Zukunftsmodell Rattelsdorf: Arztpraxis XXL
Autor: Sebastian Schanz
Rattelsdorf, Dienstag, 02. April 2019
Der Hausarzt als Einzelkämpfer - dieses Konzept lockt heutzutage nur noch wenige junge Mediziner aufs Land. In Rattelsdorf zeigt sich, wie die Zukunft aussehen könnte: eine große Gemeinschaftspraxis in einem modernen Neubau.
Not macht erfinderisch. Selbst im Skiurlaub, beim Abendessen mit einem ausländischen Mediziner, hat der Reckendorfer Bürgermeister Manfred Deinlein (SPD) Versuche gestartet, ihn als neuen Hausarzt in seine Gemeinde zu locken. "Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, dass ich einen finde", sagt Deinlein.
Freud und Leid liegen fünf Kilometer Luftlinie auseinander. Auf der anderen Seite des Kraibergs, an der Ebinger Straße am Rattelsdorfer Ortsrand, eröffnet die neue, moderne Gemeinschaftspraxis. Fünf Ärzte, 700 Quadratmeter, 60 Parkplätze: Derzeit laufen die Vorarbeiten, am Donnerstag startet der Umzug, am Montag werden die Patienten dann schon im grün gehaltenen Wartezimmer sitzen. Mit Blick auf eine weite grüne Wiese.
Sieht so das Zukunftsmodell für die Ärzteversorgung auf dem Land aus? "Ja, ich denke schon. Der Trend geht in diese Richtung", antwortet Peter Pechmann. Zusammen mit Thomas Neundorfer, der 1989 die Praxis gegründet hat, Leonard Waldmüller, Matthias Dorsch und der jungen Kollegin Silvana Messig teilt sich Pechmann die "Arztpraxis XXL", wie er es nennt - denn ein Medizinisches Versorgungszentrum ist es nicht.
Der bürokratische Aufwand für den Neubau war enorm, die Gemeinde half. Auch die Anforderungen an Digitalisierung und Datenschutz würden immer anspruchsvoller und seinen mit hohen Investitionskosten verbunden - ein wichtiger Vorteil für Gemeinschaftspraxen. Das fängt bei der Vernetzung zwischen Gesundheitsinstitutionen wie Apotheken und Krankenhäusern an und hört bei der Video-Sprechstunde auf: "Die Hausarztpraxis der Zukunft wird sich mit den Themen ,sinnvolle Digitalisierung' und ,Praxisnachfolge sichern' beschäftigen müssen", sagt Pechmann.
Das Durchschnittsalter der Mediziner in Oberfranken liege bei 55,5 Jahren, betonte Udo Kunzmann, Geschäftsführer der Gemeinnützigen Krankenhausgesellschaft des Landkreises Bamberg, beim Rattelsdorfer Neujahrsempfang. Die Zeit des klassischen Hausarztes sei vorbei.
Nicht ganz so deutlich wird die Bayerische Gesundheitsministerin Melanie Huml: "Niedergelassene Ärzte in eigener Praxis bilden nach wie vor das Rückgrat der ambulanten medizinischen Versorgung. Aber: Daneben brauchen wir auch neue Organisationsformen ärztlicher Versorgung, damit junge Mediziner ihren Beruf so ausüben können, dass er zu ihren Vorstellungen und Lebensumständen passt."
Vom rund um die Uhr erreichbaren Einzelkämpfer zum flexiblen Angestellten mit Teilzeitmöglichkeit: Junge Mediziner wollen Familie und Beruf besser unter einen Hut bringen, zumal ein Großteil der Medizinstudenten weiblich ist.