Zwei Bamberger sprechen über ihr Leben mit "HIV positiv"
Autor: Petra Mayer
Bamberg, Freitag, 29. November 2013
Von einer Minute zur anderen veränderte sich alles - mit der Diagnose "HIV positiv". Noch in den 80er-Jahren, in denen man wenig über die anfangs als "Schwulenseuche" bezeichnete Krankheit wusste, infizierten sich zwei Bamberger, mit denen wir über ihre lange Leidenszeit sprachen.
"Dass ich positiv bin, erfuhr ich zu einer Zeit, als man den Begriff ,Aids' noch kaum kannte", berichtet Peter Schmitt (Name von der Redaktion geändert). Der 55-Jährige blickt aus dem Fenster - erinnert sich an den Moment, in dem sein Leben mit dem "erworbenen Immundefektsyndrom" begann. "Alle sprachen damals über die ,Schwulenseuche'. Also wollte ich mich durchchecken lassen und wurde mit der Schreckensdiagnose konfrontiert." Fragen über Fragen stellten sich dem damals 28-Jährigen, nachdem er wieder klar denken konnte: Welche weiterführenden Untersuchungen würden folgen? Welche möglichen Therapien? Wie lange könnte ein bis dahin gesunder Mann wohl mit dem Virus leben, der 1986 die Bezeichnung "Human Immuno Deficiency Virus" (HIV) erhielt? "Mein Arzt schickte mich mit dem Rat nach Hause, erstmal Toilette und Bad gut zu desinfizieren."
"Tödliche Seuche"
Bamberg Mitte der
Anfang 1990 erfahren
An diese Phase der Angst und Unsicherheit erinnert sich Barbara Zink (Name geändert) noch gut, die seit 1990 mit HIV lebt. Ihren halben Bekanntenkreis verlor die Bambergerin, nachdem sie sich einer "Freundin" anvertraut hatte. "Dass ich infiziert war, verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Man ging mir aus dem Weg, beschimpfte mich als Aids-Schlampe", berichtet die heute 53-Jährige, die als Kellnerin arbeitete und dementsprechend viele Menschen kannte. Während sie heute von einer kleinen Rente sehr zurückgezogen lebt - mit wenigen Vertrauten als Ansprechpartnern.
Von ihrer HIV-Infektion erfuhr Barbara Zink bei einem Krankenhausaufenthalt. "Man sagte mir, dass ich positiv sei und mit einer durchschnittlichen Lebenserwartung von noch zehn Jahren zu rechnen hätte." Damals war die Bambergerin gerade 30. "Ich dachte an meine Mutter, meine Geschwister - wie ich ihnen das alles beibringen sollte." Wieder zu Hause begann Barbara Zink, sich mit Aids und allem, was man 1990 über die "rätselhafte Krankheit" wusste, auseinanderzusetzen. "Ich begriff, dass schon nach drei Jahren Schluss sein kann." Bald darauf verliebte sich die attraktive junge Frau in einen Mann, dem es gelang, ihre HIV-Infektion zu "akzeptieren". Aber über beider Zukunft hing ein Damoklesschwert.
Sich endlich fallen lassen
Im Gegensatz zu Barbara Zink verdrängte Schmitt seine HIV-Infektion lange, bis sie nicht mehr zu verdrängen war. "1995 bekam ich Soor, eine Pilzerkrankung, die auf den drohenden Ausbruch von Aids deutete. Mein ganzer Mund war befallen, ich konnte kaum mehr essen." Noch im Krankenhaus kam's zum Kontakt mit Mitarbeitern der Aidsberatungsstelle. "Erstmals sagte ich vor Fremden den entscheidenden Satz: Ich bin HIV positiv. Und konnte mich nach all der Zeit endlich fallen lassen."
Für den Bamberger, bei dem sich fast ein Jahrzehnt lang keine Symptome gezeigt hatten, begann eine elfjährige Leidensgeschichte. Der Pilz verschwand, aber Schmitt magerte weiter ab. Medikamente - mit erheblichen Nebenwirkungen - schlugen nur kurzfristig an. Dann wieder mussten Ärzte zu anderen Mitteln greifen. "Die schlimmste Phase für mich. Ich konnte nichts bei mir behalten und vor Schwäche irgendwann kaum noch laufen", berichtet der gelernte Gärtner. Seinen Beruf musste Schmitt aufgeben. "Mir half aber, über Aids nun ganz offen zu sprechen. Ich engagierte mich in einer Positivengruppe, um auch an Schulen Aufklärungsarbeit zu betreiben, bei der ich mich als Schwuler und HIV-Positiver outete. Ein großer Schritt."
Eine Kombinationstherapie aus mehreren Medikamenten rettete Schmitts Leben - wie das Leben zahlloser anderer Infizierter, die damit rechtzeitig behandelt wurden. Auch für Barbara Zink gab's nach vielen Tiefs neue Hoffnung. Durchbrochen wurde die Abwärtsspirale, in der sich die Bambergerin seit 1995 befand: "Damals hatten Ärzte bei mir Gebärmutterhalskrebs festgestellt. Ich wurde operiert, allerdings verschlechterte sich mein allgemeiner Gesundheitszustand weiter." Zumal die Kellnerin, die in ihrem Beruf nicht länger arbeiten konnte, unter Depressionen litt. Freunde starben an Aids. Ihre Beziehung zerbrach. "Durch die schlimmsten Krisen brachte mich Georg Huber von der Aids-Beratungsstelle, mit dem ich endlich über alles reden konnte, während ich anderen immer was vorspielen musste."
Rechtzeitig testen lassen
Zu einer Heilung von Menschen, die mit dem HI-Virus infiziert sind, kam es bislang nur in Einzelfällen mit spezifischer Indikation, wie aus der Broschüre zum 25-jährigen Bestehen der Aidsberatung Oberfranken hervorgeht. "Aber Medikamente verhindern heute den Ausbruch schwerer Erkrankungen und bleibender Schäden, die daraus resultieren", meint Georg Huber, der die Bamberger Außenstelle der Aidsberatung Oberfranken als Diplom-Pädagoge leitet. So führt eine Ansteckung nicht mehr zwangsläufig zu Aids - und Aids nicht mehr zwangsläufig zum Tod eines Patienten innerhalb weniger Jahre. "Es gibt die Option, mit HIV alt zu werden. Sofern Menschen von ihrer Infektion rechtzeitig erfahren und darauf reagieren können." Je weiter der Prozess voranschreite, desto schwerer seien Erkrankungen in den Griff zu bekommen. Jeder Test könne somit tatsächlich Leben retten.
23 Jahre nach der Diagnose "HIV positiv" hadert Barbara Zink nicht mehr mit ihrem Schicksal. "Ich schlucke meine Tabletten morgens und abends, habe aber kaum noch Beschwerden, die mich ständig an meine Krankheit erinnern", meint die Bambergerin. Darüber zu spekulieren, wie sich ihr Leben ohne den Aids-Virus entwickelt hätte, hat die 53-Jährige längst aufgegeben. "Ich habe gelernt, alles so zu akzeptieren, wie es nun mal ist."
"Aids gehört zu meinem Leben"
"Nein, als größtes Unglück empfinde ich meine HIV-Infektion nicht mehr", sagt Peter Schmitt nach kurzem Überlegen. "Inzwischen gehört Aids zu meinem Leben, das ich anderweitig vielleicht weniger bewusst und intensiv geführt hätte." Obwohl er wie Barbara Zink mittlerweile fast beschwerdefrei ist, blickt der 55-Jährige nie in die Zukunft. "Ich lebe jetzt, heute." Eine Einstellung die sich aus Jahren der Verzweiflung auch auf seinen Partner übertrug, der nie von Schmitts Seite wich: "Wir sind seit 25 Jahren ein Paar, wobei sich mein Freund glücklicherweise nicht infizierte."
Zahlen der Infizierten steigen
Unverständlich ist Schmitt aber die zunehmende Sorglosigkeit, die der Bamberger bei jungen Leuten beobachtet. "Sie fühlen sich sicher - angesichts der Wirksamkeit heutiger Medikamente." Ein gefährlicher Trugschluss. So steigen auch in Deutschland die Zahlen der HIV-Infizierten, die sich mittlerweile auf über 78 000 summieren (darunter rund 15.000 Frauen), wie das Robert-Koch-Instituts Ende 2012 schätzte. Allein in dem Jahr sei es zu etwa 3400 Neuinfektionen gekommen, deren Zahl 2011 noch bei 3300 lag. Die für Deutschland "geschätzte Gesamtzahl der Todesfälle bei HIV-Infizierten seit Beginn der Epidemie": 27.000 Menschen.
Weiterführende Informationen
Wer sich über Aids informieren möchte, wird bei der Aidshilfe">Deutschen Aidshilfe und dem Robert-Koch-Institut im Netz fündig. Die Bamberger Außenstelle der Aids-Beratungsstelle Oberfranken ist in der Willy-Lessing-Straße 16 zu finden (Telefon: 0961/27998). Als Träger fungiert auch hier das Diakonische Werk-Stadtmission Bayreuth e.V. , um Betroffenen beispielsweise auch Selbsthilfegruppen zu vermitteln.
Testen lassen können sich Interessenten bei allen Gesundheitsämtern kostenlos und anonym. Weder ein Berater noch das zuständige Labor kennen den Namen des Untersuchten. Über eine Nummer oder ein Codewort, das Blutproben zugeordnet wird, erfahren Betroffene nach etwa einer Woche in einem persönlichen Gespräch ihr Ergebnis. Bei einem niedergelassenen Arzt können HIV-AK-Test gegen Bezahlung oder, sofern der Test zur Abklärung von Krankheitszeichen nötig ist, auf Kosten der jeweiligen Krankenkasse durchgeführt werden.