Zwischen Traum und Wirklichkeit
Autor: Dieter Grams
Bamberg, Donnerstag, 20. Oktober 2016
Auf der Basis erlebter Geschichten der Teilnehmerinnen, die aus unterschiedlichen Kulturen stammen, entstand das Theaterstück "Ich habe einen Traum".
Das Theaterstück "Ich habe einen Traum" bezeichnete der Schirmherr des Projekts, Bürgermeister und Kulturreferent Christian Lange (CSU), in seinem Grußwort bei der Premiere als "gelebte Integration". Das ist es ganz ohne Frage, und es ist noch viel mehr. Es ist die brilliante Inszenierung des Zusammenpralls zweier Kulturkreise, die unterschiedlicher nicht sein können und auf deren gegenseitigem Verständnis und Verstehen noch der Tau liegt, die brilliante Visualisierung ineinander verwobener Lebensfäden, wobei Traum und Wirklichkeit von der Regie schon fast genial wie ein Ganzes komponiert werden, von dem Ensemble mit glühenden Herzen und glühender Sprachgewalt umgesetzt.
Grausame Wirklichkeit
Gelebter Traum und geträumte Wirklichkeit. Eine grausame Wirklichkeit. "Ich habe einen Traum" ist keine leichte Kost, kein Fast Food, das der/die Besucher mal eben so en passent konsumieren können. Ich habe einen Traum ("I have a Dream" - Martin Luther King, dieser Vergleich drängt sich auf) macht traurig, betroffen und nachdenklich. So soll es wohl auch sein.Das Stück ist wirklich, denn es verarbeitet die Schicksalsfäden von drei Mitwirkenden, vermengt mit literarischen, unerhört wuchtigen Texten und angereichert mit wunderbaren Improvisationen. So macht man großes Theater.
Bei der Entwicklung des Stücks waren die Regiesseurinnen Cornelia Morgenroth und Ila Stuckenberg, assistiert von Vanessa Lieb, nicht allein. Zu den "Schwarzen", jenen hinter den Kulissen, gehören auch Ruwaida Alaliwi, Noor Altubaishat, Faiza Hussein und Neda Abe. Für die passende Maske sorgt Zeinah Hoosini und die absolut farbenfrohen Kostüme schneiderten Renate Rupprecht und das Transition Nähcafé.
Von Freiheit und Respekt
Sie alle haben einen Traum, Therese Frosch (Nyx, Alice) und Martina Welsch (Yaren, Fatma, Psychologin) aus Deutschland, Alina Achtziger (eine ganz tolle Filiz, Esma) und Peri Kipriksiz (Hussein, Jamal, Feyza), auch aus Deutschland, aber mit türkischen Wurzeln, und Sausan Ahmad (eine wundervoll verkörperte Zarah) aus Syrien. Die Darstellerin des Dschinn, von Emel und Sibel aus Albanien möchte aus Sicherheitsgründen nicht namentlich genannt werden. Mitunter sind das ganz banale Träume. "Ich möchte mein Leben lang Kekse essen" oder "Ich möchte richtig gut Basketball spielen können". Zarah wünscht sich eine Villa, ein großes Auto, eine Tochter und will Hip-Hop tanzen, aber es gibt auch andere Träume. Träume von Freiheit und Gerechtigkeit, von Respekt und Selbstbestimmung: "Wir sind doch keine Tiere!" Es träumen nicht nur die geflüchteten Frauen, auch die deutsche Sachbearbeiterin, auf deren Tisch sich die Anträge stapeln, und die letztlich an ihrem Job zerbricht, hat Träume.
"Nicht Albanien", fleht Zarah. "Sie machen mich tot." Denn sie war mit der großen Liebe ihres Lebens geflohen, nicht mit dem Mann, den ihre Familie für sie ausgesucht hatte. "Was war in Syrien?" "Bomben. Schwester tot, Mutter, Vater tot. Bitte nicht Syrien."
Spiegelbild der Seele
"Träume sind ein Spiegelbild der Seele", sagt die Psychologin, bei der die völlig vereinsamte Sachbearbeiterin Hilfe sucht, aber kein Traum hat Bestand, wenn die drei Parzen auftauchen - Juliane Welsch, Rama Al Daher (aus Syrien) und Mohadse Moosini aus Afghanistan. Alle drei recht muntere, freche, junge, unbekümmerte nicht-Menschenwesen (die Schauspielerinnen schon, auch jung, frech und unbekümmert), sondern göttergleich, die Schicksalsgöttinnen der römischen Mythologie, gleich zu setzen mit den drei Nornen des germanischen Götterhimmels. Sie weben die Lebensfäden der Sterblichen, aus Espartogras, der ältesten Grassorte unserer Welt und unkaputtbar, betreiben eine "Wunschumtauschagentur", einfach köstlich - deutsche Bürokratie in Reinkultur ("Das Formular W-Null-900"), und - ihnen allein ist die Macht über Raum und Zeit gegeben, auch die Zeit der Menschen. Sie allein vermögen es die Lebensfäden auch wieder zu durchschneiden, und das tun sie.
Fröhlich lächelnd, lachend, tanzend, hopsend, springend, und verwandeln dabei Menschen zu unwissenden (?) Komplizen: "Entweder du steigst jetzt in das Schiff und stirbst nur vielleicht, oder ...", sagt der Schleuser. Es ist ein billiges, viel zu kleines Schlauchboot. Düster-drohend eingespieltes Meeresrauschen kündigt die Katastrophe an.
Der finale Auftritt aller Protagonisten geht unter die Haut, ist ein Stachel in jedem mitfühlenden Herz, in jeder mitfühlenden Seele. Man kann diesen Stachel entfernen. Das jedenfalls sagt "Ich habe einen Traum", aber das "Wie" bleiben die Autoren schuldig.