Zweimal "Faust" an einem einzigen Abend: Saisonstart am E.T.A.-Hoffmann-Theater
Autor: Christoph Hägele
Bamberg, Sonntag, 13. Oktober 2019
Eine fordernde, aber gerade deshalb auch befriedigende Angelegenheit. Das Bamberger E.T.A.-Hoffmann-Theater startet mit "Faust 1 in 2" in die neue Saison.
Turnschuhe und Engelsflügel, die schöne Helena und das irre gewordene Gretchen, eine frivole Witwe und ein in Rätseln sprechender Homunkulus. Was Johann Wolfgang Goethe in zwei eigenständigen Tragödien zu einem Kaleidoskop der menschlichen Natur entfaltete, verwebte das E.T.A.-Hoffmann-Theater am Freitag in weniger als drei Stunden zu einem großen Ganzen.
"Faust 1 in 2" nennt sich in betonter Bescheidenheit, was sich in Wahrheit mit den titanischen Ambitionen des Heinrich Faust messen darf. Für ihre Entscheidung, beide "Faust"-Teile miteinander zu vermengen, können die Theatermacher allerdings künstlerisch schlagende Gründe reklamieren.
Erst "Faust I" und "Faust II" zusammen erfassen die von Erkenntnisdrang und sinnlichem Erlebnishunger motivierte Weltfahrt des Heinrich Faust in ihrer Gesamtheit.
Ihr Tod, seine Schuld
Der Tragödie erster Teil handelt von Gretchen (Anne Weise) und Faust (Stephan Ullrich), ihrer von Mephisto (Eric Wehlan) gestifteten Liebesbeziehung, dem an-, dann abschwellenden Begehren Fausts, Gretchens Tod und Fausts Schuld. Hier im ersten Teil auch verpfändet Faust im Tausch gegen diesseitige Genüsse dem Teufel seine Seele.
In der Tragödie zweiter Teil besucht der vom "Heilschlaf des Vergessens" sanierte Faust unter Führung Mephistos Figuren der antiken Mythologie, die Menschenzuchtstation des Gelehrten Wagner oder den Hof eines dekadent über seine Verhältnisse lebenden Kaisers (Stefan Herrmann). Der erste Teil verhandelt Begierden, Triebe, Leidenschaft. Der zweite Teil Gesellschaft, Kunst, Naturunterwerfung.
Die von Dramaturg Remsi Al Khalisi erarbeitete und und Intendantin Sibylle Broll-Pape inszenierte Fassung bricht die Chronologie der beiden Teile auf und setzte einzelne Szene zu neuer Ordnung zusammen. Aufmerksamkeit schenken die Bamberger weniger den sinnlichen Versuchungen des ersten Teils als den gesellschaftspolitischen Implikationen des zweiten. Diese Fokussierung verrät bereits das Bühnenbild. Die Flucht eines Rechenzentrums ist dort zu sehen, auf der Bühne stehen an Hochleistungsserver erinnernde Kästen. Aus dieser Anordnung spricht der Anspruch, die Gesellschaftsanalyse Goethes auf unsere von Big Data, Künstlicher Intelligenz und hochtourigem Finanzkapitalismus geprägte Gegenwart zu übertragen.