Druckartikel: Zu Weihnachten gab's bestimmt keine Gans

Zu Weihnachten gab's bestimmt keine Gans


Autor: Anette Schreiber

Weichendorf, Freitag, 21. Dezember 2012

Die Gastwirtstochter Lore Pfister hatte Gänse wohl hüten müssen, aber nie selbst zu Weihnachten auf dem Teller gehabt. Die Wahl-Weichendorferin erinnert sich, wie es früher in der Weihnachtszeit war.
Keine Angst, Lore Pfister will ihren Gänsen nichts Böses tun. Fotos: Gründel


Nein, diese zwei Gänse werden weder gestopft noch gerupft, geschweige denn auf irgendjemandes Teller landen. Lore Pfister lacht hell. "Die haben das ewige Leben", sagt die Wahl-Weichendorferin. Sie kommt aus einem kleinen Bauernhof mit Gastwirtschaft aus dem Norden des Landkreises und ist mit den damaligen vorweihnachtlichen Gepflogenheiten groß geworden. Wozu eben auch das Gänsestopfen zählte...

"Als Kinder haben wir die Gänse auf der Wiese gehütet", erinnert sie sich. Vier Wochen vor dem großen Fest ist dann oft aufgefallen, dass die Tiere für einen Braten eigentlich noch zu wenig Fett hatten. Also wurden sie von Lore Pfisters Mutter jeden Tag gestopft: Mit einem Brei aus Kartoffeln, Kleie und Schrot. Dazu setzte sich die Mutter immer auf einen Schemel und Tochter Lore musste ihr helfen. "Früher wusste man noch nicht, dass das Tierquälerei ist", gesteht sie zu.

Sie selbst galt übrigens als ungezogenes Ding, weil sie sich weigerte, die von ihr umsorgten Tiere zum Schlachten herzugeben. Andererseits gab es damals nicht viele, die sich zu Weihnachten eine Gans leisten konnten, weiß die heute 71-Jährige.

Eigentlich war's eine Fastenzeit

Die Leute hatten nicht viel zu essen und da war Weihnachten wirklich auch in dieser Hinsicht ein Fest. Schon Wochen vorher etwa wurden Butter und Eier gehortet, damit die Mutter Grundlagen für die Plätzchen hatte. "Eigentlich war die Adventszeit eine Art Fastenzeit", folgert Lore Pfister aus dem Erlebten.

Dafür ging man regelmäßig in einen besonderen, den Rorate-Gottesdienst. Da wurden die Kinder geschickt, weil die Eltern wenig Zeit hatten. Der Weg vom kleinen Zaugendorf bis nach Mürsbach zog sich dahin, vor allem, wenn der Itzgrund nach einer Überschwemmung zugefroren und damit total vereist war. Ein erfreulicher Nebeneffekt war dann der, dass man Schlitten zu Eis-Vehikeln umfunktionierte und sich mit Stecken selbst Schub gab.

Zu der Zeit vor Weihnachten gehörten übrigens auch Barbarazweige. Die wurden an Barbara, also dem Namenstag der Heiligen Anfang Dezember, abgeschnitten und sollten dann im Haus blühen. "Aber die Häuser waren früher ja so kalt, da hatte man schon Glück, wenn sie ein bisschen aufgegangen sind." Auch heute noch pflegt Lore Pfister die Tradition mit diesen Zweigen. Neben Kirschzweigen eignen sich dieser Tage besonders auch ihre Forsythien-Zweige.

Besonders gutes Futter für die Tiere

Lore Pfister kommt beim Stichwort Weihnachten wieder auf die Tiere zurück. An Heiligabend erhielten die besonders gutes Futter. Es hieß, dass die Tiere in dieser Nacht sprechen und sich miteinander unterhalten würden. Und da wollte schließlich kein Landwirt, dass seine Tiere schlecht über ihn redeten...

Mittags am 24. hat es immer Linsen und Spatzen (also Mehlklöße) gegeben. Und abends? Was genau, weiß sie nicht mehr. Nur ganz bestimmt keine Gans. Das war zu teuer. "Wenn wir Wienerla bekamen, war das schon das Höchste." Dafür ist ihr ein Nachtisch unvergessen: "Es gab Ananas aus der Dose, meine ersten, und mit Sahne", schwelgt sie in der Erinnerung. So gut haben danach keine Ananas mehr geschmeckt.

Und Geschenke? "Jedes Jahr dasselbe!" Aber wörtlich. Lore Pfister denkt da an eine Wiege aus Holz oder eine Puppenküche. "Die hat das Christkindla im Anschluss wieder geholt."

Vor lauter Freude fallen gelassen

Als tatsächlich einmal eine Puppe unter Baum lag, hatte es die kleine Lore so notwendig, dass sie das Geschenk prompt fallen ließ und die Augen im Hin teren des Porzellankopfes verschwanden. "Ich hab' die Puppe überhaupt nicht mehr angeschaut, nur damit die Mutter nix merkt..." Hat sie aber doch - und das Kind gescholten.

Na ja, Weihnachten und Kinder, da sind Überraschungen mit der Überraschung vorprogrammiert. Lore Pfister hat das auch als Mutter bei ihren eigenen drei Kindern erfahren. Die kamen einmal an den Lichtschalter des Bescherungszimmers, liefen nach draußen und erspähten durchs Fenster, welche Geschenke da unter dem Baum auf sie warteten...

Selbstredend ging früher jede Familie Weihnachten in die Kirche. "Die Nordlichter auf dem Weg sind mir noch gut in Erinnerung, das war bewegend."

Bei "Stille Nacht" kommen ihr die Tränen

Bewegend ist es für de 71-Jährige auch heute noch, wenn in der Kirche "Stille Nacht" angestimmt wird. Da kommen ihr immer die Tränen. Allerdings meist erst am Ersten Feiertag. Denn an Heiligabend möchte die resolute Dame keinem der Besucher einen Platz wegnehmen, der das ganze Jahr über keinen Gottesdienst besucht, lässt sie vielsagend wissen.

Ebenso wie die Tatsache, dass sie sich schon länger nicht mehr an eine besondere Gepflogenheit der Nach-Weihnachtszeit hält: Die ersten zwölf Tage nach dem Fest wurde Wäsche weder gewaschen noch aufgehängt, weil das Unglück bringen sollte. Lore Pfister hat im Lauf der Jahrzehnte den tieferen Sinn erkannt: "Das Personal sollte schließlich auch mal frei haben", sagt's und streichelt ihre zwei Gänse, die Weihnachten wie gesagt getrost auf sich zukommen lassen können.