird mit dem Prozess gegen Beate Zschäpe vor dem Oberlandesgericht in München im Frühjahr der letzte Akt im NSU-Drama eröffnet? Im bayerischen Innenministerium dürfte man es insgeheim hoffen, denn wenn die Richter die Akte NSU eines Tages schließen, endet wohl auch die peinliche Schnüffelei in den geheimen Akten der Geheimdienste.
Wie nah der Verfassungsschutz in Bayern dran war am gewalttätigen Arm der rechten Szene in Thüringen, ist eine Frage, die nicht nur den Untersuchungsausschuss des Landtags interessiert. Denn die Aktivitäten eines Kai D. aus Oberfranken, der im Auftrag des Verfassungsschutzes als V-Mann die Rechten ausspähen sollte, bergen politischen Zündstoff.
Was hat er alles erspäht? Was wurde mit seinen Informationen gemacht? War er nur ein Beobachter oder selbst am Aufbau der rechten Strukturen in Thüringen und in Bayern beteiligt? Im Innenministerium in München reagiert man gelinde gesagt nervös auf derlei Andeutungen. "Wir hatten keinen V-Mann im Umfeld des NSU."
Das war die Aussage des früheren Verfassungsschutzpräsidenten Gerhard Forster bei seiner ersten Vernehmung vor dem Untersuchungsausschuss des Landtags, und bei dieser Haltung bleibt das Innenministerium ungeachtet der Tatsache, dass Kai D. aus dem Landkreis Kronach inzwischen als der bayerische V-Mann im rechten Milieu enttarnt wurde - analog zu Tino B. in Thüringen.
Nun gehört es zum Wesen eines V-Mannes, dass er im Auftrag eines Geheimdienstes wie der verdeckte Ermittler der Polizei im Verborgenen wirkt; nur so kommt er an Informationen, ohne selbst ins Schussfeld des Milieus zu geraten, in dem er wühlt. Wird ein solcher V-Mann freilich aufgedeckt, drängen sich Fragen auf: War er der einzige oder gab es mehr davon? Machte sich der Verbindungsmann, um seine Tarnung zu vervollkommnen, vielleicht selbst strafbar?
An derlei Ungereimheiten scheiterte schon das Verbotsverfahren gegen die rechtsradikale NDP, weil V-Leute des Verfassungsschutzes offenbar an den Straftaten mitgewirkt hatten, die der Staat zur Grundlage des Parteiverbots machen wollte.
Die Spuren der Mörder
Kein Wunder, dass solche Fragen auch jetzt auftauchen, ein Jahr nach der Aufdeckung des NSU durch den Selbstmord der beiden mutmaßlichen Haupttäter; Verbrecher, die über Jahre unerkannt bleiben und in Nürnberg und in München morden konnten, während die Sonderermittler der Polizei die Täter in der türkischen Mafia suchten.
Verfolgt man die Spuren der NSU-Mörder, dann wird offenkundig, dass sie keineswegs aus dem Nichts kamen, dass sie ein Umfeld von Unterstützern hatten. Der "Thüringer Heimatschutz" mit seinem fränkischen Ableger in Coburg, der gewaltbereite rechtsradikale Arm "Blood and Honour" (Blut und Ehre) und sein militantes Vorbild in England, "Combat 18", intensive Kontakte zwischen Rechtsradikalen in Thüringen und in Franken: Das alles passierte nicht erst seit 1998 mit dem Untertauchen des "Erfurter Trios", das alles hat eine lange Vorgeschichte.
Das weiß der Verfassungsschutz, das weiß auch das Innenministerium. Trotzdem wird der Pressesprecher Oliver Platzer in München unwirsch nach jüngsten Veröffentlichungen unter anderem in dieser Zeitung, die auf die engen Verflechtungen der Neonazis in Thüringen und Franken hinweisen.
"Das sind doch alles Spekulationen. Legen Sie uns Ihre Beweise vor, dann haben wir einen Ansatz, um zu ermitteln", platzt Platzer heraus, nachdem er einen Bericht unter der Überschrift "Fränkische Schützenhilfe für den NSU" gelesen hat.
Für diesen Artikel hat unsere Zeitung einschlägige Foren im Internet durchstöbert, Namen und Ortsbezüge in Suchmaschinen eingegeben - schnell wurde offenkundig, dass es ein komplexes Netzwerk der Neonazi-Szene in Ost und West gibt. Beweise im Sinne Platzers sind dies nicht, aber die Zeitung ist ja nicht der Staatsanwalt, und über V-Männer im rechten Sumpf verfügt sie auch nicht. Deshalb darf man das Ministerium umgekehrt fragen, ob der Verfassungsschutz von diesem Netzwerk wusste und ob er einen so tiefen Einblick gewonnen hat, dass er fränkische Hilfe für den NSU definitiv ausschließen kann?
Platzers Antwort überrascht nicht: Mit Rücksicht auf die noch laufenden Ermittlungen könne er im Detail nichts sagen; auch nichts zu möglichen weiteren V-Leuten im rechten Milieu, noch weniger natürlich dazu, wo sich Kai D. derzeit befindet.
Wer wird geschützt?
Dass das Innenministerium seine V-Leute schützt, ist verständlich. Hinter Äußerungen wie denen von Platzer steckt aber unüberhörbar noch eine andere Intention: Das amtliche Bayern will die politische Dimension des NSU klein reden, keinesfalls in den Verdacht geraten, mit dem linken Auge schärfer zu sehen als mit dem rechten.
"Wir haben unseren V-Mann schon 1998 abgeschaltet", erklärt Platzer. 1998 tauchten die späteren NSU-Mörder ab. "Also können wir gar keinen V-Mann im NSU gehabt haben." Da wird das Innenministerium aber sehr spitzfindig. Oder liegt etwa die Gründungsurkunde des NSU in München?